»Nicht der Kommandant will den Krieg: Als guter Soldat weiß er, daß sein Heer kleiner, ungeübter ist und vom Feind vernichtet wird. Als Ehrenmann weiß er, daß er Gefahr läuft, eine Schande für seine Nachkommen zu sein. Doch Stolz und Eitelkeit haben sein Herz verhärtet. Er glaubt, der Feind habe Angst. Er weiß nicht, daß die assyrischen Krieger gut trainiert sind: Sobald sie ins Heer eintreten, pflanzen sie einen Baum, und jeden Tag springen sie über die Stelle, an der der Same liegt. Der Same keimt, und sie springen darüber. Der Keim wird zu einer Pflanze, und sie springen weiter darüber. Sie finden das weder langweilig noch eine Zeitverschwendung. Ganz allmählich wächst der Baum – und die Krieger springen immer noch höher. Sie bereiten sich geduldig und eifrig auf die Hindernisse vor. Sie sind Herausforderungen gewohnt. Sie beobachten uns seit Monaten.« Elia unterbrach den Stadthauptmann.
»Wer will diesen Krieg?« »Der Priester. Ich habe das während der Gerichtsverhandlung über den assyrischen Gefangenen bemerkt.« »Warum?« »Ich weiß es nicht. Aber er brachte es fertig, den Kommandanten und das Volk zu überzeugen. Jetzt ist die ganze Stadt auf seiner Seite, und ich sehe nur einen Ausweg für uns.« Er machte eine lange Pause und blickte dem Israeliten fest in die Augen.
»Euch.« Der Stadthauptmann ging erregt auf und ab, während er weitersprach: »Die Kaufleute wollen auch den Frieden, doch sie können nichts tun. Außerdem sind sie inzwischen reich genug, um sich in eine andere Stadt abzusetzen oder ruhig abzuwarten, bis die Eroberer ihre Waren kaufen. Der Rest der Bevölkerung hat den Verstand verloren und verlangt, daß wir einen unendlich überlegenen Feind angreifen. Das einzige, was sie dazu bringen könnte, ihre Meinung zu ändern, wäre ein Wunder.« Elia zuckte zusammen.
»Ein Wunder?« »Ihr habt den Jungen wiedererweckt, den der Tod schon mit sich genommen hatte. Ihr habt dem Volk geholfen, seinen Weg zu finden, und, obwohl Ihr fremd seid, haben Euch fast alle gern.« »So war es bis heute morgen«, sagte Elia. »Doch nun hat sich alles geändert. Bei der jetzigen Stimmung wird jeder, der dem Frieden das Wort redet, als Verräter dastehen.« »Ich verlange nicht, daß Ihr für den Frieden eintretet. Ich will, daß Ihr ein Wunder tut, das genauso groß ist wie die Erweckung des Jungen. Dann werdet Ihr dem Volk sagen, daß der Friede der einzige Ausweg ist, und es wird auf Euch hören.
Der Priester wird die Macht verlieren, die er jetzt hat.« Und nach einem Schweigen fuhr der Stadthauptmann fort: »Ich bin bereit, eine Abmachung mit Euch zu treffen: Wenn Ihr tut, um was ich Euch bitte, wird die Religion des Einzigen Gottes in Akbar Staatsreligion. Ihr werdet dem, dem Ihr dient, gefallen, und ich werde die Bedingungen für einen Frieden aushandeln können.« Elia stieg in das Obergeschoß hinauf, wo sein Zimmer lag. Er hatte jetzt eine einmalige Gelegenheit, wie vor ihm nie ein Prophet: eine phönizische Stadt zu bekehren. Schmerzlicher konnte er Isebel nicht büßen lassen für all das, was sie seinem Land antat.
Der Vorschlag des Stadthauptmanns wollte ihm nicht aus dem Sinn. Er dachte sogar daran, die Frau zu wecken, die unten schlief, doch er überlegte es sich anders. Sie träumte sicher vom schönen Tagesausklang, den sie zusammen verbracht hatten.
Er rief seinen Engel an. Und der erschien.
»Ihr habt den Vorschlag des Stadthauptmanns gehört«, sagte Elia. »Das ist eine einmalige Chance.« »Nichts ist eine einmalige Chance«, entgegnete der Engel.
»Der Herr gibt den Menschen viele Chancen. Bedenke zudem, was dir gesagt wurde: Kein Wunder ist dir erlaubt, bis du in deine Heimat zurückkehrst.« Elia senkte den Kopf. In diesem Augenblick erschien der Engel des Herrn und hieß den Schutzengel schweigen. Und sagte: »Dies hier wird dein nächstes Wunder sein: Du wirst das Volk vor dem Berg versammeln. Auf einer Seite laß einen Altar für Baal errichten. Ein Kalb soll ihm gegeben werden. Auf der anderen Seite errichte einen Altar für Gott, deinen Herrn, und auch auf ihn wirst du ein Kalb legen. Und du wirst zu den Anbetern von Baal sagen: Ruft den Namen eures Gottes an, ich werde den Namen des Herrn anrufen. Laß sie es zuerst tun.
