»Guten Morgen, Bernard«, sagte sie lächelnd.
»Bisher ist er nicht allzugut«, antwortete er mürrisch. »Aber vielleicht können Sie ihn verbessern.«
»Wenig Hinweise auf den Fall vom Dienstag?« Waldens Stimme klang mitfühlend.
»Eher gar keine. Deshalb bin ich hier, um zu fragen, warum zum Teufel eine Fingerabdrucksanalyse so lange dauert.«
»Drei Tage ist nicht lang«, widersprach sie scharf. »Vor allem nicht, wenn ich mehrere Fingerabdrücke überprüfen und identifizieren muß. Das sollten Sie eigentlich wissen.«
»Entschuldigung, Sylvia«, sagte er geknickt. »Dieser Fall macht mich ganz fertig. Da bleiben die guten Manieren leicht auf der Strecke.«
»Schon gut«, beruhigte sie ihn. »Uns geht's auch nicht viel besser.«
»Was haben Sie bisher?«
»Heute morgen sind ein paar Abdrücke aus New York gekommen. Sie stammen von dem Mann, der das Hotelzimmer unmittelbar vor den Frosts bewohnt hat.«
»Sind sie dort gespeichert gewesen?«
»Nein, nein. Er hat sich vom NYPD die Fingerabdrücke abnehmen lassen, um uns die Fahndung zu erleichtern. Ich vergleiche sie gerade mit denen, die wir gefunden haben.«
Der Computer, an dem Waiden saß, war das neueste AFIS-Modell - die Abkürzung für Automated Fingerprint Identification System. Wurde dem Gerät ein Fingerabdruck vom Tatort eingegeben, schaffte es in weniger als zwei Stunden, wozu ein Mensch ungefähr hundertsechzig Jahre gebraucht hätte: Es verglich ihn mit Hunderttausenden von Abdrücken, die in den Vereinigten Staaten gespeichert waren, und identifizierte ihn, falls er bereits existierte. Das AFIS konnte viele Straftaten fast augenblicklich aufklären; seit seiner Einführung waren auch zahlreiche Fälle wiederaufgerollt, alte Fingerabdrücke identifiziert und Straftäter angeklagt und verurteilt worden. Heute war Waldens Aufgabe jedoch einfacher: Sie verglich die aus New York übermittelten Fingerabdrücke mit den im Hotel Royal Colonial in Zimmer 805 gefundenen.
Der Computer brauchte nicht lange, um zu melden, die New Yorker Abdrücke seien mit denen aus Zimmer 805 identisch.
Sylvia Waiden seufzte. »Keine guten Nachrichten, fürchte ich, Bernie.« Sie erklärte ihm, die einzigen am Tatort gefundenen Fingerabdrücke stammten von den Toten, einem Zimmermädchen und nun von dem Gast, der das Zimmer vor den Frosts bewohnt hatte.
Quinn fuhr sich mit einer Hand durch sein zerzaustes Haar und machte ein unglückliches Gesicht. Es gab Tage, an denen er das Gefühl hatte, nicht früh genug in den Ruhestand treten zu können.
»Das mit den Abdrücken wundert mich nicht sehr«, fuhr Waiden fort. »An einigen Stellen, wo ich Fingerabdrücke erwartet hätte, sind mir verwischte Flecken aufgefallen - wie von Latexhandschuhen. Ich bin mir ziemlich sicher, daß der Mörder welche getragen hat. Aber ich habe immerhin etwas gefunden.«
Quinn zog die Augenbrauen hoch. »Und das wäre?«
»Einen noch nicht identifizierten Handflächenabdruck. Er ist nicht vollständig, aber er stammt von keinem der Leute, deren Fingerabdrücke wir identifiziert haben - ich habe auch ihre Handflächenabdrücke angefordert. Auch wir haben solche Abdrücke gespeichert, aber dieser eine ist nicht dabei.« Waiden stand auf, trat an einen anderen Schreibtisch und blätterte in einem Stapel Computerausdrucken. Sie hielt Quinn ein einzelnes Blatt mit einem schwarzweißen Handflächenabdruck hin.
»Das ist er.«
»Interessant.« Er betrachtete den Abdruck von beiden Seiten und auf dem Kopf stehend, dann gab er ihr das Blatt zurück. »Niemand, den ich kenne«, sagte er lakonisch. »Was können Sie damit anfangen?«
»Ganz einfach, Bernie: Sobald Sie einen Verdächtigen aufgespürt haben und mir seine Handflächenabdrücke beschaffen, kann ich Ihnen fast hundertprozentig zuverlässig sagen, ob er am Tatort gewesen ist.«
»Sollten wir jemals so weit kommen«, versicherte Quinn ihr, »bin ich sofort wieder hier.«
Als Quinn durch die Flure des vierten Stocks zur Mordkommission zurückging, fühlte er sich ein wenig ermutigt. Immerhin war dieser Handflächenabdruck ein gewisser Anfang.
