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Hin und wieder sah er voller Ehrfurcht auf die anderen Propheten, die in ihren mit Ledergürteln zusammengehaltenen Fellumhängen durch die Straßen von Gilead wanderten und sagten, der Herr habe sie dazu auserkoren, das auserwählte Volk zu führen. Nun, sein Schicksal war das nicht. Nie würde er sich durch Tänze und Selbstkasteiung in Trance versetzen können, was unter den »von der Stimme Gottes Ergriffenen« der Brauch war – dazu fürchtete er Schmerzen zu sehr. Niemals würde er durch die Straßen von Gilead gehen und stolz die Wunden vorzeigen, die er sich in seiner Ekstase zugefügt hatte – dazu war er viel zu schüchtern.

Elia hielt sich für einen ganz gewöhnlichen Menschen, der sich wie alle anderen kleidete und dessen Seele mit genau denselben Ängsten und Versuchungen kämpfte wie die aller anderen Sterblichen auch. Je mehr er in seiner Arbeit als Tischler aufging, desto seltener hörte er Stimmen, bis sie ganz ausblieben. Denn Erwachsene und solche, die ihr Leben mit Arbeit verdienen, haben keine Zeit für solche Dinge. Seine Eltern waren zufrieden mit ihrem Sohn, und das Leben verlief harmonisch und friedlich.

Das Gespräch, das er als Kind mit dem Priester geführt hatte, war nur noch eine ferne Erinnerung. Elia konnte nicht glauben, daß Gott der Allmächtige zu den Menschen sprechen mußte, um seine Befehle durchzusetzen. Was in seiner Kindheit geschehen war, konnten nur die Phantasien eines Jungen gewesen sein, der nichts Besseres zu tun hatte. In Gilead, seiner Heimatstadt, gab es einige sogenannte >Verrückte<. Sie verbrachten ihr Leben auf der Straße, predigten das Ende der Welt und lebten von Almosen. Dennoch hatte sie nie ein Priester »von Gott Ergriffene« genannt.

Elia kam zum Schluß, daß die Priester niemals ganz sicher wußten, was sie da sagten. Die »von Gott Ergriffenen« waren nur das Ergebnis einer Gesellschaft, die nicht wußte, wohin sie trieb, in der sich Geschwister entzweiten und die Machthaber sich immer schneller abwechselten. Es war ein und dieselbe Gesellschaft, die die Propheten und Verrückten hervorbrachte.

Als er von der Heirat seines Königs mit Isebel, der Prinzessin von Tyrus, erfuhr, maß er dem keine besondere Bedeutung bei.

Andere Könige des Volkes Israel hatten das gleiche getan und dadurch einen dauerhaften Frieden in der Region und ständig wachsende Handelsbeziehungen mit dem Libanon gefördert.

Elia scherte sich wenig darum, daß die Bewohner des Nachbarlandes an Götter glaubten, die es nicht gab, oder merkwürdigen Kulten anhingen, in denen beispielsweise Tiere und Berge angebetet wurden. Sie waren ehrbare Kaufleute, und das vor allem zählte.

Elia kaufte weiterhin das Zedernholz, das sie brachten, und verkaufte das, was er in seiner Werkstatt hergestellt hatte.

Obwohl sie etwas stolz waren und sich selbst gern »Phönizier« nannten, weil sie eine andere Hautfarbe hatten, hatte kein Kaufmann je das in Israel herrschende Durcheinander für sich ausgenutzt. Sie zahlten den angemessenen Preis für die Waren und verloren kein Wort über den Bürgerkrieg und die anderen innenpolitischen Probleme der Juden.

Nachdem sie den Thron bestiegen hatte, bat Isebel Ahab, den Kult des Herrn durch den der Götter des Libanons zu ersetzen.

Auch das war nichts Neues, und Elia diente, obwohl er über Ahabs Verhalten empört war, weiterhin dem Gott Israels und lebte nach den Gesetzen Moses. >Es wird schon wieder vorübergehen<, dachte er. >Isebel hat Ahab verführt, doch sie wird nicht genügend Macht haben, um auch das Volk zu überzeugen.< Doch Isebel war eine außergewöhnliche Frau. Sie glaubte, daß Baal sie auf die Welt kommen ließ, damit sie die Völker und Nationen bekehre. Geschickt und geduldig entschädigte sie anfangs die, die dem Herrn abschworen und die neuen Gottheiten annahmen. Ahab ließ Baal in Samaria ein Haus bauen und ihm darin einen Altar errichten. Bald schon pilgerten die Menschen dorthin, und bald betete man überall im Land die Götter des Libanon an.

