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Gewiß, es hatte warnende Anzeichen gegeben. Malcolm erinnerte sich an die düsteren Vorahnungen, mit denen er Ruby Bowe vor einem Monat den Auftrag erteilt hatte, den Inhalt der nach der Tat in der Villa der Ernsts beschlagnahmten Kartons zu sichten. Damals hatten sie bereits gewußt, daß Doil nicht der Mörder des Ehepaars Ernst gewesen war, und bei dieser Gelegenheit hatte er flüchtig daran gedacht, Cynthia könnte in die Morde verwickelt sein. Er hatte seinen Verdacht für sich behalten, weil er ihn selbst für unwahrscheinlich hielt, und später nicht weiterverfolgt. Aber nun hatte ihn die Wirklichkeit eingeholt.

Was mußte er jetzt tun? Selbstverständlich hatte er keine Wahl. Obwohl er Cynthia bemitleidete, weil sie so viel durchgemacht hatte, und sogar ihren Haß auf ihre Eltern verstand, konnte er deren Ermordung niemals billigen. Wie in diesem Augenblick würde er tun, was er tun mußte - aber kummervoll und unter Schmerzen.

Trotz aller Konflikte und emotionaler Wirren hatte er jedoch einen festen Entschluß gefaßt.

Vor eineinhalb Jahren hatte Karen ihn nach Doils letztem Doppelmord gefragt: »Oh, Liebling, wieviel mehr kannst du ertragen?« Und er hatte geantwortet: »Von der Art wie heute abend nicht mehr viel.«

Diese Antwort war eine Ausflucht gewesen, das hatten sie beide gespürt. Aber noch heute würde er Karen eine andere, differenziertere Antwort geben. Sie würde lauten: Liebste, ich habe genug. Dies ist mein letzter Mordfall.

Im Augenblick konzentrierte er sich jedoch darauf, Adele Montesinos Frage zu beantworten: Erzählen Sie uns bitte, wann und wie Sie erstmals...

»Als Leiter einer Sonderkommission, die zur Aufklärung einer Mordserie gebildet worden war.«

»Und hat es so ausgesehen, als sei auch das Ehepaar Ernst diesem Serienmörder zum Opfer gefallen?«

»Anfangs ja.«

»Und später?«

»Später sind begründete Zweifel aufgetaucht.«

»Können Sie uns diese Zweifel näher erläutern?«

»Wir Ermittler sind allmählich zu der Auffassung gelangt, der wahre Täter habe versucht, den Mord an dem Ehepaar Ernst als weitere Tat eines Serienmörders hinzustellen, gegen den wir damals ermittelt haben. Letztlich hat das jedoch nicht geklappt.«

»Sie haben eben >wir Ermittler< gesagt, Sergeant. Stimmt es, daß Sie ursprünglich als einziger Kriminalbeamter bezweifelt haben, auch die Ernsts seien Opfer dieses Serienmörders geworden?«

»Ja, Ma'am.«

»Ich wollte Ihnen nicht zuviel Bescheidenheit durchgehen lassen«, sagte Montesino lächelnd, und einige der Geschworenen lächelten ebenfalls.

»Stimmt es auch, Sergeant Ainslie, daß ein Gespräch, das Sie mit Elroy Doil, einem überführten Serienmörder, vor seiner Hinrichtung geführt haben, bei Ihnen den Verdacht geweckt hat, die Ermordung der Ernsts gehöre nicht zu dieser Mordserie, und Sie bei weiteren Ermittlungen die Gewißheit gewonnen haben, Cynthia Ernst habe den Doppelmord geplant und dafür einen Killer angeheuert?«

Ainslie war entsetzt. »Damit überspringen Sie schrecklich viele... «

»Sergeant!« unterbrach Montesino ihn. »Bitte beantworten Sie meine Frage einfach mit ja oder nein. Ich denke, Sie haben sie verstanden, aber wenn Sie wollen, kann die Stenografin sie Ihnen nochmals vorlesen.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich habe sie gehört.«

»Und die Antwort?«

»Ja«, sagte Ainslie unbehaglich.

Er wußte, daß das eine klassische Suggestivfrage gewesen war: Sie ließ Tatsachen aus und war der Beschuldigten gegenüber unfair. Vor Gericht wäre der Verteidiger aufgesprungen und hätte Einspruch erhoben, dem jeder Richter stattgegeben hätte. Aber bei Verhandlungen der Anklagekammer gab es keine Einsprüche, weil keine Verteidiger zugelassen waren - auch keine Beschuldigten. Soviel bekannt war, wußte die Beschuldigte - Cynthia Ernst -nicht einmal, daß diese Verhandlung stattfand.

