»Natürlich. Aber was wäre, wenn Cynthias Bankkonto bei der hiesigen Steuerbehörde aktenkundig wäre?«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil's so ist!« Jensen schilderte, wie er einen Blick in Cynthias Aktenkoffer geworfen, die Kontounterlagen entdeckt und sich die wichtigsten Punkte notiert hatte. »Ich habe den Namen ihrer Bank, die Kontonummer, das damalige Guthaben und den Namen des Mannes, der ihr das Geld geschenkt hat. Dieser >Onkel Zachary< ist Gustav Ernsts Bruder, der auf den Cayman Islands lebt.«
»Jetzt kann ich mir vorstellen, wie du Bücher geschrieben hast«, sagte der Anwalt. »Wer hat die Steuerbehörde ins Spiel gebracht?«
»Cynthia selbst. Um nicht gegen amerikanische Gesetze zu verstoßen, hat sie sich an ihren Steuerberater gewandt - ich habe seinen Namen und seine Adresse in Fort Lauderdale -, der ihr mitgeteilt hat, alles sei okay, wenn sie die Zinsen als Einkommen angebe und versteuere. Das hat sie auch getan. Dazu gibt es ein Schreiben der Steuerbehörde.«
»Dessen Einzelheiten du bestimmt auch kennst.«
»Ja.«
»Erinnere mich daran«, sagte Cruz, »niemals meinen Aktenkoffer aus der Hand zu legen, wenn du in der Nähe bist.« Er lächelte schwach. »Obwohl diese Sache nicht viel Lustiges an sich hat, ist es fast amüsant, wie Cynthia Ernst im Bestreben, alles legal abzuwickeln, Fakten geschaffen hat, die sie belasten könnten. Andererseits beweist ihr vieles Geld überhaupt nichts, es sei denn...«
»Es sei denn?«
»Es sei denn, dein selbstgefälliges Grinsen - das mir übrigens nicht gefällt - würde bedeuten, daß du noch mehr hast. Also heraus damit!«
»Okay«, sagte Jensen. »Ich habe eine Tonbandaufnahme, ein anderes Tonband. Es liegt in einem Banksafe und enthält den Beweis für alles, was ich dir erzählt habe. Und alle Papiere, die ich erwähnt habe - der Prospekt mit Cynthias Handschrift, meine Aufzeichnungen über die Unterlagen aus ihrem Aktenkoffer und mein Flugticket -, liegen auch darin.«
»Schluß mit den Andeutungen!« Cruz beugte sich zu Jensen hinüber und flüsterte drohend: »Dies ist kein gottverdammtes Spiel, Patrick. Du könntest auf dem besten Weg zum elektrischen Stuhl sein, deshalb muß ich sofort wissen, ob du tatsächlich eine wichtige Aufnahme hast, verstanden?«
Jensen nickte eingeschüchtert; dann beschrieb er die Aufnahme, die er vor eindreiviertel Jahren bei dem Mittagessen in Boca Raton gemacht hatte. Damals hatte Cynthia sich damit einverstanden erklärt, Virgilio als Killer anzuheuern, und zugestimmt, Virgilio und Jensen je zweihunderttausend Dollar zu zahlen; sie hatte ihren eigenen Plan erläutert, den Mord an ihren Eltern als die Tat eines Serienmörders hinzustellen, und von Jensen erfahren, daß Virgilio den Rollstuhlmord verübt hatte - eine Tatsache, die sie ebenfalls für sich behalten hatte.
»Du lieber Himmel!« Der Anwalt schüttelte staunend den Kopf. »Zählt man das alles zusammen, könnte es alles ändern... Okay, natürlich nicht alles. Aber ziemlich viel.«
»Mein Mandant ist bereit, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, wenn ihm dafür bestimmte Gegenleistungen garantiert werden«, teilte Stephen Cruz dem Staatsanwalt mit, als sie wieder zu fünft im Vernehmungsraum der Mordkommission saßen.
»In welcher Beziehung will er mit uns zusammenarbeiten?« fragte Curzon Knowles. »Unser Beweismaterial reicht für eine Verurteilung Mr. Jensens wegen Mordes an Naomi Jensen und Kilburn Holmes aus. Meiner Überzeugung nach können wir wahrscheinlich sogar die Todesstrafe erwirken.«
Jensen wurde blaß. Er streckte eine Hand aus und berührte den Arm seines Anwalts. »Los, erzähl's ihm.«
Cruz drehte sich nach ihm um und funkelte ihn an.
»Was sollen Sie mir erzählen?« fragte Knowles mit schwachem Lächeln.