Und sie sollen den ganzen Morgen lang beten und flehen, Baal darum bitten, daß er herniederkommt, um zu empfangen, was ihm geopfert wird.
Sie werden laut beten und sich mit ihren Dolchen schneiden und bitten, daß das Kalb vom Gott angenommen werde. Doch nichts dergleichen wird geschehen.
Wenn sie es müde geworden sind, dann laß vier Gefäße mit Wasser füllen und gieße sie über dein Kalb. Du wirst dies ein zweites Mal tun. Und du wirst dies ein drittes Mal tun. Dann rufe den Gott Abrahams, Isaaks und Israels an und bitte ihn, daß Er allen Seine Macht zeige.
In diesem Augenblick wird der Herr das Feuer des Himmels schicken und Sein Opfer verbrennen.« Elia kniete nieder und dankte.
»Allerdings«, fuhr der Engel fort, »kannst du dieses Wunder nur einmal in deinem Leben tun. Wähle, ob du es hier tun willst, um eine Schlacht zu vermeiden, oder ob du es in deinem Land tun willst, um die Deinen vor der Bedrohung durch Isebel zu befreien.« Und der Engel des Herrn verschwand wieder.
Die Frau wachte früh auf und sah Elia auf der Schwelle des Hauses sitzen. Er sah übernächtigt aus.
Sie hätte ihn gern gefragt, was in der Nacht vorgefallen war, doch sie fürchtete seine Antwort. Vielleicht war das Gespräch mit dem Stadthauptmann der Grund für seine schlaflose Nacht.
Doch vielleicht lag es auch an der Tontafel, die sie ihm gegeben hatte. Wenn sie daran rührte, lief sie Gefahr, daß er antwortete, die Liebe zu einer Frau sei nicht mit dem Ratschluß Gottes zu vereinbaren.
»Komm und iß etwas«, sagte sie nur.
Ihr Sohn wachte ebenfalls auf, und sie setzten sich zu dritt zu Tisch und aßen.
»Ich wäre gestern gern bei dir geblieben«, sagte Elia, »doch der Stadthauptmann brauchte mich.« »Mach dir deswegen keine Sorgen«, sagte sie und spürte, wie sich ihr Herz beruhigte. »Seine Familie regiert Akbar schon seit Generationen, und er wird wissen, was er angesichts der Bedrohung zu tun hat.« »Ich habe auch mit einem Engel gesprochen. Und er verlangte von mir eine sehr schwierige Entscheidung.« »Du brauchst dir auch wegen der Engel keine Sorgen zu machen. Vielleicht ist es besser zu glauben, daß die Götter sich mit der Zeit ändern. Meine Großeltern beteten die ägyptischen Götter an, die Tiergestalt hatten. Diese Götter verschwanden, und, bis du kamst, wurde ich dazu erzogen, Astarte, El und Baal und allen Bewohnern des Fünften Berges zu opfern. Jetzt habe ich den Herrn kennengelernt, doch womöglich verläßt auch Er uns eines Tages. Und vielleicht sind die nächsten Götter weniger fordernd.« Der Junge bat um etwas Wasser. Es gab keines.
»Ich hole welches«, sagte Elia.
»Ich möchte mit dir gehen«, bat der Junge.
Die beiden gingen zum Brunnen. Unterwegs kamen sie an dem Platz vorbei, auf dem der Kommandant seit dem frühen Morgen mit seinen Soldaten exerzierte.
»Laß uns ein wenig zuschauen«, sagte der Junge. »Ich werde auch Soldat sein, wenn ich groß bin.« Elia blieb stehen.
»Wer von uns beiden kann das Schwert besser führen?« fragte ein Krieger.
»Geh zu dem Ort, an dem gestern der Spion gesteinigt wurde«, sagte der Kommandant. »Nimm einen richtig großen Stein und beschimpfe ihn.« »Warum sollte ich das tun? Der Stein wird mir nicht antworten.« »Dann greif ihn mit deinem Schwert an.« »Mein Schwert wird zerbrechen«, sagte der Soldat. »Doch ich habe Euch nicht danach gefragt. Ich will wissen, wer von uns das Schwert am besten führt.« »Der Beste ist der, der hart ist wie ein Stein«, antwortete der Kommandant. »Ohne die Klinge zu ziehen, gelingt es ihm zu beweisen, daß niemand ihn besiegen kann.« >Der Stadthauptmann hat recht: Ihr seid weise, Kommandant/, dachte Elia. >Doch Eure Weisheit ist gegen Eitelkeit nicht gefeit.< Sie gingen weiter. Der Junge fragte, warum die Soldaten so viel übten.