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»Tötet ihn«, rief jemand. »Tod dem Feind!« Johlender Beifall von allen Seiten. In Windeseile hatte sich die Nachricht in der ganzen Stadt verbreitet, und alles strömte auf den Platz. Die nächsten Fälle konnten nicht mehr richtig angehört und behandelt werden. Ständig gab es Zwischenrufe, die forderten, man möge den Fremden sogleich vorführen.

»Über solch einen Fall kann ich nicht richten«, verwahrte sich Elia. »Das ist Sache der Behörden von Akbar.« »Was wollen die Assyrer hier eigentlich?« rief einer. »Sehen die denn nicht, daß wir hier seit vielen Generationen in Frieden leben?« »Warum wollen sie unser Wasser haben?« rief ein anderer.

»Warum bedrohen sie unsere Stadt?« Seit Monaten wagte niemand mehr, öffentlich über die Anwesenheit des Feindes zu sprechen. Obwohl alle sahen, wie die Zelte am Horizont immer mehr wurden, obwohl die Kaufleute drängten, die Friedensverhandlungen sofort zu beginnen, weigerte sich das Volk von Akbar zu glauben, daß ihnen eine Invasion drohte. Kriege – vereinzelte harmlose Scharmützel mit unbedeutenden Stämmen ausgenommen – gab es nur in der Erinnerung der Priester. Sie sprachen von einem Land namens Ägypten, in dem es Pferde und Kampfwagen und Götter in Tiergestalt gab. Doch dies war alles vor langer Zeit geschehen, Ägypten war kein bedeutendes Land mehr, und die dunkelhäutigen Krieger mit ihrer fremdartigen Sprache waren in ihre Heimat zurückgekehrt. Jetzt beherrschten die Bewohner von Tyrus und Sidon die Meere und dehnten ihr Reich auf die ganze Welt aus; obwohl sie erfahrene Krieger waren, hatten sie eine neue Art des Kampfes entdeckt: den Handel.

»Warum sind sie so erregt?« fragte der Stadthauptmann Elia.

»Weil sie begreifen, daß sich etwas verändert hat. Ihr wißt genausogut wie ich, daß die Assyrer nun jeden Augenblick angreifen können. Ihr wißt genausogut wie ich, daß uns der Kommandant in bezug auf die Stärke der feindlichen Truppen die ganze Zeit belogen hat.« »Aber er wird doch nicht so verrückt sein, dies jemandem zu erzählen. Er würde Panik hervorrufen.« »Jeder Mensch spürt, wann er in Gefahr ist. Er reagiert ganz eigen darauf, er hat Vorahnungen, fühlt, daß etwas in der Luft liegt. Und er versucht, sich etwas vorzumachen, weil er nicht glaubt, der Situation gewachsen zu sein. Bis eben noch haben alle versucht, sich etwas vorzumachen, doch irgendwann kommt der Augenblick, in dem man der Wahrheit ins Gesicht blicken muß.« Der Priester kam heran.

»Laßt uns zum Palast gehen und den Rat von Akbar einberufen. Der Kommandant ist schon auf dem Weg.« »Tut es nicht«, flüsterte Elia dem Stadthauptmann warnend zu.

»Sie werden Euch zwingen zu tun, was Ihr nicht wollt.« »Laßt uns gehen«, sagte der Priester zum zweiten Mal. »Ein Spion wurde gefangen, und es müssen dringende Maßnahmen getroffen werden.« »Laß ihn vor dem Volke richten«, flüsterte Elia. »Sie werden Euch helfen, denn sie wollen den Frieden, obwohl sie den Krieg fordern.« »Bringt diesen Mann hierher«, verlangte der Stadthauptmann.

Die Menge brach in Freudengeschrei aus. Zum ersten Mal würden sie eine Sitzung des Rates erleben.

»Das können wir nicht tun!« sagte der Priester. »Dies ist eine heikle Angelegenheit, die in Ruhe vonstatten gehen muß.« Einige Buhrufe. Viele Protestrufe.

»Bringt ihn hierher«, wiederholte der Stadthauptmann. »Und ihm wird hier inmitten des Volkes der Prozeß gemacht werden.

Wir arbeiten alle zusammen daran, Akbar zu einer blühenden Stadt zu machen – und wir werden gemeinsam über das befinden, was uns bedroht.« Der Beschluß wurde mit Applaus begrüßt. Eine Gruppe von Soldaten aus Akbar näherte sich, die einen blutüberströmten, halbnackten Mann mit sich schleppten. Er mußte zuvor heftig geschlagen worden sein.

Der Lärm verstummte, und eine drückende Stille legte sich auf das Publikum, unterbrochen nur vom Grunzen der Schweine und vom Lachen der Kinder, die am anderen Ende des Platzes spielten.