Cruz fand seine Selbstbeherrschung wieder. »Nun, aus meiner Sicht haben Sie sehr viel weniger Beweise, mit denen Sie Commissioner Cynthia Ernst konfrontieren können.«
»Ich weiß nicht, warum Sie sich darüber den Kopf zerbrechen, Steve, aber ich kann Ihnen versichern, daß sie ausreichen. Sie hat als Polizeibeamtin einem Verbrechen Vorschub geleistet, es geduldet und verheimlicht. Wir werden vermutlich zwanzig Jahre Haft beantragen.«
»Und womöglich einen Richter finden, der sie zu fünf oder auch nur zwei Jahren verurteilt. Sie könnte sogar auf Bewährung freikommen.«
»Eine Bewährungsstrafe ist ausgeschlossen, aber ich verstehe noch immer nicht... «
»Das wird Ihnen gleich klarwerden«, versicherte Cruz ihm. »Hören Sie sich bitte folgendes an: Kommt die Anklagebehörde ihm entgegen, kann mein Mandant dafür sorgen, daß Sie einen weit größeren Fisch an die Angel bekommen - Cynthia Ernst als Organisatorin des Mordes an ihren Eltern, Gustav und Eleanor Ernst.« Im Vernehmungsraum herrschte atemlose Stille. Alle Augen waren auf Cruz gerichtet. »Welches Strafmaß Sie dafür beantragen wollen, müßten Montesino und Sie entscheiden, Curzon - aber in diesem Fall könnten sie natürlich bis an die Höchstgrenze gehen.«
Anwälte und Staatsanwälte lernen frühzeitig, sich eisern zu beherrschen, und auch Knowles verzog keine Miene. Aber er zögerte merklich, bevor er fragte: »Und durch welche Hexerei wäre Ihr Mandant dazu imstande?«
»Er bewahrt in einem sicheren Geheimversteck zwei Schriftstücke, die Ms. Ernst belasten, und - noch wichtiger - eine unbearbeitete Tonbandkassette auf. Dieser Originalmitschnitt eines Gesprächs mit Cynthia Ernst enthält sämtliche Beweise, die Sie für eine Verurteilung brauchen.«
Mit Hilfe seiner Notizen faßte Cruz zusammen, welche Aussagen Cynthias das Band enthielt, ohne dabei Patrick Jensen oder den Rollstuhlmord zu erwähnen. Abschließend stellte er fest: »Außerdem wird auf dem Band als eine Art Dreingabe der Name eines Mannes genannt, der einen ganz anderen, bisher nicht aufgeklärten Mord verübt hat.«
»Ist Ihr Mandant in diese beiden weiteren Straftaten verwickelt?«
Der Anwalt lächelte. »Diese Frage möchte ich im Interesse meines Mandanten vorerst nicht beantworten.«
»Haben Sie diese angeblich existierende Aufnahme schon gehört, Counselor? Oder die versteckten Schriftstücke im Original gesehen?«
»Nein, bisher nicht.« Cruz hatte mit dieser Frage gerechnet. »Aber ich vertraue darauf, daß mein Mandant den Inhalt zutreffend wiedergegeben hat. Außerdem müßte über alles, worauf Sie und ich uns vielleicht einigen, neu verhandelt werden, falls das übergebene Beweismaterial doch weniger brauchbar wäre.«
»Dann wäre unsere Übereinkunft null und nichtig«, stellte Knowles fest.
Cruz zuckte mit den Schultern. »Vermutlich.«
»Aber nehmen wir mal an, dieses Material wäre brauchbar was würden Sie dafür erwarten?«
»Für meinen Mandanten? Nun, unter Berücksichtigung aller Umstände sollte die Anklage auf Totschlag lauten.«
Knowles warf seinen Kopf in den Nacken und lachte schallend. »Respekt, Steve! Das macht Ihnen so leicht keiner nach! Aber mir ist's ein Rätsel, wie Sie's schaffen, unter solchen Umständen eine milde Bestrafung vorzuschlagen, ohne dabei rot zu werden.«
Cruz zuckte mit den Schultern. »Ich halte meinen Vorschlag für vernünftig. Aber wie sieht Ihr Gegenangebot aus?«
»Ich habe keines, denn was wir tun konnten, haben wir getan«, erklärte Knowles ihm. »Alle weiteren Entscheidungen muß Adele Montesino treffen, die uns zu sich bestellen wird, vermutlich noch heute.« Der Staatsanwalt wandte sich an Ainslie. »Malcolm, wir machen Schluß. Ich muß dringend telefonieren.«
Knowles fuhr zu Generalstaatsanwältin Montesino, während Stephen Cruz in seine Kanzlei in der Innenstadt zurückkehrte und dort abrufbereit blieb.
Weil abzusehen war, daß das Police Department in diese Sache hineingezogen werden würde, hatte Lieutenant Newbold inzwischen Major Manolo Yanes, der als Leiter des Referats Verbrechen gegen Personen sein Vorgesetzter war, in groben Zügen über den Verdacht gegen Cynthia Ernst informiert. Yanes hatte seinerzeit mit Major Mark Figueras gesprochen, und der Leiter der Abteilung Verbrechensbekämpfung setzte sofort eine Besprechung in seinem Dienstzimmer an.