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»Heute sehen Sie eine weitere«, sagte Hambrick. »Doil hat Sie als Zeugen benannt, und das Gesuch ist genehmigt worden.«

»Mich hat keiner gefragt«, wandte Ainslie ein. »Aber darauf kommt's vermutlich nicht an.«

Hambrick zuckte mit den Schultern. »Ich habe mit Doil gesprochen. Er scheint ein besonderes Verhältnis zu Ihnen zu haben. Ich weiß nicht, ob Bewunderung das richtige Wort ist; Respekt wäre wohl besser. Sind Sie ihm irgendwie nähergekommen?«

»Niemals!« stellte Ainslie nachdrücklich fest. »Ich habe den Hundesohn wegen Mordes verhaftet - das war alles. Außerdem haßt er mich. Während der Verhandlung hat er mich tätlich angegriffen und wüst beschimpft.«

»Spinner wie Doil wechseln ihre Einstellung wie Sie und ich die Gänge im Auto. Er denkt jetzt ganz anders von Ihnen.«

»Macht keinen Unterschied. Ich bin nur hier, um ein paar Antworten zu hören, bevor er stirbt. Ansonsten empfinde ich null für den Kerl.«

Sie gingen weiter, während Hambrick das Gehörte verarbeitete. Dann fragte er: »Stimmt es, daß Sie früher Geistlicher gewesen sind?«

»Ja. Hat Doil Ihnen das erzählt?«

Der Lieutenant nickte. »Aus seiner Sicht sind Sie das noch immer. Ich bin dabeigewesen, als er gestern abend nach Ihnen verlangt hat. Er hat dabei aus der Bibel zitiert - irgendwas mit Rache und Vergeltung.«

»Ja«, bestätigte Ainslie, »das ist aus dem Brief des Paulus an die Römer: >Gebet Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.<«

»Genau! Danach hat Doil Sie als >Gottes rächenden Engel< bezeichnet, und da wurde mir bewußt, daß Sie ihm mehr bedeuten als ein Geistlicher. Hat Pater Uxbridge Ihnen das alles am Telefon erzählt?«

Ainslie schüttelte den Kopf; er fand diese Umgebung deprimierend und wünschte sich, er säße mit Karen und Jason daheim beim Frühstück. Nun, immerhin hatte er jetzt eine Erklärung für Ray Uxbridges Feindseligkeit am Telefon und seine Ermahnung, ja nicht aus der Rolle zu fallen.

Unterdessen hatten sie den allgemein als Death House bezeichneten Todestrakt erreicht. Er umfaßte drei Geschosse eines Zellenblocks und enthielt die Death Row, in der zum Tode Verurteilte lebten, solange ihr Fall durch die Instanzen ging, und später auf ihre Hinrichtung warteten. Ainslie kannte auch die übrigen Einrichtungen: die spartanische »Bereitschaftszelle«, in der jeder Todeskandidat die letzten fünfundsechzig Stunden seines Lebens unter ständiger Beobachtung verbrachte; den Vorbereitungsraum, in dem sein Kopf und das rechte Bein rasiert wurden, damit sie elektrisch besser leiteten; und schließlich den Hinrichtungsraum mit dem elektrischen Stuhl, mehreren Sitzreihen für die Zeugen und der von außen nicht einsehbaren Scharfrichterkabine.

Im Hinrichtungsraum, das wußte Ainslie, liefen seit einigen Stunden die letzten Vorbereitungen. Als erster würde der Chefelektriker eingetroffen sein, um den elektrischen Stuhl an die Stromversorgung anzuschließen und die Spannung, die Sicherungen und den Schalter zu überprüfen, mit dem der Scharfrichter, der eine schwarze Robe mit Kopfhaube trug, zweitausend Volt in automatischen Achtsekundenstößen in den Kopf des Verurteilten schickte. Die starken Stromstöße führten innerhalb von zwei Minuten den Tod herbei - nach angeblich sofort und schmerzlos eintretender Bewußtlosigkeit. Ob der Vorgang wirklich schmerzlos war, stand nicht fest, aber diese Zweifel ließen sich nicht ausräumen, weil noch niemand auf dem elektrischen Stuhl überlebt hatte, um darüber Auskunft zu geben.

Ebenfalls im Hinrichtungsraum, in Sichtweite des elektrischen Stuhls, befand sich ein rotes Telefon. Unmittelbar vor der Hinrichtung sprach der Gefängnisdirektor an diesem Telefon mit dem Gouverneur des Bundesstaates Florida, um seine Genehmigung für die bevorstehende Hinrichtung einzuholen. Der Gouverneur konnte seinerseits den Direktor noch Stunden vor der Betätigung des Todesschalters anrufen und einen Aufschub der Exekution anordnen - vielleicht wegen in letzter Minute aufgetauchter neuer Beweise, einer Entscheidung des Obersten Gerichts oder sonstiger juristischer Gründe. Das hatte es schon früher gegeben, und es konnte auch heute passieren.

