Er dämpfte seine Stimme zu einem Raunen.
»Manche Dschunken führen heimlich Feuerwaffen mit. Was ein großes Wagnis ist, weil die Mandarine keine Gnade kennen, wenn sie ein Schiff durchsuchen und verbotene Waffen finden. Wenn ich wählen kann, so sterbe ich lieber durch die Kugel eines hai dao als in den kaiserlichen Verliesen.«
Seine Augen, schimmernd wie schwarze Bohnen, huschten über das Deck und die Anlegestelle.
»Es heißt, die Mandarine fürchten, wir Schiffer könnten uns gegen sie erheben, hätten wir die Macht des Feuers. In Wahrheit aber ist es ein zu gutes Geschäft, müsst Ihr wissen. Es dauert oft Tage, mit ihnen über Geleitschutz zu verhandeln, und immer wollen sie viel Geld dafür. Mehr als das, was wir an Gütern geladen haben. Da kann ich meine Fracht auch gleich an die hai dao übergeben!«
Hilfesuchend wanderte Fortunes Blick über das Deck, doch Wang war nirgendwo zu entdecken.
»Euch und Eure Waffe müssen gewiss die Götter gesandt haben, werter Herr. Bitte, kommt an Bord, wir legen ab.«
Mit langen Schritten und eingezogenem Kopf marschierte Fortune durch den Bauch der Dschunke. Durch den mit Kisten und Säcken vollgestopften Laderaum, durch den Schwaden von Räucherwerk zogen. Auf die Kabine zu: die einzige an Bord und kaum mehr als ein mit Holzlatten abgetrennter Winkel unter Deck. In den bläulichen Qualm hinein, der in seinen Augen kratzte, in den Lungen brannte.
In der Tür blieb Fortune stehen. Der winzige Tisch bog sich unter Früchten und Gemüseknollen, unter Schalen mit würzig duftenden Gerichten und glimmenden Räucherstäbchen. Daneben stand ein Seemann, der Fortune über seine aneinander gelegten Hände entgegenblinzelte; sein Murmeln, das eben noch die Kabine gefüllt hatte, war jäh verstummt.
Um seinen Respekt für dieses Ritual zu bezeugen, legte Fortune ebenfalls die Handflächen aneinander und senkte den Kopf. Aus dem Augenwinkel sah er zu Wang; die Art, wie dieser geduckt zwischen seinen Siebensachen in der Koje kramte, verriet sein schlechtes Gewissen.
Der Seemann nahm sein Gebet wieder auf. In doppelter Geschwindigkeit, wie entrüstet, dass man ihn in seiner Andacht unterbrochen hatte; vielleicht spürte er auch die Spannung, die seit Fortunes Eintreten in der Luft knisterte.
Mit einer tiefen Verbeugung verabschiedete er sich, und Fortune schloss mit Nachdruck die Tür.
»hai dao?«
»Halb so wild«, wiegelte Wang ab, ohne ihn anzusehen. »Mal gibt es mehr, mal gibt es weniger davon hier. Und meistens sind sie auf lohnendere Schiffe aus als auf eine kleine Dschunke wie unsere.«
Fortune rieb sich über das Gesicht. »Warum in aller Welt hast du vorgeschlagen, über diesen Fluss nach Shanghai zu reisen? Nicht über den Fluss im Süden, über den wir hergekommen sind? Dann hätten wir auch eine kürzere Fahrt mit dem Ochsenkarren gehabt.«
Wang zog eines seiner Gewänder auseinander und begutachtete es gründlich, bevor er es akkurat wieder zusammenfaltete.
»hai dao gibt es überall, wo es Wasser gibt. Auf einem großen Fluss eben mehr als auf einem kleinen. Ist wie in einer großen Stadt. In der gibt es auch mehr Halunken als auf dem Land.«
Obwohl Wangs Gelassenheit die bedrohlichen Schilderungen des tung-chia auf Seemannsgarn zusammenschrumpfen ließ, fühlte Fortune sich nicht gänzlich beruhigt. Stumm sah er zu, wie Wang die Laken in der Koje glattstrich und sich dann der Fülle an Speisen auf dem Tisch zuwandte.
»Sieh nur: So viel gutes Essen haben wir geopfert! So reiche Gaben und so viel Räucherwerk. Die Götter werden mit uns sein!«
Er griff sich eine faustgroße Pflaume und biss herzhaft hinein. Fortune rieb sich erneut das Gesicht; er wusste nicht, was ihm mehr Kopfzerbrechen bereitete: seine Furcht vor den Beamten des Kaisers oder die Gerüchte über Piraten.
