Выбрать главу

Pater Uxbridge wollte sich mit zornrotem Gesicht zwischen die beiden drängen. »Nein, nein, nein!« schrie er Ainslie an. »Das ist Gotteslästerung!« An Doil gewandt fügte er eindringlich hinzu: »Dieser Mann ist kein... «

»Klappe halten!« knurrte Ainslie ihn an. Zu Doil sagte er ruhiger: »Ich bin kein Geistlicher mehr. Das wissen Sie. Aber wenn Sie mir etwas gestehen wollen, bin ich bereit, Ihnen als Mensch zuzuhören.«

»Sie dürfen ihm keine Beichte abnehmen!« protestierte Uxbridge erneut. »Dazu haben Sie kein Recht!«

Doil wandte sich wieder an Ainslie. »Pater, ich habe...«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß er kein Pater ist!« rief Uxbridge erregt.

Doil murmelte etwas, und Ainslie verstand die Worte: »Er ist Gottes rächender Engel...«

»Das ist Gotteslästerung!« wiederholte Uxbridge. »Das lasse ich nicht zu!«

Doil sah sich plötzlich nach ihm um. »Verpiß dich!« fauchte er Uxbridge an. Dann rief er Hambrick und den beiden Wärtern zu: »Schafft dieses Arschloch hier raus!«

Der Lieutenant wandte sich an Uxbridge. »Sie müssen leider gehen, Pater. Wenn er Sie nicht dabeihaben will, ist das sein gutes Recht.«

»Ich gehe nicht!«

Hambricks Stimme klang schärfer. »Bitte, Pater. Ich möchte Sie nicht gewaltsam entfernen lassen müssen.«

Auf sein Zeichen hin ließ einer der beiden Wärter Doil los und ergriff Uxbridges Arm.

Der Pater riß sich los. »Fassen Sie mich nicht an! Ich bin ein Priester, ein Mann Gottes!« Während der Gefängniswärter unsicher zögerte, baute Uxbridge sich vor Hambrick auf. »Das werden Sie noch bereuen! Ich werde den Gouverneur persönlich von Ihrem unmöglichen Verhalten in Kenntnis setzen.« Ainslie fauchte er an: »Die Kirche kann froh sein, Sie losgeworden zu sein.« Nach einem aufgebrachten letzten Blick in die Runde verließ er endlich den Raum.

Elroy Doil, der weiter vor Ainslie auf den Knien lag, begann erneut: »Vergeben Sie mir, Pater, denn ich habe gesündigt. Zuletzt gebeichtet hab' ich vor... Scheiße, das weiß ich nicht mehr.«

Unter anderen Umständen hätte Ainslie wahrscheinlich gelächelt, aber jetzt war er hin- und hergerissen. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Er wollte hören, was Doil zu sagen hatte aber nicht als Hochstapler.

Dann machte Hambrick nach einem Blick auf seine Uhr einen Vorschlag, aus dem gesunder Menschenverstand sprach. »Wollen Sie alles hören, sollten Sie ihn reden lassen, wie er will.«

Ainslie zögerte noch immer und wünschte sich, dieser Augenblick wäre unter anderen Umständen eingetreten.

Aber er wollte es wissen; er wollte Erkenntnisse und Einsichten in bezug auf so viele Ereignisse, die vor so langer Zeit begonnen hatten.

Angefangen hatte alles vor zwei Jahren in Coconut Grove, einem Stadtteil von Miami - an einem kühlen Januarmorgen kurz nach sieben Uhr.

ZWEITER TEIL. DIE VERGANGENHEIT

1

Orlando Cobo, ein fünfzigjähriger Wachmann des Hotels Royal Colonial in Coconut Grove, war müde. Er war froh, bald nach Hause fahren zu können, als er bei seinem Routinerundgang kurz vor sieben Uhr den achten Stock betrat. Hinter ihm lag eine verhältnismäßig ruhige Nacht mit nur drei unbedeutenden Vorfällen während seiner Achtstundenschicht.

Sicherheitsprobleme, die mit Jugend, Sex oder Drogen zusammenhingen, gab es im Royal Colonial nur sehr selten. Seine Klientel bestand hauptsächlich aus gesetzten, wohlhabenden Gästen mittleren Alters, denen die altmodisch ruhige Hotelhalle, die massenhaft herumstehenden tropischen Pflanzen und der Zuckerbäckerstil des alten Gebäudes gefielen.

