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Ich verspürte wieder einen unbändigen Willen zu leben. Du sagtest, ich solle die Buchstaben von Byblos lernen, und um dir eine Freude zu machen, tat ich es. Doch dann war ich selber begeistert und entdeckte, daß der Sinn meines Lebens der war, den ich ihm geben wollte.« Elia liebkoste ihr Haar – zum ersten Mal.

»Warum war es nicht immer so?« fragte sie.

»Weil ich Angst hatte. Doch heute habe ich, während ich auf die Schlacht wartete, die Worte des Stadthauptmanns gehört – und an dich gedacht. Die Angst reicht nur bis dahin, wo das Unabwendbare beginnt. Dann verliert sie ihren Sinn. Und alles, was wir dann noch haben, ist die Hoffnung, daß wir die richtige Entscheidung getroffen haben.« »Ich bin bereit«, sagte sie.

»Laß uns nach Israel zurückkehren. Der Herr hat mir bereits gesagt, was ich tun soll, und ich werde es tun. Isebel wird ihre Macht verlieren.« Sie sagte nichts. Wie alle Frauen Phöniziens war sie stolz auf ihre Prinzessin. Wenn sie dort angekommen sein würden, würde sie versuchen, ihren Gefährten umzustimmen.

»Es wird eine lange Reise sein, und wir werden nicht eher rasten können, als bis ich das getan habe, was mir der Herr aufgetragen hat«, sagte Elia, als erriete er ihre Gedanken.

»Aber deine Liebe wird meine Stütze sein, und in den Augenblicken, in denen ich des Kampfes für Ihn müde bin, werde ich mich in deinen Armen ausruhen können.« Der Junge kam mit einem kleinen Beutel über der Schulter angesprungen. Elia nahm den Beutel und sagte zur Frau: »Jetzt ist es soweit. Wenn du jetzt durch die Straßen von Akbar gehst, präg dir jedes Haus ein und jedes Geräusch. Denn du wirst sie nie wieder sehen und nie wieder hören.« »Ich bin in Akbar geboren«, sagte sie. »Und ich werde es immer in meinem Herzen bewahren.« Der Junge hörte es und schwor sich, die Worte seiner Mutter niemals zu vergessen. Sollte er eines Tages zurückkommen, dann würde er die Stadt ansehen, als wäre es ihr Gesicht.

Es war schon dunkel, als der Priester am Fuß des Fünften Bergs ankam. In seiner rechten Hand trug er einen Stab und in der linken einen Beutel.

Er holte das heilige Öl aus dem Beutel und bestrich sich damit Stirn und Handgelenke. Dann zeichnete er mit dem Stab den Stier und den Panther, die Symbole für den Gott des Sturmes und für die Große Göttin, in den Sand. Er sprach die rituellen Gebete. Dann breitete er die Arme zum Himmel, um die göttliche Erleuchtung zu empfangen.

Doch die Götter schwiegen. Sie hatten bereits alles gesagt, was sie zu sagen hatten, und forderten jetzt nur noch die Erfüllung der Rituale. Propheten gab es nirgendwo mehr – außer in Israel, einem rückständigen Land, das sich noch immer in dem Aberglauben wiegte, daß die Menschen mit dem Schöpfer des Universums kommunizieren konnten.

Er erinnerte sich daran, daß Tyrus und Sidon vor zwei Generationen noch mit einem König von Jerusalem namens Salomo Handel getrieben hatten. Dieser hatte einen großen Tempel errichtet und wollte ihn mit dem Besten ausschmücken, was es auf der Welt gab. Bei den Phöniziern hatte er Libanonzedern bestellt, und der König von Tyrus hatte dafür zwanzig Städte in Galiläa erhalten, doch die gefielen ihm nicht.

Da hatte ihm Salomo geholfen, die ersten Schiffe zu bauen, und jetzt besaß Phönizien die größte Handelsflotte der Welt.

Damals war Israel noch eine große Nation gewesen, obwohl es nur einen einzigen Gott anbetete, von dem es nicht einmal den Namen kannte und ihn nur »den Herrn« zu nennen pflegte.

Einer Prinzessin aus Sidon war es gelungen, Salomo zum wahren Glauben zurückzuführen, und er hatte den Göttern des Fünften Bergs einen Altar gebaut. Die Israeliten behaupteten, »der Herr« habe den weisesten seiner Könige gestraft, indem er ihm Kriege schickte, die ihn den Thron kosteten.

Sein Sohn Jerobeam führte den Kult weiter, mit dem sein Vater begonnen hatte. Er ließ zwei goldene Kälber machen, und das Volk Israel betete sie an. Damals traten dann die Propheten auf den Plan – und begannen ihren unerbittlichen Kampf gegen die Regierung.

Isebel hatte recht: Der wahre Glaube blieb nur lebendig, wenn man die Propheten tötete. Sie war eine sanfte Frau, zu Toleranz erzogen, und sie verabscheute den Krieg, und doch wußte sie, daß manchmal die Gewalt der einzige Ausweg war.

Das Blut, das jetzt ihre Hände befleckte, würde von den Göttern, denen sie diente, vergeben werden.

»Bald werden auch meine Hände mit Blut befleckt sein«, sagte der Priester zum schweigenden Berg vor ihm. »So wie Israels Fluch die Propheten sind, so ist Phöniziens Fluch die Schrift.

Wenn ihnen nicht beizeiten ein Riegel vorgeschoben wird, richten beide einen nicht wiedergutzumachenden Schaden an.

Der Gott der Zeit darf sich jetzt nicht davonmachen.« Es erfüllte ihn mit Sorge, daß das feindliche Heer nicht angegriffen hatte. Der Gott der Zeit hatte Phönizien aus Zorn über seine Bewohner schon oft im Stich gelassen. Die Folge war gewesen, daß die Flammen in den Lampen erloschen, die Schafe und Kühe ihre Jungen sich selbst überließen und Weizen und Gerste grün blieben. Da mochte der Gott der Sonne noch so wichtige Kundschafter wie den Adler und den Gott des Sturmes aussenden, um ihn zu suchen – der Gott der Zeit blieb unauffindbar; bis die Große Göttin eine Biene aussandte, die ihn schlafend in einem Wald fand und ihn stach.

Da wachte er wütend auf und begann, alles um sich herum zu zerstören; man mußte ihn fesseln und den Haß, der in seinem Herzen war, herausholen – erst dann fand alles zum gewohnten Gang zurück.

Wenn er sich wieder davonmachte, würde die Schlacht nicht stattfinden. Die Assyrer würden auf immer am Eingang des Tales stehenbleiben, und Akbar würde weiterbestehen.

»Der Mut ist die Angst, die ihr Gebet spricht«, sagte er.

»Deshalb bin ich hier: Weil ich im Augenblick des Kampfes nicht schwanken darf. Ich muß den Kriegern von Akbar zeigen, daß es einen Grund gibt, die Stadt zu verteidigen. Es ist nicht der Brunnen, es ist nicht der Markt, es ist nicht der Palast des Stadthauptmanns. Wir müssen uns dem assyrischen Heer stellen, weil wir ein Beispiel geben müssen.« Ein Sieg der Assyrer würde die Gefahr des Alphabets für immer bannen. Die Eroberer würden den Bewohnern von Akbar ihre Sprache und ihre Bräuche aufzwingen und – das war wichtig – sie weiterhin die Götter des Fünften Bergs anbeten lassen.

»In Zukunft werden unsere Seefahrer die Heldentaten der Krieger in anderen Ländern verbreiten. Die Priester werden den Tag überliefern, an dem Akbar versucht hat, der Invasion der Assyrer zu widerstehen. Die Maler werden ägyptische Zeichen auf ihr Papyrus zeichnen, und damit wäre die Byblos-Schrift endgültig ausgerottet. Die heiligen Texte verbleiben fürderhin im Besitz derer, die dazu geboren sind, sie zu erlernen. Und künftige Generationen werden uns nachahmen, und wir werden eine bessere Welt bauen.

Doch jetzt«, fuhr er fort, »gilt es zuerst, diese Schlacht zu verlieren. Wir werden tapfer kämpfen, doch der Feind ist in der Überzahl, und so werden wir ruhmreich sterben.« Der Priester lauschte in die Nacht hinaus und erkannte, daß er recht hatte. Die Stille kündigte immer einen wichtigen Kampf an, doch die Bewohner von Akbar deuteten die Stille falsch. Sie senkten ihre Lanzen und amüsierten sich, statt wachsam zu bleiben. Sie nahmen sich kein Beispiel an der Natur: Die Tiere sind ganz still, wenn Gefahr im Anzug ist.