»Der Yangzi ist der schönste Abschied, den China dir machen kann«, nuschelte Wang mit vollem, safttriefendem Mund und versetzte Fortune einen aufmunternden Schlag in den Rücken. »Und außerdem bist du jetzt doch ein echter Abenteurer, ja?«
Der große und mächtige Strom des Yangtsekiang.
Wie groß, wie mächtig – davon hätte Fortune sich keine Vorstellung machen können, hätte er es nicht mit eigenen Augen gesehen, an Deck der Dschunke.
Gewaltig war dieser Strom, der sich durch die Landschaft schob, und nicht weniger majestätisch waren die Schluchten zu beiden Seiten, die Klippen und die bewaldeten Hänge. Von Farben und Texturen, die des Tags und in der Dämmerung an Smaragde und an Malachit erinnerten. An Aquamarine, Lapislazuli und Türkise, manchmal an das Braungold von Topasen, von der gleichen Leuchtkraft und Pracht, der gleichen Erhabenheit.
Eine starke Lebensader Chinas war der Yangtsekiang, langsam und doch mit überbordender Lebenskraft pulsierend. Nicht nur, indem er das Land zu seinen Ufern wässerte und nährte: Boote, Kähne und Dschunken trugen Reis und Getreide durch seine Fluten, Baumwolle, Tee, Süßkartoffeln, Holz und Bambus und alle Früchte des Sommers, begleitet von den Leibern der Delfine, die silbern im Wasser aufglänzten.
Unerschöpflich schien dieser Lebensstrom. In seiner Weite, seinem Reichtum. Endlos.
Doch er würde ein Ende nehmen, das wusste Fortune. Dort, wo sich seine Wasser mit denen des Meeres mischten, in Shanghai.
In den Nächten fühlte er die Macht des Yangtsekiang am stärksten. Wenn sich die Sterne im dunklen Wasser spiegelten und oben und unten eins waren, alles Himmel, alles im Fluss. Sobald Wolken den großen Strom zu einem finsteren Tunnel zusammenzogen, in dessen Sog Fortune dahinglitt.
In diesen Nächten spürte Fortune besonders stark, dass der Yangtsekiang ihn in die falsche Richtung trug: unaufhaltsam auf den Rand Chinas zu anstatt weiter hinein. Nicht in die Richtung, auf die sein innerer Kompass unbeirrt zuhielt.
Dann spürte er, wie klein und schwach er war, nicht mehr als eins der Lichtlein, die die Schiffe auf dem Yangtsekiang des Nachts beleuchteten. Zu klein und zu schwach, um den eingeschlagenen Kurs noch zu ändern.
72
Ungewohnt schweigsam stand Wang neben ihm an Deck.
Vielleicht, weil er ebenso ergriffen war von der hoheitsvollen Schönheit, die der Yangtsekiang Tag für Tag vor ihnen ausbreitete, stets neu, immer zeitlos. Vielleicht aber auch, weil ihm hier bewusst wurde, dass er seine Heimat einige Zeit nicht wiedersehen würde.
»Du vergisst mich doch nicht«, sagte Wang nach einiger Zeit, erstaunlich leise, erstaunlich kleinlaut, »wenn du wieder im Land der Barbaren bist?«
Fortune kniff die Augen zusammen, während sein Blick einem Delfin folgte, der zwischen den Wellen aufglänzte und dann wieder abtauchte.
»Als ob ich jemanden wie dich jemals vergessen könnte.« Ruppig ausgesprochen, verströmten seine Worte doch eine gewisse Wärme.
Wang gab sein meckerndes Lachen von sich, und auch um Fortunes Mund zuckte es.
»Du erzählst immer noch nichts von den Bergen von Huang. Von Lian.«
Wie ein scharfer Schnitt fuhr es durch Fortune hindurch, nahm ihm die Luft zum Atmen; so musste sich ein Schwerthieb anfühlen, der einen hinterrücks traf. Es war eine Sache, an sie zu denken; eine andere, ihren Namen ausgesprochen zu hören.
Getrennte Wege, das war seine schlichte Antwort auf die Fragen im Hause Wang gewesen, bei seiner Rückkehr. Die Wahrheit. Und doch fehlte darin alles, was diese Wahrheit ausmachte.
»Nein.«
Wang seufzte tief auf.
»Vielleicht führt dich die nächste Reise nach Indien? Indien hat die schönsten Mädchen der ganzen Welt.«
Fortune warf ihm einen zweifelnden Blick zu. »Woher willst du das wissen? Du warst doch noch nie dort.«