Eine ungeschriebene und inoffizielle Regel besagte, daß jede Hinrichtung um eine Minute hinausgezögert wurde - eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, daß das rote Telefon einige Sekunden zu spät klingelte. Daher würde die für 7.00 Uhr angesetzte Hinrichtung Doils in Wirklichkeit erst um 7.01 Uhr stattfinden.

»Wir sind da«, kündigte Hambrick an. Sie standen vor einer massiven Holztür, die er aufsperrte, bevor er den Lichtschalter betätigte. Aufflammende Leuchtstoffröhren erhellten einen fensterlosen quadratischen Raum mit etwa sieben Meter Seitenlänge. Die Einrichtung bestand aus einem schmucklosen Holzschreibtisch, hinter dem ein Drehstuhl mit hoher Rückenlehne stand, einem schweren Metallstuhl, der vor dem Schreibtisch auf dem Fußboden festgeschraubt war, und einem kleinen Beistelltisch. Das war alles.

»Der Super benutzt dieses Büro nicht oft«, sagte Hambrick. »Nur vor Hinrichtungen.« Er deutete auf den Drehstuhl hinter dem Schreibtisch. »Dort sitzen Sie, Sergeant. Ich bin gleich wieder da.«

Sobald der Lieutenant hinausgegangen war, stellte Ainslie das unter seiner Jacke verborgene Tonbandgerät an.

Hambrick war in weniger als fünf Minuten zurück. Begleitet wurde er von zwei Gefängniswärtern, die eine Gestalt, die Ainslie erkannte, halb führten und halb stützten. Doil trug eine Fußkette und Handschellen, die an einem straff angezogenen Ledergurt befestigt waren. Hinter diesem Trio tauchte Pater Uxbridge auf.

Ainslie hatte Elroy Doil seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen - seit der Urteilsverkündung durch Richter Olivadotti. In der Zwischenzeit war in Doil eine dramatische Veränderung vor sich gegangen. Vor Gericht war er körperlich robust, groß und kräftig erschienen und entsprechend aggressiv aufgetreten, aber jetzt schien sein Zustand sich ins Gegenteil verkehrt zu haben. Sein Rücken war krumm, die Schultern hingen herab, sein Körper war abgemagert, sein Gesicht hager und eingefallen. Aus seinem unstet flackernden Blick sprach nicht mehr Aggressivität, sondern nervöse Unsicherheit. Sein Kopf war für die Hinrichtung kahlrasiert worden, und diese unnatürliche rosa Vollglatze verstärkte sein elendes Aussehen.

Der Anstaltsgeistliche trat vor; er trug eine Soutane und hielt ein Brevier in der Hand. Pater Uxbridge war ein großer, breitschultriger Mann mit edlen Gesichtszügen und einer Ausstrahlung, an die Ainslie sich von früheren Begegnungen her erinnerte. Er wandte sich an Doil, ohne Ainslie eines Blickes zu würdigen.

»Mr. Doil, ich bin bereit, mit Ihnen auszuharren, um Ihnen Gottes Trost zu spenden, solange es die Umstände gestatten. Ich möchte Sie nochmals daran erinnern, daß Sie nicht verpflichtet sind, irgendeine Aussage zu machen oder Fragen zu beantworten.«

»Augenblick!« sagte Ainslie, sprang aus dem Drehstuhl auf und kam um den Schreibtisch herum. »Doil, ich bin acht Stunden lang aus Miami hergefahren, weil Sie mich sprechen wollten. Pater Uxbridge hat gesagt, Sie hätten mir etwas mitzuteilen.«

Ainslie fiel auf, daß Doils Hände ineinanderverkrampft und seine Handgelenke von den engen Handschellen aufgeschürft waren. Er sah zu Hambrick hinüber und zeigte auf die Handschellen. »Können Sie ihm die nicht abnehmen lassen, während wir miteinander reden?«

Der Lieutenant schüttelte den Kopf. »Sorry, Sergeant, das geht nicht. Seit Doil hier ist, hat er drei unserer Leute zusammengeschlagen. Einer war sogar krankenhausreif.«

Ainslie nickte. »Okay, dann lieber nicht.«

Doil hob den Kopf, als Ainslie sprach. Vielleicht lag es an seinem humanen Vorschlag, ihm die Handschellen abzunehmen, oder am Tonfall von Ainslies Stimme... jedenfalls sank Doil plötzlich auf die Knie und wäre nach vorn gefallen, wenn die Wärter ihn nicht gestützt hätten. Im nächsten Augenblick schob er sein Gesicht an eine Hand Ainslies heran und bemühte sich vergeblich, sie zu küssen. Zugleich murmelte er undeutlich: »Vergeben Sie mir, Pater, denn ich habe gesündigt...«