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Als Newbold mit Ainslie und Ruby Bowe eintraf, wurden sie bereits von Yanes und Figueras erwartet. Vom Kopfende seines rechteckigen Konferenztischs aus forderte Figueras nachdrücklich: »Wir müssen alles durchsprechen, was bisher bekannt ist - alles

Obwohl ihre Vorgesetzten regelmäßig über die Tätigkeit der Mordkommission informiert wurden, erfuhren sie aus Geheimhaltungsgründen selten Details laufender Ermittlungen. Auf Newbolds Aufforderung hin schilderte Ainslie jetzt jedoch seine frühen Zweifel in bezug auf den Mordfall Ernst, die sich bestätigt hatten, als Elroy Doil zwar vierzehn Morde gestanden, aber strikt geleugnet hatte, auch das Ehepaar Ernst ermordet zu haben. »Obwohl Doil uns natürlich als pathologischer Lügner bekannt war, habe ich mit Erlaubnis des Lieutenants weitere Nachforschungen angestellt.« Ainslie erläuterte, wie er die Ermittlungsakten durchforstet, Unstimmigkeiten gefunden und Bowe ins Metro-Dade Police Department und nach Tampa geschickt hatte.

Er nickte Ruby zu, die nun weiterberichtete, während Yanes und Figueras ihr aufmerksam zuhörten. Dann faßte Ainslie zusammen: »Die entscheidende Frage war: Hat Doil wirklich in allen Punkten außer dem Fall Ernst die Wahrheit gesagt? Seit sich das bestätigt hat, glaube ich, daß Doil nicht der Mörder der Ernsts ist.«

»Das ist natürlich kein Beweis«, sagte Figueras nachdenklich, »aber eine begründete Annahme, Sergeant, die ich teilen würde.«

Als nächstes ließ Ainslie Ruby Bowe schildern, wie sie die am Tatort beschlagnahmten Papiere gesichtet, dabei erschreckende Aufschlüsse über Cynthias Kindheit erhalten und zuletzt einen ganzen Karton voller Beweise für den von Patrick Jensen verübten Doppelmord entdeckt hatte - Beweismaterial, das Cynthia Ernst absichtlich unterschlagen hatte.

Abschließend schilderte Ainslie, wie Jensen heute verhaftet worden war, worauf er Cynthia Ernst belastet und angeboten hatte, dem Staatsanwalt Schriftstücke und ein Tonband zu übergeben.

Obwohl Yanes und Figueras als Veteranen abgebrüht waren, wirkten beide wie vor den Kopf geschlagen. »Haben wir irgendeinen Beweis dafür«, fragte Yanes, »daß Cynthia Ernst in den Mord an ihren Eltern verwickelt ist?«

»Vorerst nicht, Sir«, gab Ainslie zu. »Daher sind Jensens Tonband und die Schriftstücke - falls sie so belastend sind, wie sein Anwalt behauptet - ungeheuer wichtig. Morgen müßte der Staatsanwalt das ganze Material haben.«

»Okay, das muß ich erst mal nach oben weitermelden«, entschied Figueras. Er sah zu Newbold hinüber. »Sollte wirklich ein City Commissioner verhaftet werden, müssen wir sehr behutsam vorgehen. Diese Sache ist verdammt heiß.« Er nahm seine Brille ab, rieb sich die Augen und murmelte: »Mein Vater wollte immer, daß ich Arzt werde.«

»Wir wollen keine Zeit mit Spielchen vergeuden«, sagte Floridas Generalstaatsanwältin Adele Montesino streng zu Stephen Cruz. »Curzon hat mir von Ihrer verrückten Idee erzählt, Ihr Mandant könnte sich wegen Totschlags schuldig bekennen. Okay, Sie haben sich einen kleinen Scherz erlaubt, aber jetzt befassen wir uns mit der Realität. Mein Angebot lautet folgendermaßen: Ist das Beweismaterial, das Ihr Mandant uns anbietet, so gut, wie er behauptet, und ist er bereit, es vor Gericht durch seine Aussage zu bestätigen, verzichten wir darauf, für ihn die Todesstrafe zu beantragen.«

»Halt, nicht so schnell!« protestierte Cruz mit erhobener Stimme.

An diesem Spätnachmittag saßen sie in Montesinos imponierendem Büro mit mahagonigetäfelten Wänden und Bücherschränken voller gewichtiger juristischer Fachwerke. Das große Fenster führte auf einen Innenhof mit einem Springbrunnen hinaus; dahinter waren Bürohochhäuser und in der Ferne das Meer zu sehen. Als Eßtisch hätte Montesinos riesiger Schreibtisch zwölf Personen Platz geboten. In einem nach allen Richtungen dreh- und kippbaren Ledersessel hinter dem Schreibtisch saß die Generalstaatsanwältin - eine kleine, untersetzte Gestalt, die ihrem beruflichen Spitznamen »Bullterrier« wieder einmal alle Ehre machte.

