Выбрать главу

»Es sind unsere Organe«, erwidert Sarah nüchtern und blättert eine Seite um. »Die Fähigkeit, Kinder in die Welt zu setzen.«

»Das macht uns weich im Kopf.« Duckys Zeigefinger kreist um ihre Schläfe. »Zu zarten, empfindlichen Pflänzchen, die beim kleinsten Wind umknicken.«

Verwirrt blickt Jane die beiden Frauen an.

Bis sie das Glitzern in Sarahs Augen entdeckt. Das Zucken um Duckys Mundwinkel.

Sie begreift, dass sie nicht allein ist mit diesen Gedanken. Auch nicht mit ihrer Wut, die in den Stimmen der beiden anderen Frauen anklingt, in deren Augen aufblitzt, die sie jedoch mit einer tüchtigen Prise Humor und Ironie würzen. Eine Wut, aus der sich vielleicht auch das Selbstbewusstsein der beiden speist. Die Unbeirrbarkeit, mit der sie die Grenzen, die es für sie gab, verschoben oder sich einfach darüber hinwegsetzen.

Befreiend ist es, als Jane in das Gelächter von Sarah und Ducky einstimmt, das nur langsam abebbt, immer wieder als Kichern zwischen ihnen aufperlt, wenn sich ihre Blicke treffen.

Wie zwischen Freundinnen.

 

 

 

Eine neue Welt hat sich für Jane aufgetan, im Haus der Lindleys. Eine Welt, die die Geisteswelt Roberts berührt, sich mit den inneren Welten von Sarah und Ducky überschneidet.

Und trotzdem ist es nicht Roberts Welt, die Jane in diesem Frühling, diesem Frühsommer entdeckt.

Nicht die Mr Lindleys oder Sarahs oder Duckys.

Es ist ihre ganz eigene Welt.

70

Juni

Nichts, was das Niederschreiben wert gewesen wäre, seit ich in Kiangnan zurück bin.

Morgen Aufbruch nach Shanghai.

AUS DEN NOTIZEN VON ROBERT FORTUNE

Mit langsamen Schritten wanderte Fortune den Hügel hinauf, den Blick auf die Berge gerichtet.

Seine Art, Abschied zu nehmen von diesem Flecken Erde.

Die Gipfel schienen mit dem letzten Regen näher gerückt; fast unwirklich sahen sie aus, scharf umrissen vor dem Blau des Himmels.

Unwirklich wie alles, was er dort oben gesehen und erlebt hatte.

Greifbare Wirklichkeit hingegen waren die Setzlinge von Camellia sinensis, die er aus dem Kloster von Ling Chuan Yuan mitgebracht hatte und die in Kisten auf dem Dachboden der Wangs wurzelten.

Ein guter Grund, noch eine Weile hierzubleiben. Die Tage damit zu verbringen, zu pflanzen, zu gießen. Zu hoffen und zu bangen und zu warten, wie sie sich entwickelten.

Nicht der einzige Grund.

Bis er einsehen musste, dass es hoffnungslos war: Lian war fort und kam auch nicht wieder zurück. Dieses Mal nicht.

Morgen würde er nach Shanghai aufbrechen, mit diesen Kisten voller Setzlinge. Den Paketen mit Samen, von denen er hoffte, dass sie ihre Reise nach Calcutta unbeschadet überstanden. Mit Wang, der im Dorf gefeiert wurde wie ein Held, weil er nach Indien auswanderte.

Einen Satz Wardian Cases würde Fortune in Auftrag geben und das Geld der Society abholen, vielleicht davon Tee kaufen, andere Pflänzchen, anderes Saatgut, in Gestalt von Xinghua. Briefe waren zu schreiben, als Robert Fortune.

All die Dinge, die es noch zu tun galt, bevor er seine chinesische Haut ablegte, die englische Haut wieder überstreifte und dieses Land verließ.

Farbtupfer leuchteten aus dem Gras hervor, am Hang schräg unter ihm, und weckten seine Aufmerksamkeit: Blüten von einem satten, kräftigen Pink, die die zarten Rispen beugten wie Lampions.

Fortune ging in die Knie, betrachtete staunend diese ungewöhnlichen Blüten.

Ein kleines Herz, jedes einzelne davon, aus dessen Spitze sich ein weißes Zünglein hervorschob.

Wie eine Träne.

Keine Worte dieser Welt hätten besser ausdrücken können, was er empfand. Ohne Lian.