Im Mordfall Frost hatte es von Anfang an einen ungewöhnlichen Mangel an Beweismaterial gegeben. Am Tag nach der Auffindung der Leichen war Quinn mit einer längeren Fragenliste ins Hotel Royal Colonial zurückgefahren. Als erstes besichtigte er nochmals eingehend den Tatort; dann besprach er mit Julio Verona den Wert des sichergestellten Beweismaterials, zu dem ein zerrissener Briefumschlag der First Union Bank gehörte. Später an diesem Tag klapperte Quinn die Filialen dieser Bank in der näheren Umgebung ab und stellte fest, daß die Frosts am Morgen vor ihrem Tod in der First Union Bank in der Southwest Twentyseventh Avenue Reiseschecks für achthundert Dollar eingelöst hatten. Der Kassierer, der ihnen den Betrag ausgezahlt hatte, konnte sich gut an das Ehepaar erinnern und war sich sicher, daß niemand die beiden begleitet hatte.
Quinn ordnete eine weitere Suche nach Fingerabdrücken mit fluoreszierendem Pulver und Laserlicht an, für die Zimmer 805 abgedunkelt werden mußte. Mit dieser Methode entdeckte man hin und wieder Fingerabdrücke, die das Standardverfahren nicht zum Vorschein bringen konnte. Aber diesmal hatte man damit keinen Erfolg.
Der Hoteldirektor stellte ihm zwei Listen zur Verfügung: eine mit den Gästen, die zur Tatzeit im Royal Colonial gewohnt hatten, und eine mit allen Hotelgästen des Vormonats. Jeder Gast würde persönlich oder telefonisch von der Polizei befragt werden. Wirkte jemand verdächtig oder auffällig abweisend, würde ein Polizeibeamter oder vielleicht sogar Quinn selbst nachhaken.
Die Aussage des Wachmanns Cobo wurde protokolliert. Quinn bedrängte ihn mit Fragen, weil er hoffte, Orlando Cobo werde sich unter Druck an irgendeine wichtige Kleinigkeit erinnern, die bisher übersehen worden war. Auch Angehörige des Hotelpersonals, die mit dem Ehepaar Frost in Berührung gekommen waren, gaben Aussagen zu Protokoll, ohne daß sich etwas Neues ergeben hätte.
Die Polizei überprüfte alle Telefongespräche, die während des Aufenthalts der Opfer aus und mit Zimmer 805 geführt worden waren. Das Hotel hatte eine Computerliste der von Gästen geführten Gespräche; die Telefongesellschaft wurde durch eine richterliche Anordnung dazu verpflichtet, eine Liste der eingegangenen Gespräche zur Verfügung zu stellen. Auch diese Überprüfung blieb ergebnislos.
Quinn sprach mehrere ihm bekannte Polizeispitzel an, weil er hoffte, auf der Straße gebe es Gerüchte über den Doppelmord. Obwohl er Geld für sachdienliche Hinweise bot, gingen keine ein.
Er flog nach South Bend, Indiana, und fragte im dortigen Polizeipräsidium nach, ob die Frosts in irgendeiner Weise polizeibekannt seien; das war nicht der Fall. Quinn sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus und stellte ihnen gezielte Fragen nach Homer und Blanche Frost. Vor allem interessierte ihn, ob die Frosts Feinde gehabt hatten, die ihnen vielleicht hätten schaden wollen. Aber das war offenbar nicht der Fall.
Nach seiner Rückkehr nach Miami wunderte Quinn sich ebenso wie Ainslie darüber, daß trotz der ausführlichen Medienberichterstattung über den Doppelmord keinerlei telefonische Hinweise eingegangen waren. Die wesentlichen Tatsachen waren durch die Pressestelle verbreitet worden, aber wie in allen Mordfällen waren bestimmte Einzelheiten zurückgehalten worden, um sicherzustellen, daß sie nur den Ermittlern und dem Täter bekannt waren. Erwähnte ein Verdächtiger sie dann unabsichtlich oder in einem Geständnis, stärkte das die Position der Staatsanwaltschaft vor Gericht.
Zu den nicht bekanntgegebenen Tatsachen gehörten die Auffindung der vier toten Katzen und die verbrannten Augen Homer Frosts.
Als immer mehr Zeit verstrich - eine Woche, zwei Wochen, drei -, schien eine Lösung dieses Falls immer unwahrscheinlicher zu werden. Bei Ermittlungen wegen Mordes sind die ersten zwölf Stunden entscheidend. Ist bis dahin keine eindeutige Spur oder ein Verdächtiger gefunden, werden die Erfolgsaussichten von Tag zu Tag geringer.