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»Ihr habt gewonnen«, sagte er zum Priester. Eines Tages würde er im Gegenzug etwas für sich aushandeln.

Der Priester nickte. Das Urteil wurde sofort ausgesprochen.

»Niemand fordert Akbar heraus«, sagte der Stadthauptmann.

»Und niemand kommt ohne die Genehmigung der Bürger in unsere Stadt. Ihr habt es versucht und seid zum Tode verurteilt.« Dort, wo er sich befand, senkte Elia den Blick. Der Kommandant lächelte.

Der Gefangene wurde zu einem Brachland an der Stadtmauer gebracht. Dort rissen sie ihm, was ihm noch von seinen Kleidern geblieben war, vom Leibe und ließen ihn nackt dastehen. Einer der Soldaten stieß ihn in eine Bodensenke.

Das Volk scharte sich um das Loch, und alle drängelten und rempelten sich gegenseitig an, um besser sehen zu können.

»Ein Soldat trägt seine Kriegskleidung voller Stolz und macht sich damit für seinen Feind sichtbar, weil er Mut besitzt. Ein Spion verkleidet sich als Frau, weil er ein Feigling ist«, rief laut der Stadthauptmann, damit alle ihn hören konnten. »Deshalb verurteile ich dich zu einem ehrlosen Tod.« Das Volk buhte den Gefangenen aus und applaudierte dem Stadthauptmann.

Der Gefangene sagte etwas, doch der Dolmetscher war nicht mehr in der Nähe, und niemand konnte ihn verstehen. Elia gelang es, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen und in die Nähe des Stadthauptmanns zu gelangen – doch es war bereits zu spät. Er zog ihn am Gewand, wurde aber gewaltsam zurückgestoßen.

»Es ist Eure Schuld. Ihr wolltet einen öffentlichen Richtspruch.« »Es ist Eure Schuld«, sagte Elia. »Selbst wenn der Rat von Akbar heimlich zusammengetreten wäre, hätten der Kommandant und der Priester getan, was sie wollten. Ich war während des gesamten Prozesses von Wachen umstellt. Es war alles von langer Hand geplant.« Im allgemeinen oblag es dem Priester zu bestimmen, wie lange die Qualen dauern sollten. Er bückte sich, ergriff einen Stein und reichte ihn dem Stadthauptmann: Er war weder so groß, daß er zu einem schnellen Tod führte, noch so klein, daß er das Leiden lange hinauszögern würde.

»Ihr zuerst.« »Ihr zwingt mich«, sagte der Stadthauptmann so leise, daß nur der Priester ihn hören konnte. »Aber ich weiß, daß dies der falsche Weg ist.« »All die Jahre habt Ihr mich gezwungen, harte Entscheidungen zu treffen, während Ihr die Entscheidungen fälltet, die dem Volk gefielen«, gab der Priester ebenso leise zurück. »Ich mußte mich mit meinen Zweifeln und Schuldgefühlen herumschlagen und hatte schlaflose Nächte, in denen mich die Schatten der möglicherweise zu Unrecht Verurteilten heimsuchten. Doch eben weil ich nie feige war, ist Akbar heute eine Stadt, die alle Welt beneidet.« Die Leute sammelten Steine auf, alle ungefähr gleich groß wie der des Stadthauptmanns. Eine Zeitlang hörte man nur das Klacken der gegeneinander schlagenden Steine und Felsbrocken. Der Priester fuhr fort: »Es mag eine Fehlentscheidung von mir sein, diesen Mann zum Tod zu verurteilen. Doch was die Ehre unsrer Stadt betrifft, habe ich keine Zweifel. Wir sind keine Feiglinge.« Der Stadthauptmann hob die Hand und warf den Stein. Der Gefangene duckte sich. Die Menge schrie auf. Dann regnete es Steine von allen Seiten.

Der Mann versuchte, sein Gesicht mit den Armen zu schützen, und die Steine trafen seine Brust, seinen Rücken, seinen Magen. Der Stadthauptmann wollte gehen: Er hatte schon öfter Steinigungen beigewohnt und wußte, daß der Tod langsam und schmerzvoll sein würde, daß das Gesicht zu einem Brei aus Knochen, Haar und Blut werden würde und daß die Leute auch dann noch weiter Steine werfen würden, wenn der Körper längst leblos dalag.

In wenigen Minuten würde der Gefangene aufgeben und die Arme senken. War er in seinem Leben ein guter Mensch gewesen, so würden die Götter einen Stein so lenken, daß dieser seine Stirn traf und er ohnmächtig umsank. War er ein grausamer Mensch gewesen, so bliebe er bis zur letzten Minute bei Bewußtsein.