Eine weitere Tatsache: Staatsanwälte legten der Anklagekammer beliebig viel oder wenig Beweismaterial vor; im allgemeinen gaben sie nur das absolute Minimum preis. Und wenn sie einen Anklagebeschluß für sich behielten, arbeiteten sie mit Tricks, wie Montesino es jetzt tat, um das Verfahren zu beschleunigen.

Ainslie, der schon mehrmals vor Anklagekammern ausgesagt hatte, mißfiel diese Einrichtung von Mal zu Mal mehr, und er wußte, daß viele Polizeibeamte sein Unbehagen teilten, weil auch sie fanden, das System der Anklagekammern sei einseitig und nicht mit unparteiischer Rechtsprechung vereinbar.

Obwohl Adele Montesino das Verfahren zu straffen versuchte, gingen die Zeugenbefragungen zwei Stunden lang weiter. Malcolm Ainslie war nach knapp einer Stunde entlassen und hinausgeschickt worden; er mußte sich allerdings zur Verfügung halten, weil er später nochmals aussagen sollte. Was andere Zeugen darlegten, durfte er nicht hören; außer den Geschworenen waren nur die Justizangestellten der Anklagekammer während der gesamten Verhandlung zugelassen.

Das Tatmotiv für den Doppelmord - Cynthia Ernsts lebenslanger Haß auf ihre Eltern - erläuterte Detective Ruby Bowe, die in einem chicen Leinenkostüm auftrat, alle Fragen sorgfältig abwog und sich gewandt ausdrückte.

Bowe schilderte, wie sie Eleanor Ernsts geheime Tagebücher entdeckt hatte, aber Adele Montesinos Fragen hörten vor Cynthias Schwangerschaft auf. Statt dessen übersprang Bowe auf Drängen Montesinos, die Eleanors Tagebücher offenbar im Klartext kannte, viele Jahre und las einen wichtigen Eintrag vor: Ich habe Cynthia manchmal dabei ertappt, daß sie uns anstarrt. Aus ihrem Blick scheint finsterer Haß auf uns beide zu sprechen... Manchmal glaube ich, daß sie etwas mit uns vorhat, um sich an uns zu rächen, und habe Angst. Cynthia ist sehr clever, viel cleverer als wir beide.

Bowe erwartete, auch über Cynthias Schwangerschaft und die Geburt ihres Kindes befragt zu werden, aber Montesino sagte: »Danke, Detective, das war alles.«

Als Ruby Bowe später mit Ainslie über die Auslassung diskutierte, stellte er nüchtern fest: »Die Tatsache, daß Cynthia von ihrem Vater schwanger gewesen ist, hätte allzu viele Sympathien für sie wecken können. Als Staatsanwältin darf man das nicht zulassen.«

Um die Glaubwürdigkeit der Tonbandaufnahme zu untermauern, befragte die Generalstaatsanwältin als nächsten Zeugen Julio Verona, den Chef der Spurensicherung im Miami Police Department. Nachdem er sich als Fachmann ausgewiesen hatte, fuhr Montesino fort: »Soviel ich weiß, haben Ihre Tests bewiesen, daß auf dem Tonband, das Sie uns vorspielen werden, tatsächlich die Stimmen Cynthia Ernsts und Patrick Jensens zu hören sind. Ist das richtig?«

»Ja, das stimmt.«

»Bitte beschreiben Sie uns die Tests und Ihre Schlußfolgerungen daraus.«

»In unserem Archiv hatten wir bereits Aufnahmen von Commissioner Ernst aus ihrer Zeit als Kriminalbeamtin sowie von Mr. Jensen, der einmal wegen einer anderen Sache vernommen worden war. Diese Aufnahmen haben wir mit der vorhin von Ihnen erwähnten verglichen.« Verona erläuterte, mit welchen technischen Mitteln der Stimmenvergleich vorgenommen worden war, und stellte abschließend fest: »Die beiden Stimmen waren jeweils identisch.«

»Und jetzt spielen wir Ihnen das Tonband vor, das zum Beweismaterial in diesem Fall gehört«, erklärte Montesino den Geschworenen. »Hören Sie bitte aufmerksam zu, aber falls Sie irgendeine Stelle noch mal hören wollen, können wir das Band beliebig oft abspielen.«

Verona blieb da, um den mitgebrachten Recorder zu bedienen. Sobald Patrick Jensen und Cynthia Ernst zu hören waren - erst bei ihrer Bestellung, dann etwas leiser, als sie über den Kolumbianer Virgilio sprachen -, konzentrierten alle Geschworenen sich sichtlich darauf, jedes Wort mitzubekommen. Als Cynthia protestierte, nachdem Jensen ihr erzählt hatte, daß Virgilio der Rollstuhlmörder war - Halt die Klappe! Erzähl's mir nicht. Ich will nichts davon wissen. -, rief ein hispanischer Geschworener laut: »Pues ya lo sabe!« Und seine Nachbarin, eine junge Blondine, fügte hinzu: »Aber das Biest hat's für sich behalten!«