>Es wird schon vorübergehen. Vielleicht braucht es eine Generation, doch es wird vorübergehen<, dachte Elia immer noch.

Dann geschah das, worauf er nicht vorbereitet war.

Es war an einem Nachmittag, als er gerade einen Tisch in seiner Werkstatt fertiggestellt hatte. Plötzlich wurde alles um ihn herum dunkel, Tausende kleiner weißer, leuchtender Punkte umflirrten ihn. Sein Kopf und sein Nacken begannen zu schmerzen. Er wollte sich setzen, doch er bemerkte, daß ihm kein einziger Muskel gehorchte.

Das war keine Einbildung.

>Ich bin tot<, dachte er dabei. >Und jetzt entdecke ich, wohin uns Gott nach dem Tod schickt: mitten ins Firmament.< Ein Licht leuchtete besonders hell, und unvermittelt – als käme sie gleichzeitig von überallher, ertönte eine Stimme, die ihm befahl, er möge Ahab sagen: »So wahr der Herr, der Gott Israels, lebt: Es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen.« Im nächsten Augenblick war alles wieder wie vorher: die Tischlerwerkstatt, das Abendlicht, die Stimmen der Kinder, die auf der Straße spielten.

In jener Nacht schlief Elia nicht. Zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte er wieder die Empfindungen, die er als Kind gehabt hatte. Doch diesmal hatte nicht sein Schutzengel, sondern >etwas<, das mächtiger und stärker war als dieser, zu ihm gesprochen. Er hatte Angst, daß seine Geschäfte verflucht sein würden, wenn er nicht tat, wie ihm geheißen.

Am Morgen darauf beschloß er zu tun, was ihm die Stimme aufgetragen hatte. Schließlich war er ja nur der Bote für etwas, was nicht ihn selbst betraf. Wenn er seinen Auftrag ausgeführt hatte, würden die Stimmen ihn nicht wieder stören.

Es war nicht schwierig, bei König Ahab eine Audienz zu erhalten. Seit König Salomos Thronbesteigung spielten die Propheten bei Geschäften und der Regierung seines Landes eine zunehmend wichtige Rolle. Sie konnten heiraten, Kinder haben, doch sie mußten immer für Gott da sein, damit die Regierenden nicht vom rechten Weg abkamen. Es hieß, daß dank der »von Gott Ergriffenen« viele Schlachten siegreich geschlagen worden waren und daß das Volk Israel überlebte, weil die Regierenden, wenn sie vom rechten Weg abkamen, immer einen Propheten hatten, der sie auf den Weg des Herrn zurückführte.

Als Elia vor dem König stand, warnte er ihn vor einer Dürre, die das Land heimsuchen würde, bis der Kult der Götter der Phönizier aufgegeben würde.

Der Herrscher maß seinen Worten keine große Bedeutung bei, doch Isebel, die neben Ahab saß und aufmerksam zuhörte, stellte eine Reihe von Fragen. Elia berichtete ihr von der Vision, den rasenden Kopfschmerzen und daß die Zeit wie stillgestanden hätte, während er dem Engel zuhörte. Dabei konnte er die Prinzessin aus nächster Nähe betrachten, über die alle redeten. Sie war eine der schönsten Frauen, die er je gesehen hatte, mit langem schwarzen Haar, das ihr bis zu den Hüften des wohlgeformten Körpers fiel. Die grünen Augen in dem braunen Gesicht blickten fest in Elias Augen. Er vermochte ihren Ausdruck nicht zu deuten, noch konnte er ermessen, welchen Eindruck seine Worte auf Isebel machten.

Als er den Palast verließ, war er überzeugt, seine Mission erfüllt zu haben und sich nun wieder seiner Arbeit in der Tischlerei widmen zu können. Und er begehrte Isebel mit der ganzen Glut seiner 23 Jahre, so sehr, daß er zu Gott betete, ihn doch dereinst eine Frau im Libanon finden zu lassen, weil sie dort so schön waren mit ihrer dunklen Haut und den geheimnisvollen grünen Augen.

Elia arbeitete bis zum Abend und schlief dann friedlich. Am nächsten Morgen wurde er noch vor Sonnenaufgang vom Leviten geweckt. Isebel hatte den König davon überzeugt, daß die Propheten eine Gefahr für Israel darstellten. Ahabs Soldaten hatten Befehl erhalten, alle hinzurichten, die sich weigerten, ihrer göttlichen Mission zu entsagen.