In gewisser Weise war das Hotel ein Spiegelbild des Stadtteils Coconut Grove, in dem es stand - eine manchmal disharmonische Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart. Hier drängten sich baufällige Holzhäuser neben einst exklusiven, eleganten Stadthäusern; winzige Secondhandshops befanden sich unmittelbar neben teuren Galerien und Boutiquen; Schnellimbißbuden mit Straßenverkauf befanden sich in Nachbarschaft von Luxusrestaurants; überall lebten Arm und Reich auf Tuchfühlung nebeneinander. Coconut Grove, Floridas älteste Siedlung - zwanzig Jahre älter als Miami -, schien nicht nur einen Charakter, sondern viele zu haben, die alle undiszipliniert miteinander konkurrierten.

Das alles kümmerte Cobo nicht, als er aus dem Aufzug trat und den Flur im achten Stock entlangging. Er war weder Philosoph noch Einwohner von Coconut Grove, sondern kam jeden Tag aus North Miami zur Arbeit. Bis jetzt schien hier alles in bester Ordnung zu sein, und er begann schon, sich auf die geruhsame Heimfahrt zu freuen.

Als er sich dann der Feuertreppe am Ende des Korridors näherte, fiel ihm auf, daß die Tür von Zimmer 805 nur angelehnt war. Aus dem Zimmer drang laute Musik, als sei das Radio oder der Fernseher eingeschaltet. Er klopfte an die Tür, und als niemand antwortete, stieß er sie weit genug auf, um den Kopf ins Zimmer strecken zu können, und würgte angewidert, weil ihm grausiger Gestank entgegenschlug. Cobo bedeckte seinen Mund mit einer Hand, betrat Zimmer 805 und bekam bei dem Anblick, der sich ihm dort bot, ganz weiche Knie. Unmittelbar vor sich sah er in einer großen Blutlache die Leichen eines Mannes und einer Frau - beide von abgetrennten Gliedmaßen umgeben.

Cobo schloß hastig die Tür, atmete mehrmals tief durch und griff dann nach dem Telefon in der Halterung an seinem Gürtel. Er tippte die 911 ein.

In der Notrufzentrale der Miami Police hörte eine Sachbearbeiterin zu, wie Orlando Cobo einen mutmaßlichen Doppelmord im Hotel Royal Colonial meldete.

»Sie sind dort Wachmann, sagen Sie?«

»Ja, Ma'am.«

»Wo sind Sie jetzt?«

»Draußen vor dem Zimmer. Nummer achtnullfünf.« Während die Beamtin zuhörte, gab sie alle Informationen ihrem Computer ein, so daß sie im nächsten Augenblick von einem Dispatcher in einer anderen Abteilung gelesen werden konnten.

»Bleiben Sie dort«, wies sie den Anrufer an. »Bewachen Sie das Zimmer. Lassen Sie keinen hinein, bis unsere Beamten eintreffen.«

Eineinhalb Meilen vom Hotel entfernt war Tomas Ceballos, ein junger Streifenpolizist, mit Wagen 164 auf dem South Dixie Highway unterwegs, als er den dringenden Anruf eines Dispatchers empfing. Er wendete sofort mit quietschenden Reifen und raste mit Blinklicht und Sirene zum Royal Colonial.

Wenige Minuten später traf Officer Ceballos vor Zimmer 805 mit dem Wachmann zusammen.

»Ich hab' eben bei der Rezeption nachgefragt«, sagte Cobo und sah auf einen Notizzettel. »Als Gäste haben sich Mr. und Mrs. Homer Frost aus Indiana eingetragen; die Lady heißt mit Vornamen Blanche.« Er übergab dem Beamten den Zettel und eine Magnetkarte für die Zimmertür.

Ceballos steckte die Karte ins Schloß und betrat vorsichtig Zimmer 805. Er schrak instinktiv zurück, zwang sich dann jedoch, den Tatort genau zu inspizieren, weil er wußte, daß er ihn später würde beschreiben müssen.

Der junge Beamte sah die Leichen eines älteren Mannes und einer Frau, die sich gefesselt und geknebelt gegenübersaßen, als seien beide Zeugen des Todes des jeweils anderen gewesen. Die Gesichter beider Toten waren entstellt; Augen und Gesicht des Mannes waren verbrannt. Die Leichen wiesen unzählige Messerstiche auf. Im Hintergrund spielte ein Radio harten Rock.

Tomas Ceballos hatte genug gesehen. Er trat auf den Korridor hinaus und schaltete sein Handfunkgerät ein, um die Zentrale zu rufen; seine Dienstnummer würde automatisch auf dem Bildschirm des Dispatchers erscheinen. Seine Stimme schwankte. »Ich brauche ein Ermittlungsteam auf Tac One.«

Tactical One war ein für die Mordkommission reservierter Funkkanal. Detective-Sergeant Malcolm Ainslie, Dienstnummer 1910, war mit einem neutralen Dienstwagen ins Büro unterwegs und hatte sich schon bei dem Dispatcher gemeldet. Heute hatten Ainslie und sein Team Bereitschaftsdienst.