Elia merkte, daß er sich geirrt hatte. Der Priester wiegelte das Publikum auf, während der Stadthauptmann nur Recht sprechen wollte. Er versuchte sich zu nähern – doch ein Soldat stieß ihn an und packte ihn am Arm.
»Ihr wartet hier. Schließlich war das ja Eure Idee.« Elia blickte sich um: Es war der Kommandant, und er lächelte.
»Wir können auf Euren Vorschlag nicht eingehen«, fuhr der Priester fort, während er sein Gefühl in Gesten und Worte fließen ließ. »Wenn wir uns zu Verhandlungen bereit erklären, zeigen wir nur, daß wir Angst haben. Und das Volk von Akbar ist mutig. Es kann jeder Invasion widerstehen.« »Dieser Mann will Frieden«, sagte der Stadthauptmann, indem er sich an die Menge wandte.
Jemand sagte: »Die Kaufleute wollen Frieden. Die Priester wollen Frieden. Die Regierenden verwalten den Frieden. Doch das Heer will nur eins: Krieg!« »Seht ihr denn nicht, daß wir der religiösen Bedrohung durch Israel ohne Krieg begegnen?« rief der Stadthauptmann aus.
»Wir schicken keine Soldaten, keine Schiffe, sondern Isebel.
Jetzt beten sie Baal an, ohne daß wir einen einzigen Mann an der Kriegsfront opfern mußten.« »Die Assyrer haben keine schöne Frau geschickt, sondern ihre Krieger!« rief der Priester noch lauter.
Das Volk verlangte den Tod des Assyrers. Da packte der Stadthauptmann den Priester am Arm.
»Setzt Euch«, sagte er. »Ihr geht zu weit.« »Die Idee mit dem öffentlichen Richtspruch war Eure Idee.
Oder besser gesagt, die Idee des verräterischen Israeliten, der hier anstelle des Stadthauptmanns von Akbar zu bestimmen scheint.« »Um ihn kümmere ich mich später. Jetzt müssen wir erfahren, was der Assyrer will. Viele Generationen hindurch haben die Menschen versucht, ihren Willen mit Gewalt durchzusetzen. Sie sagten, was sie wollten, es war ihnen gleichgültig, was das Volk dachte, und alle diese Reiche wurden am Ende zerstört. Unser Volk ist gewachsen, weil es gelernt hat zuzuhören. Indem wir hörten, was der andere wollte, und alles daransetzten, um es ihm zu verschaffen, haben wir den Handel entwickelt. Und das Ergebnis ist der Gewinn.« Der Priester wiegte das Haupt.
»Eure Worte erscheinen weise, doch gerade dadurch sind sie gefährlich. Wenn Ihr Unsinn geredet hättet, wäre es einfach zu beweisen, daß Ihr Unrecht habt. Doch Eure Behauptungen sind irreführend.« Nun mischten sich die Leute in der ersten Reihe in den Streit ein. Bis zu jenem Augenblick hatte der Stadthauptmann immer auf die Meinung des Rates gehört, und Akbar hatte einen ausgezeichneten Ruf. Tyrus und Sidon hatten Botschafter geschickt, die sich ansehen sollten, wie die Stadt verwaltet wurde. Sein Name kam sogar dem König zu Ohren, und mit ein wenig Glück würde er seine Tage als Minister bei Hofe beenden.
Seine Autorität war öffentlich in Frage gestellt worden, und wenn er sich nicht wehrte, verlöre er die Achtung des Volkes und könnte dann wichtigere Entscheidungen erst recht nicht durchsetzen.
»Fahrt fort«, sagte er zum Gefangenen; geflissentlich übersah er die wütenden Blicke des Priesters und befahl dem Dolmetscher, seine Frage zu übersetzen.
»Ich bin gekommen, um Euch einen Handel vorzuschlagen«, sagte der Assyrer. »Ihr laßt uns durchziehen und wir werden gegen Tyrus und Sidon marschieren. Wenn diese Städte geschlagen sind – und das werden sie ganz sicher, weil der größte Teil ihrer Krieger sich auf den Schiffen befindet und sich um den Handel kümmert –, werden wir uns Akbar gegenüber großzügig zeigen. Und werden Euch als Stadthauptmann belassen.« »Seht Ihr?« sagte der Priester und erhob sich wieder. »Sie denken, unser Stadthauptmann würde die Ehre Akbars für ein Amt aufs Spiel setzen!« Ein zorniges Murren ging durch die Menge. Dieser halbnackte, verwundete Gefangene wollte ihnen seinen Willen aufzwingen!
Ein geschlagener Mann schlug der Stadt vor, sich zu ergeben!
Einige Männer erhoben sich und bewegten sich drohend auf ihn zu. Die Wachen hatten alle Mühe, sie in ihre Schranken zu weisen.