Die Menge schrie, wurde immer grausamer, warf die Steine immer heftiger, und der Verurteilte versuchte sie so gut wie möglich abzuwehren. Dann plötzlich breitete er die Arme aus und sprach in einer Sprache, die alle verstehen konnten und mitten in ihrer Bewegung innehalten ließ: »Es lebe Assyrien!« rief er. »Jetzt blicke ich zu meinem Volk und sterbe froh, weil ich als General sterbe, der versucht hat, das Leben seiner Krieger zu retten. Die Götter werden mich bei sich aufnehmen, und ich sterbe im Vertrauen darauf, daß wir diese Erde erobern werden!« »Seht Ihr?« sagte der Priester. »Er hat unser ganzes Gespräch und unsere ganze Verhandlung mit angehört!« Der Stadthauptmann mußte ihm recht geben. Der Mann sprach ihre Sprache und wußte jetzt, daß im Rat von Akbar Uneinigkeit herrschte.

»Ich bin nicht in der Hölle, weil das Angesicht meines Landes mir Würde und Kraft verleiht. Das Angesicht meines Landes gibt mir Freude! Es lebe Assyrien!« schrie der Verurteilte abermals.

Nachdem das Volk sich von seinem Schrecken erholt hatte, setzte der Steinhagel wieder ein. Der Mann hielt die Arme ausgebreitet, schützte sich nicht mehr – er war ein tapferer Krieger. Sekunden später erbarmten sich die Götter, ein Stein traf ihn an der Stirn, und er wurde ohnmächtig.

»Wir können jetzt gehen«, sagte der Priester. »Das Volk von Akbar wird seine Aufgabe zu Ende bringen.« Elia ging nicht zum Haus der Witwe zurück, sondern hinaus in die Wüste, in der er ziellos umherwanderte.

»Der Herr hat nichts getan«, sagte er zu den Pflanzen und Felsen. »Und er hätte etwas tun können.« Er bereute seine Entscheidung, weil er meinte, daß seinetwegen schon wieder jemand sterben mußte. Wäre er auf den Vorschlag des Priesters eingegangen, den Rat von Akbar hinter verschlossenen Türen tagen zu lassen, hätte der Stadthauptmann ihn mitnehmen können. Sie wären dann gegen den Priester und den Kommandanten zwei gegen zwei gewesen. Sie hätten wohl immer noch wenig Chancen gehabt, sich durchzusetzen, aber doch mehr als bei einem öffentlichen Richtspruch. Schlimmer noch: Es hatte ihn beeindruckt, wie der Priester die Menge angesprochen und gelenkt hatte. Was der Priester gesagt hatte, gefiel ihm gar nicht, zumal er in ihm jemanden vor sich hatte, der die Massen gefügig zu machen wußte. Er würde versuchen, sich das Schauspiel in allen Einzelheiten einzuprägen, damit er es präsent hätte, wenn er dereinst nach Israel zurückkehrte und dem König und seiner Königin gegenüberstand.

Ziellos wanderte Elia weiter, blickte auf die Berge, zur Stadt und hinaus zum Feldlager der Assyrer. Er war nur ein Punkt in diesem Tal, und um ihn herum breitete sich eine unendliche Welt, so groß und weit, daß er ein Leben lang unterwegs sein und doch nie ans Ende gelangen könnte. Seine Freunde wie auch seine Feinde verstanden vielleicht die Welt, in der sie lebten, besser. Sie konnten in ferne Länder reisen, unbekannte Meere befahren, mit gutem Gewissen eine Frau lieben. Keiner von ihnen hörte noch die Engel der Kindheit oder kämpfte gar im Namen des Herrn. Sie lebten in der Gegenwart und waren glücklich dabei.

Er war auch nur ein Mensch wie alle anderen – und in diesem Augenblick, da er durch das Tal wanderte, wünschte er mehr denn je, die Stimme des Herrn und seiner Engel nie vernommen zu haben. Doch das Leben besteht nicht aus Wünschen, sondern aus den Taten eines jeden einzelnen. Wie oft hatte er schon versucht, seine Mission aufzugeben, und dennoch war er jetzt hier in der Wüste, weil der Herr es so wollte.

»Mein Gott, dabei könnte ich einfach nur Tischler sein und so Deinem Werk dienen.« Doch Elia tat wie geheißen, und er trug schwer an dem sich abzeichnenden Krieg, an dem Massaker Isebels an den Propheten, der Steinigung des assyrischen Generals und an seiner Angst vor der Liebe zu einer Frau aus Akbar. Der Herr hatte ihn beschenkt, doch Elia wußte nicht, was er mit dem Geschenk anfangen sollte.

Dann, mitten im Tal, erschien das Licht. Es war nicht sein Schutzengel, den er sonst immer hörte und selten sah. Es war ein Engel des Herrn, der kam, um ihn zu trösten.