Sorgsam, damit er nicht eine Wurzelspitze verletzte, grub er diese Herzblume aus und barg sie sicher in seinen Armen.

Jane ist noch nie am Meer gewesen.

Nicht so, nicht nur für einen halben oder ganzen Tag. Sondern für volle zwei Wochen.

Sommerfrische nennt man das. Ein Wort, das sie zwar kannte, aber jetzt erst Teil ihres eigenen Wortschatzes geworden ist.

Es ist das zweite Mal in diesem Jahr, dass sie mit den Kindern weggefahren ist, nachdem sie über Ostern schon in Schottland war.

Es war schön, in ihre Heimat zurückzukehren, besonders nach der langen Zeit. Ihre Eltern zu sehen und die Schwiegereltern, ihre Schwestern und alten Freundinnen, Roberts Geschwister.

Den Kindern hat es gefallen, die vielen Tiere auf den Besitzungen der Grundherren und natürlich die Aufmerksamkeit, mit der Großeltern, Onkel und Tanten sie überschütteten. Die Zeit, die sie mit Cousins und Cousinen im Spiel verbrachten.

Und doch war Jane froh gewesen, als sie nach den paar Tagen wieder in die Kutsche steigen und nach Hause fahren konnten.

Fremd hat sie sich in der alten Heimat gefühlt; sie gehört dort nicht mehr hin.

Während sie auf der ausgebreiteten Decke im Sand sitzt, ein Buch in der Hand, das sie noch nicht einmal aufgeschlagen hat, plagt sie einmal mehr das schlechte Gewissen.

Obwohl Mr Lindley ihr versichert hat, sie könne ruhig fahren, zwei Wochen würde er es auch ohne sie schaffen. Dabei erhält er gerade viel Post, seine Meinung ist gefragt: Nach diesem nassen, kühlen Sommer hat sich auf dem Kontinent die Kartoffelfäule ausgebreitet. Vermutlich würde es auch England treffen, und für Irland, das von der Kartoffel abhängt, sieht es besonders schlecht aus.

Auch das hat Jane gelernt: Die Botanik forscht nicht nur, um immer weiteres Wissen anzuhäufen. Um stets noch schönere, noch prächtigere und kostbarere Blütenpflanzen zu finden und hervorzubringen.

Die Botanik hat auch einen praktischen Wert. Ebenso ist sie nämlich die Wissenschaft vom täglichen Brot der Menschen.

Noch ein erhellender Moment für Jane.

Genau wie diese Momente, in denen sie auf das Meer hinausblickt und versucht, ihr schlechtes Gewissen vom Wind davontragen zu lassen.

Ich habe es verdient, sagt sie sich dann. Ich habe dafür gearbeitet, ich habe es einfach verdient.

Es macht nichts, dass sie sich hier in Dorset von dem Geld, das die Arbeit bei den Lindleys ihr eingebracht hat, nur ein Zimmerchen leisten kann, in dem sie zu dritt in einem Bett schlafen.

Sie genießt es, die Kinder beim Einschlafen im Arm zu halten. Ihre Bewegungen im Schlaf zu spüren, morgens von ihnen geweckt zu werden. Sie werden viel zu schnell groß; Helen wird am Ende des Sommers schon zur Schule gehen.

Es macht auch nichts, dass es oft kühl ist und viel regnet.

Gestern waren sie in Lyme Regis und haben sich die Stadt angeschaut. Das Fossiliendepot von Mary Anning haben sie besucht, wo Jane den Kindern versteinerte Schneckenhäuser kaufte. Vor allem John hat dieser Laden fasziniert, mit großen Augen und offenem Mund hat er die Steine und Skelette bestaunt.

Jane hatte ihm vorlesen müssen, was auf den Schildchen stand.

Ichthyosaurus. Plesiosaurus. Pterosaurus.

Meeresdrachen. Vor Ewigkeiten einmal durch die Wellen vor der Küste geschwommen oder durch den Sand gekrochen, seit vielen weiteren Ewigkeiten in Stein eingeschlossen.

Eine Vorstellung, die Jane tief berührt.

Seither denkt Jane viel über Mary Anning nach, die sich als ganz einfache Frau immer schon mit Fossilien beschäftigte. Unzählige Schätze hat sie hier an der Küste gehoben und sich darüber sogar mit bedeutenden Forschern angelegt.