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Allmählich taten es ihr die anderen gleich – auch die Soldaten, die den Auftrag hatten, Elia ins Gefängnis zu werfen.

»Steht auf«, bat er. »Und betet den Herrn an. Ich bin nur einer seiner Diener, vielleicht von allen der ungeeignetste.« Doch sie knieten weiter, mit gesenktem Kopf.

»Ihr habt mit den Göttern des Fünften Berges gesprochen«, hörte er eine Stimme sagen. »Und jetzt könnt Ihr Wunder tun.« »Dort gibt es keine Götter. Ich sah einen Engel des Herrn, der mich geheißen hat, dies hier zu tun.« »Ihr wart bei Baal und seinen Brüdern«, sagte ein anderer.

Elia bahnte sich seinen Weg zwischen den knienden Menschen hindurch und ging hinaus auf die Straße. Sein Herz klopfte noch immer heftig, als hätte er die Aufgabe, die ihm der Engel auferlegt hatte, nicht gut erfüllt. »Was bringt es denn, jemanden vom Tode zu erwecken, wenn niemand glaubt, woher so viel Macht kommt?« Der Engel hatte ihm aufgetragen, dreimal den Namen Gottes anzurufen, aber er hatte ihm nicht gesagt, wie er der Menge unten das Wunder erklären sollte. »Heißt das etwa, daß ich nur einfach eitel bin wie die alten Propheten?« fragte er sich.

Er hörte die Stimme seines Schutzengels, mit dem er seit seiner Kindheit sprach.

»Ein Engel des Herrn war heute bei dir.« »Ja«, antwortete Elia. »Doch die Engel des Herrn sprechen nicht selbst mit den Menschen, sie geben nur die Befehle Gottes weiter.« »Nütze deine Macht«, sagte der Schutzengel.

Elia begriff nicht, was der Engel damit sagen wollte. »Ich habe keine Macht außer der, die vom Herrn kommt«, sagte er.

Und der Engel sagte noch: »Von nun an bis zu dem Augenblick, in dem du in dein Land zurückkehrst, ist dir kein weiteres Wunder erlaubt.« »Und wann wird das sein?« »Der Herr braucht dich, um Israel wieder aufzubauen«, sagte der Engel. »Du wirst seinen Boden erst dann wieder betreten, wenn du gelernt hast, aufzubauen.« Und mehr sagte er nicht.

Zweiter Teil

Der Priester sprach sein Gebet an die aufgehende Sonne und bat den Gott des Sturmes und die Göttin der Tiere um Barmherzigkeit für die Toren. Jemand hatte ihm am Morgen erzählt, daß Elia den Sohn der Witwe aus dem Reich der Toten zurückgeholt hatte.

Die Stadt war in hellem Aufruhr vor Schreck und Erregung. Alle glaubten, daß der Israelit seine Macht von den Göttern des Fünften Berges erhalten habe und es nun noch schwieriger sein werde, ihn zu töten. »Doch die Zeit wird kommen«, tröstete sich der Priester.

Die Götter würden ihnen schon Gelegenheit geben, mit Elia Schluß zu machen. Der göttliche Zorn aber hatte einen anderen Grund, und die Assyrer am Taleingang waren ein Zeichen dafür. Warum war der jahrhundertealte Friede plötzlich gefährdet? Er wußte die Antwort: die Erfindung von Byblos.

Sein Land hatte eine Form der Schrift erfunden, die allen zugänglich war, selbst denen, die noch unfähig waren, sie zu benutzen. Jeder konnte sie in kurzer Zeit lernen – und das bedeutete das Ende der Zivilisation.

Der Priester wußte, daß von allen Waffen des Menschen die schrecklichste und mächtigste das Wort war. Dolche und Lanzen ließen blutige Spuren zurück. Pfeile konnten von fern gesehen werden. Gifte konnten letztlich erkannt und vermieden werden.

Doch das Wort konnte zerstören, ohne Spuren zu hinterlassen.

Sobald die heiligen Rituale unkontrolliert verbreitet werden konnten, würden viele Menschen sie benutzen, um das Universum zu verändern, und die Götter würden sich empören.

Bis zu diesem Augenblick hatte nur die Priesterkaste zu den altehrwürdigen Überlieferungen und Riten Zugang, die immer nur mündlich überliefert wurden, mit der Auflage strengster Geheimhaltung. Man brauchte Jahre des Studiums, um die Schriftzeichen zu entziffern, die die Ägypter über die ganze Welt verbreitet hatten. Daher konnten nur die Gebildetsten – Schreiber und Priester – schriftlich Informationen austauschen.

Andere Kulturen hatten ihre eigenen uralten Formen der Geschichtsaufzeichnung, doch die waren so kompliziert, daß niemand sich außerhalb der Gebiete, in denen sie benutzt wurden, die Mühe machte, sie zu erlernen. Die Erfindung von Byblos hingegen war hochgefährlich. Sie konnte in jedem Land, unabhängig von der jeweiligen Sprache, benutzt werden. Selbst die Griechen, die gemeinhin alles ablehnten, was nicht in ihren eigenen Städten entstanden war, hatten bereits die Schrift von Byblos für ihre Handelsgeschäfte übernommen. Da sie Spezialisten im Übernehmen von Neuheiten waren, hatten sie der Erfindung von Byblos bereits einen griechischen Namen gegeben: Alphabet.

Die jahrhundertelang gehüteten Geheimnisse liefen Gefahr, ans Licht zu kommen. Im Vergleich dazu war die Gotteslästerung des Elia – jemanden vom anderen Ufer des Todes, wie die Ägypter sagten, wieder zurückzuholen – gar nichts.

>Wir werden bestraft, weil wir nicht mehr sorgfältig hüten können, was heilig ist<, dachte der Priester. >Die Assyrer stehen vor unseren Toren, werden das Tal durchqueren und die Zivilisation unserer Vorfahren zerstören.< Und sie würden der Schrift ein Ende bereiten. Der Priester wußte, daß die Anwesenheit des Feindes kein Zufall war.

Das war der Preis, der zu zahlen war. Die Götter hatten alles so gut geplant, daß niemand bemerkte, daß sie dahintersteckten.

Sie hatten einen Stadthauptmann an die Macht gebracht, der sich mehr um den Handel als das Heer kümmerte, sie hatten die Gier der Assyrer erregt, hatten es immer weniger regnen lassen und einen Fremden in die Stadt gebracht, um sie zu entzweien. Bald schon würde die endgültige Schlacht geschlagen werden. Akbar würde weiter bestehen – doch die gefährlichen Byblos-Schriftzeichen würden auf ewig vom Angesicht der Erde getilgt.

Der Priester reinigte sorgfältig den Stein, der den Ort bezeichnete, an dem vor vielen Generationen der fremde Pilger den ihm vom Himmel gezeigten Ort gefunden hatte, an dem er dann die Stadt gründete. >Wie schön er doch ist<, dachte der Priester. Die Steine waren ein Bild der Götter – hart und widerstandsfähig, unter allen Umständen überlebensfähig und einfach da. Eine mündlich überlieferte Legende besagte, daß die Mitte der Welt durch einen Stein markiert sei, und als Kind hatte der Priester in die Welt hinausziehen wollen, um ihn zu suchen. Dieser Wunsch war eigentlich erst erstorben, als die Assyrer am Taleingang auftauchten; da hatte er begriffen, daß er diesen Traum niemals würde verwirklichen können.

»Sei's drum. Das Schicksal will offenbar, daß meine Generation dafür büßen muß, daß sie die Götter erzürnt hat. Es gibt in der Geschichte der Welt Unabwendbares, und wir müssen es akzeptieren.« Er gelobte sich, den Göttern zu gehorchen: Er würde den Krieg nicht zu verhindern suchen.

»Vielleicht sind wir am Ende der Zeiten angelangt. Die Krisen werden immer größer und lassen sich nicht länger umschiffen.« Der Priester nahm seinen Stab und trat aus dem kleinen Tempel heraus. Er war mit dem Kommandanten der Garnison verabredet.

Er war schon fast an der Südmauer angelangt, als ihn Elia ansprach.

»Der Herr hat einen Jungen von den Toten erweckt«, sagte der Israelit. »Die Stadt glaubt an meine Macht.« »Der Junge wird nicht tot gewesen sein«, entgegnete der Priester. »Dies ist schon häufiger geschehen. Das Herz bleibt stehen, und dann beginnt es plötzlich wieder zu schlagen.

Heute redet die ganze Stadt darüber, doch schon morgen werden sie sich daran erinnern, daß die Götter nah sind und hören können, was sie sagen. Dann werden sie wieder verstummen. Ich muß jetzt gehen, denn die Assyrer bereiten sich zur Schlacht.« »Hört, was ich Euch zu sagen habe: Nach dem Wunder von gestern abend habe ich außerhalb der Stadtmauern geschlafen, denn ich brauchte etwas Ruhe. Da erschien mir wieder der Engel, den ich schon oben auf dem Fünften Berg gesehen hatte. Und er sagte zu mir: Akbar wird vom Krieg zerstört werden.« »Städte können zerstört werden«, sagte der Priester. »Sie werden siebenundsiebzig Mal wieder aufgebaut, denn die Götter wissen, wohin sie sie gebaut haben, und wollen sie an diesem bestimmten Ort haben.« Der Stadthauptmann kam von einer Gruppe Höflingen begleitet heran und fragte: »Was sagt Ihr da?« »Ihr sollt den Frieden suchen«, antwortete Elia.