Stephen Cruz, der Curzon Knowles rechts neben sich hatte, saß Montesino gegenüber.

»Halt, nicht so schnell!« wiederholte Cruz. »Das ist kein Entgegenkommen, denn mein Mandant hat ein Verbrechen aus Leidenschaft verübt... Sie erinnern sich an Leidenschaft, Adele -Liebe und Haß.« Dabei lächelte er plötzlich.

»Danke, daß Sie mich daran erinnert haben, Steve.« Montesino, die nur wenige mit ihrem Vornamen anzusprechen wagten, war dafür bekannt, Sinn für Humor und Wortgefechte zu haben. »Aber ich möchte auch Sie an etwas erinnern: an die Möglichkeit, daß Ihr Mandant in ein weiteres Schwerverbrechen verwickelt ist - in den Fall Ernst, bei dem eindeutig Mord vorliegt. Unter diesen Umständen ist mein Angebot, nicht die Todesstrafe zu beantragen, sogar großzügig.«

»Um das beurteilen zu können«, wandte Cruz ein, »müßte man die Alternative kennen.«

»Die kennen Sie genau. Lebenslänglich.«

»Aber doch wenigstens mit einer Anmerkung - mit einer bei der Urteilsverkündung ausgesprochenen Empfehlung, dem Gouverneur nach zehn Jahren eine Begnadigung nahezulegen?«

»Ausgeschlossen!« wehrte Montesino ab. »Das gibt's nicht mehr, seit wir den Bewährungsausschuß abgeschafft haben.«

Wie alle drei wußten, hatte Cruz damit eine sehr entfernte Möglichkeit angesprochen. Seit 1995 bedeutete lebenslänglich in Florida genau das, was das Wort besagte - lebenslängliche Haft. Gewiß, jeder Häftling konnte nach zehn Jahren ein Gnadengesuch einreichen, aber für die meisten - insbesondere für Mörder - bestand kaum Hoffnung, daß der Gouverneur sie begnadigen würde.

Falls Cruz enttäuscht war, ließ er sich nichts anmerken. »Übersehen Sie dabei nicht etwas? Angesichts dieser schlimmen Alternativen könnte mein Mandant beschließen, die Beweise nicht vorzulegen und seine Chance im Schwurgerichtsverfahren zu suchen.«

Montesino nickte Knowles zu. »Über diese Möglichkeit haben wir schon gesprochen«, sagte der Staatsanwalt. »Unserer

Überzeugung nach führt Ihr Mandant einen persönlichen Rachefeldzug gegen Ms. Ernst und würde das Belastungsmaterial auf jeden Fall vorlegen.«

»Wir sind bereit, über eine Absprache wegen des Strafmaßes nachzudenken«, fügte Adele Montesino hinzu, »sobald alle Beweise auf dem Tisch liegen und wir wissen, was Ihr Mandant wirklich verbrochen hat. Aber über mein Angebot hinausgehende Garantien wird's nicht geben. Also Schluß mit den Spitzfindigkeiten, Schluß mit dieser Diskussion. Auf Wiedersehen, Counselor.«

Knowles begleitete Cruz hinaus. »Wollen Sie unser Angebot annehmen, müssen Sie sich schnell melden - und mit >schnell< meine ich noch heute.«

»Mein Gott, für den Rest meines Lebens hinter Gitter! Das ist unmöglich, unvorstellbar!« jammerte Jensen.

»Es mag unvorstellbar sein«, sagte Stephen Cruz, »aber in deinem Fall ist's nicht unmöglich. Das ist der beste Deal, den ich für dich rausholen konnte, und wenn du nicht lieber auf den elektrischen Stuhl willst, mit dem du nach der Sachlage rechnen mußt, rate ich dir, dieses Angebot anzunehmen.« Wie Cruz aus Erfahrung wußte, kam im Gespräch mit Mandanten, denen man unangenehme Wahrheiten mitzuteilen hatte, irgendwann der Zeitpunkt für klare, deutliche Worte.

Die beiden saßen im Dade-County-Gefängnis in einem Vernehmungsraum. Jensen war in Handschellen aus seiner Zelle hergebracht worden, in die er aus dem nur einen Wohnblock entfernten Polizeipräsidium verlegt worden war. Draußen war es bereits dunkel. Für diesen späten Besuch hatte Cruz eine Sondergenehmigung gebraucht, aber ein Anruf der Staatsanwaltschaft hatte ihm den Weg geebnet.