»Warum habt Ihr das mit dem Gefangenen gemacht?« herrschte der Stadthauptmann sie an.

»Er hat sich gewehrt«, antwortete einer der Wächter. »Er sagte, er sei kein Spion, sondern hierhergekommen, um mit Euch zu sprechen.« Der Stadthauptmann ließ drei Stühle aus seinem Palast bringen. Seine Diener brachten den Richtermantel, den er anlegte, wenn der Rat von Akbar zusammentrat.

Er und der Priester setzten sich. Der dritte Stuhl war für den Kommandanten bestimmt.

»Hiermit erkläre ich feierlich das Gericht von Akbar für eröffnet.

Die Ältesten mögen näher treten.« Eine Gruppe betagter Männer trat zu den beiden und stellte sich im Halbkreis hinter die drei Stühle. Das war der Ältestenrat. Einstmals war ihr Ratschluß befolgt worden, inzwischen jedoch war ihre Rolle rein formell und bestand darin, die Entscheidungen des Stadthauptmanns zu bestätigen.

Der Stadthauptmann brachte zuerst die rituellen Formalitäten hinter sich – die Götter vom Fünften Berg wurden angerufen, die Namen der legendären Helden von Akbar feierlich verlesen –, dann wandte er sich an den Gefangenen.

»Was wollt Ihr?« fragte er.

Der Gefangene gab keine Antwort, musterte ihn nur unverhohlen, wie von gleich zu gleich.

»Was wollt Ihr?« beharrte der Stadthauptmann.

Der Priester berührte seinen Arm.

»Wir brauchen einen Dolmetscher. Er spricht unsere Sprache nicht.« Einer der Wächter wurde beauftragt, einen Kaufmann zu holen, der für sie dolmetschen sollte. Die Kaufleute nahmen nie an Elias Sitzungen teil, da sie zu sehr mit ihren Geschäften beschäftigt waren und damit, ihren Gewinn zu zählen.

Während sie warteten, flüsterte der Priester dem Stadthauptmann zu: »Sie haben den Gefangenen geschlagen, weil sie sich fürchteten. Erlaubt, daß ich diese Verhandlung führe, und sagt nichts. Panik macht nur alle aggressiv, und wenn wir nicht die nötige Autorität zeigen, könnte uns die Situation entgleiten.« Der Stadthauptmann schwieg. Auch er fürchtete sich. Er suchte Elia mit den Augen, doch von dort, wo er saß, konnte er ihn nicht sehen.

Ein Kaufmann wurde gewaltsam von einem Wächter herbeigeführt. Er beschwerte sich beim Gericht, er sei sehr beschäftigt und könne hier nicht seine Zeit vertun. Doch der Priester blickte ihn nur streng an und gebot ihm, ruhig zu sein und das Gespräch zu übersetzen.

»Was wollt Ihr hier?« fragte der Stadthauptmann.

»Ich bin kein Spion«, sagte der Mann. »Ich bin einer der Generäle des Heeres. Ich bin gekommen, um mit Euch zu sprechen.« Das Publikum, das zuerst totenstill gewesen war, begann hemmungslos zu schreien, sobald der Satz übersetzt worden war. Sie bezichtigten den Assyrer der Lüge und forderten die sofortige Todesstrafe.

Der Priester bat um Ruhe und wandte sich an den Gefangenen.

»Was wolltet Ihr bereden?« »Es heißt, der Stadthauptmann sei ein weiser Mann«, sagte der Assyrer. »Wir wollen diese Stadt nicht zerstören. Wir sind an Tyrus und Sidon interessiert. Doch Akbar liegt auf halbem Weg und kontrolliert dieses Tal. Wenn wir kämpfen müssen, werden wir Zeit und Männer verlieren. Ich bin gekommen, um einen Vertrag abzuschließen.« >Der Mann spricht die Wahrheit<, dachte Elia. Er bemerkte, daß er von einer Gruppe Soldaten umzingelt war, die ihm die Sicht auf die Stelle versperrten, an der der Stadthauptmann saß. »Er denkt genau wie wir. Der Herr hat ein Wunder getan und wird dieser gefährlichen Lage ein Ende bereiten.« Der Priester erhob sich und rief dem Volk zu: »Seht ihr? Sie wollen uns kampflos vernichten!« »Fahrt fort«, sagte der Stadthauptmann.

Wieder schaltete sich der Priester ein: »Unser Stadthauptmann ist ein guter Mann, der kein Blut vergießen will. Doch wir befinden uns im Krieg, und der Gefangene, der hier vor euch steht, ist ein Feind!« »Er hat recht!« schrie jemand aus dem Publikum.