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Sie sah rasch zu Patrick hinüber; er hatte Ainslie ebenfalls gesehen und war offenbar zur selben Schlußfolgerung gelangt. Aber sie konnten jetzt nicht miteinander sprechen; ihre Führer drängten die Gruppe weiter.

Cynthia war davon überzeugt, daß auch Malcolm sie gesehen hatte, aber ihre Blicke waren sich nicht begegnet. Während sie mit den anderen weiterhastete, befanden ihre Gedanken sich in wildem Aufruhr. Worüber kann Malcolm mit Doil in dessen letzter Stunde sprechen wollen? Hat er etwa noch immer Zweifel, was Doils Täterschaft im Mordfall Ernst betrifft? Ist er deswegen hier, um Doil in letzter Minute die Wahrheit zu entlocken? Oder bin ich nur hysterisch, weil Ainslie aus ganz anderen Gründen hier ist? Unter Umständen hat sein Besuch gar nichts mit Doil zu tun. Aber das kann ich nicht glauben.

Die Gruppe betrat den durch eine Panzerglasscheibe von der Hinrichtungskammer abgetrennten Zeugenraum. Ein Gefängniswärter, der die Namen auf einer Liste abhakte, wies ihnen Metallklappstühle zu. Cynthia und Patrick saßen in der Mitte der ersten Reihe. Als alle ihre Plätze eingenommen hatten, blieb der Stuhl rechts neben Cynthia leer.

Ein weiterer Schock: Als die Aktivitäten im Hinrichtungsraum begannen, begleitete derselbe Gefängniswärter Malcolm Ainslie zu dem freien Sitz neben ihr. Cynthia spürte, daß er sie ansprechen wollte, weil er zu ihr hinübersah, und starrte weiter geradeaus. Patrick erwiderte jedoch Ainslies Blick und lächelte ihm sogar kurz zu. Cynthia glaubte nicht, daß sein Lächeln erwidert wurde.

Als die Hinrichtung begann, konnte sie sich nur teilweise darauf konzentrieren, weil ihr Verstand größtenteils noch immer benommen und durch hektische Gedanken blockiert war. Aber als Doils Körper dann unter Stromstößen von zweitausend Volt zuckte, fühlte Cynthia leichte Übelkeit in sich aufsteigen. Patrick schien die Hinrichtung geradezu faszinierend zu finden. Und dann war plötzlich alles unerwartet schnell vorbei. Der Hingerichtete wurde in einem Leichensack abtransportiert, und die Zeugen standen auf, um den Raum zu verlassen. In diesem Augenblick wandte Malcolm sich an Cynthia und sagte halblaut: »Commissioner, ich fühle mich verpflichtet, Ihnen mitzuteilen, daß ich kurz vor seiner Hinrichtung mit Doil über Ihre Eltern gesprochen habe. Er hat behauptet...«

Der Schock über diese jähe Bestätigung ihrer schlimmsten Befürchtungen war mehr, als sie verkraften konnte. Fast ohne zu wissen, was sie sagte, unterbrach Cynthia ihn: »Bitte, davon möchte ich nichts hören.« Dann fiel ihr ein, daß Doil angeblich auch ihre Eltern ermordet hatte. »Ich bin hergekommen, um ihn leiden zu sehen. Ich hoffe, daß er einen schweren Tod gehabt hat.«

»Den hat er gehabt.« Ainslies Stimme klang weiter ruhig.

Sie versuchte, ihre Autorität auszuspielen. »Dann bin ich zufrieden, Sergeant.«

»Ich verstehe, Commissioner.« Sein Tonfall verriet nicht, was er dachte.

Sie verließen den Zeugenraum. Draußen im Korridor machte Patrick einen unbeholfenen Versuch, sich Ainslie vorzustellen, den dieser kühl abwehrte; er zeigte, daß er wußte, wer Patrick war, und deutete an, er lege keinen Wert auf eine nähere Bekanntschaft.

Ihr kurzes Gespräch endete, als Ainslies Gefängnisbeamter erschien, um ihn hinauszubegleiten.

Im Bus, der die Zeugen nach Starke zurückbrachte, saß Cynthia neben Patrick, ohne ein Wort zu sagen. Sie wünschte sich jetzt, sie hätte Malcolm nicht unterbrochen, als er begonnen hatte: Ich habe mit Doil über Ihre Eltern gesprochen. Er hat behauptet...

Was hatte Elroy Doil behauptet? Vermutlich hatte er seine Unschuld beteuert. Aber hatte Ainslie ihm geglaubt? Würde er weiter nachforschen?