»Wartet!« sagte der Stadthauptmann und versuchte, die anderen zu überschreien. »Vor uns steht ein schutzloser Mann, der uns keine angst machen kann. Wir haben ein ausgezeichnet gerüstetes Heer und tapfere Krieger. Wir müssen niemandem etwas beweisen. Wenn wir beschließen zu kämpfen, gewinnen wir die Schlacht auch, doch nur unter großem Verlust.« Elia schloß die Augen und betete darum, daß es dem Stadthauptmann gelingen möge, das Volk zu überzeugen.
»Unsere Vorfahren haben uns vom ägyptischen Großreich erzählt. Doch diese Zeit ist längst vorbei«, fuhr er fort. »Jetzt kehren wir ins Goldene Zeitalter zurück. Warum sollten wir mit dieser Tradition brechen? Die modernen Kriege werden auf der Ebene des Handels geführt und nicht mehr auf den Schlachtfeldern.« Ganz allmählich beruhigte sich die Menge. Es sah aus, als hätte der Stadthauptmann es geschafft. Als der Lärm verebbte, wandte er sich an den Assyrer.
»Was Ihr vorschlagt, reicht nicht. Ihr müßt die Steuern zahlen, die auch die Kaufleute zahlen, wenn sie durch unser Land ziehen.« »Glaubt mir, Stadthauptmann: Ihr habt keine Wahl«, entgegnete der Gefangene. »Wir haben genügend Männer, um diese Stadt dem Erdboden gleich zu machen und alle Bewohner zu töten. Ihr lebt seit langem schon im Frieden und wißt nicht mehr, wie man kämpft, während wir gerade die Welt erobern.« Das zornige Murren schwoll wieder an. >Jetzt nur keine Unsicherheit zeigen<, hoffte Elia inständig. Doch es war schwierig, mit dem Assyrer zu verhandeln, der selbst als Gefangener noch seine Bedingungen stellte. Ständig kamen mehr Menschen herbei. Elia bemerkte, daß die Kaufleute ihre Arbeit liegenlassen und sich zu den Zuschauern gesellt hatten; besorgt verfolgten sie, wie sich die Dinge entwickelten. Der Prozeß hatte eine gefährliche Wendung genommen. Der Stadthauptmann konnte nicht länger warten, er mußte sich entscheiden, entweder für Verhandlungen oder für einen Todesspruch.
Die Zuschauer begannen sich zu spalten. Die einen waren für den Frieden, die anderen dafür, hart zu bleiben. Der Stadthauptmann flüsterte dem Priester zu: »Dieser Mann hat mich öffentlich herausgefordert. Ihr aber auch.« Der Priester wandte sich an ihn. Und leise, so daß ihn niemand hören konnte, verlangte er, den Assyrer unverzüglich zum Tode zu verurteilen.
»Ich bitte nicht darum, ich befehle es. Damit das klar ist: Ich bin es, der Euch an der Macht hält, und ich kann Euch jederzeit entmachten, verstanden? Ich kenne die Opfer, die den Zorn der Götter besänftigen können, wenn wir gezwungen sind, die regierende Familie durch eine andere zu ersetzen. Im übrigen wäre es nicht das erste Mal. Selbst in Ägypten, einem Reich, das Tausende von Jahren gedauert hat, gab es viele Fälle, in denen eine Dynastie von einer anderen abgelöst wurde.
Dennoch blieb die Ordnung des Universums erhalten und ist die Sonne am nächsten Morgen wieder aufgegangen.« Der Stadthauptmann erblaßte.
»Der Kommandant befindet sich mit einigen seiner Soldaten unter den Zuhörern. Wenn Ihr weiter darauf besteht, mit diesem Mann zu verhandeln, werde ich allen sagen, daß die Götter Euch verlassen haben. Und Ihr werdet abgesetzt. Wir werden den Prozeß weiterführen. Und Ihr werdet genau das tun, was ich Euch sage.« Hätte er Elia sehen können, wäre dem Stadthauptmann ein letzter Ausweg geblieben: Er hätte den israelitischen Propheten gebeten, von dem Engel zu erzählen, der ihm auf dem Gipfel des Fünften Berges begegnete, und an das Wunder der Auferstehung des Sohnes der Witwe zu erinnern. Dann stünden die Worte Elias, der schon bewiesen hatte, daß er Wunder tun konnte, gegen die Worte eines Mannes, der noch nie irgendeine Art übernatürlicher Kraft gezeigt hatte.
Doch Elia hatte ihn verlassen, und er hatte nun keine andere Wahl. Zudem war dieser hier nur ein Gefangener – und keine Armee der Welt beginnt einen Krieg, weil einer ihrer Generäle getötet wurde.