Plötzlich ein beunruhigender neuer Gedanke: Hatte sie etwa den größten Fehler ihres Lebens gemacht, als sie vor Jahren ihren höheren Dienstgrad eingesetzt hatte, um zu verhindern, daß Malcolm Ainslie vom Sergeant zum Lieutenant befördert wurde? Wahrhaftig eine Ironie des Schicksals! Hätte sie seine Beförderung nicht hintertrieben, wäre er schon lange nicht mehr bei der Mordkommission gewesen.

Jeder zum Lieutenant Beförderte wurde automatisch in eine andere Abteilung versetzt. Dann hätte Ainslie anderswo gearbeitet und nichts mit diesen Serienmorden zu tun gehabt. Die übrigen Beamten der Mordkommission, denen sein Spezialwissen fehlte, hätten wahrscheinlich keine Verbindung zwischen den Morden und der Offenbarung des Johannes erkannt, so daß auch vieles andere nicht geschehen wäre. Vor allem hätte Ainslie die Ermittlungen im Mordfall Ernst nicht weitergeführt, wie er's jetzt vielleicht tun würde.

Cynthia lief ein kalter Schauder über den Rücken. Konnte es sein, daß Malcolm Ainslie - für dessen Verbleiben in der Mordkommission sie wegen der lange zurückliegenden Fehleinschätzung gesorgt hatte - ihr eines Tages als Todesengel gegenübertreten würde?

Ob das wahrscheinlich oder auch nur möglich war, wußte sie nicht. Aber weil es überhaupt denkbar war und wegen allem, was er ihr angetan oder unterlassen hatte... und wegen allem, was er war und verkörperte... und aus so vielen anderen Gründen, die logisch oder unlogisch sein mochten, haßte, haßte, haßte sie ihn jetzt.

FÜNFTER TEIL

1

Seit Malcolm Ainslie sich entschlossen hatte, ein Spurensicherungsteam in das nur vorübergehend benutzte kleine Büro im Präsidium zu beordern, waren ungeheuerliche Entdeckungen gemacht worden.

Die Gegenstände in dem von Ruby Bowe geöffneten Pappkarton schienen zu beweisen, daß Patrick Jensen vor sechseinhalb Jahren seine Exfrau Naomi und ihren Freund Kilburn Holmes erschossen hatte. Jensen war damals sofort verdächtigt worden, aber die Kriminalbeamten hatten ihm diese Tat nicht nachweisen können.

Der Kartoninhalt bewies aber auch, daß Cynthia Ernst, damals noch Beamtin der Mordkommission, die Beweise für Jensens Verbrechen absichtlich unterschlagen hatte. Obwohl diese Funde Ainslie entsetzten und deprimierten, unterdrückte er seine persönlichen Empfindungen und wartete ungeduldig auf das Eintreffen der Spurensicherung.

Julio Verona, der Chef der Spurensicherung, der selbst einen Blick auf das werfen wollte, was Ainslie entdeckt hatte, sah sich den Kartoninhalt an und erklärte dann: »Hier können wir nichts untersuchen. Das ganze Zeug muß ins Labor.«

Lieutenant Newbold, den Ainslie ebenfalls verständigt und über seinen Fund informiert hatte, nickte zustimmend. »Okay, aber untersuchen Sie alles so schnell wie möglich - und warnen Sie Ihre Leute, daß diese Sache ultrageheim ist; es darf keine undichte Stelle geben.«

»Es gibt keine. Dafür garantiere ich.«

Zwei Tage später, an einem Donnerstag, kam Verona um neun Uhr morgens mit dem Karton und seinem Untersuchungsbericht in das kleine Büro zurück. Dort erwarteten ihn Ainslie, Newbold, Ruby Bowe und Curzon Knowles, der Leiter der für Mordsachen zuständigen Staatsanwaltschaft. In dem winzigen Raum war so wenig Platz, daß alle fünf nur stehen konnten.

»Ich will mit den Plastikbeuteln beginnen«, erklärte Verona den anderen. »Vier von ihnen tragen Cynthia Ernsts Fingerabdrücke.« Wie sie alle wußten, wurden die Fingerabdrücke von Polizeibeamten gespeichert und auch dann nicht gelöscht, wenn jemand aus dem Dienst ausschied.

Der Chef der Spurensicherung fuhr fort: »Nun zur Beschriftung der Aufkleber. Wir haben handschriftliche Aktennotizen aus der Zeit, als Commissioner Ernst noch Major gewesen ist, und unser Graphologe hat eine hundertprozentige Übereinstimmung festgestellt.« Er schüttelte den Kopf. »Dieser Leichtsinn... sie muß verrückt gewesen sein.«

»Sie hat nie geglaubt, daß jemand diese Sachen finden würde«, stellte Knowles fest.

»Bitte weiter«, forderte Newbold Verona auf. »Was ist mit dem Revolver?«

Der Chef der Spurensicherung berichtete über die weiteren Untersuchungsergebnisse: