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»Sie wird geflohen sein«, dachte er. »Sie werden einer wehrlosen Frau nichts antun.« Tiefer Friede kehrte in sein Herz zurück. Vielleicht hatte der Herr gemerkt, daß er der falsche Mann war, und einen anderen entdeckt, der Israel von der Sünde befreien sollte. Der Tod war also gekommen – genauso wie er es erwartet hatte, durch das Martyrium. Er nahm sein Schicksal an und erwartete den Todesstoß.

Einige Sekunden vergingen. Die Stimmen schrien weiter, Blut strömte aus seiner Wunde, doch der Todesstoß erfolgte nicht.

»Tötet mich, schnell!« schrie er, denn er wußte, daß mindestens einer von ihnen seine Sprache verstand.

Niemand beachtete ihn. Sie stritten hitzig und schienen sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Einige Soldaten begannen ihn mit Füßen zu treten. Elia aber fühlte seinen Überlebenswillen zurückkehren. Das versetzte ihn in Panik.

>Ich kann nicht mehr leben wollen<, dachte er verzweifelt.

>Denn ich werde dieses Zimmer lebend nicht verlassen.< Nichts geschah jedoch. Die Welt schien in diesem Durcheinander von Stimmen, Lärm und Staub zu verharren.

Vielleicht hatte der Herr wie einst mit Josua die Zeit mitten in der Schlacht stehenbleiben lassen.

Da hörte er unten die Schreie der Frau. Mit übermenschlicher Anstrengung gelang es ihm, eine der Wachen wegzustoßen und sich zu erheben, doch sie warfen ihn umgehend wieder zu Boden. Ein Soldat gab ihm einen Fußtritt an den Kopf, und Elia wurde ohnmächtig.

Wenige Minuten später kam er wieder zu sich. Die Assyrer hatten ihn auf die Straße geschleppt. Ihm schwindelte, als er den Kopf hob: Alle Häuser des Viertels brannten.

»Eine wehrlose, unschuldige Frau ist dort drinnen gefangen!

Rettet sie!« Geschrei, Gerenne, Durcheinander überall. Er versuchte sich zu erheben, wurde abermals zu Boden gestoßen.

»Herr, Du kannst mit mir tun, was Du willst, denn ich habe mein Leben und meinen Tod Deiner Sache geweiht«, betete Elia.

»Doch rette die, die mich aufgenommen hat.« Jemand zog ihn an den Armen hoch.

»Kommt und seht«, sagte der assyrische Offizier, der seine Sprache sprach. »Ihr verdient es.« Die beiden Wachen hielten ihn fest und schoben ihn zur Tür.

Das Haus wurde schnell von den Flammen verschlungen, und der Feuerschein erleuchtete alles ringsum: weinende Kinder, Alte, die um Vergebung flehten, verzweifelte Frauen, die ihre Kinder suchten. Doch er hörte nur die Hilfeschreie der Frau, die ihn aufgenommen hatte.

»Was geht hier vor? Dort drinnen befinden sich eine Frau und ein Kind! Warum tut Ihr ihnen das an?« »Weil sie den Stadthauptmann von Akbar versteckt hat.« »Ich bin nicht der Stadthauptmann von Akbar, Ihr begeht einen schrecklichen Fehler!« Der assyrische Offizier schob ihn zur Tür. Die Decke war durch das Feuer eingestürzt, und die Frau war halb unter den Trümmern begraben. Elia konnte nur ihren Arm sehen, der sich verzweifelt hin und her bewegte. Sie rief um Hilfe, flehte, sie nicht bei lebendigem Leibe verbrennen zu lassen.

»Warum verschont Ihr mich und macht das mit ihr?« klagte Elia.

»Wir werden Euch nicht verschonen, doch wir wollen, daß Ihr soviel wie möglich leidet. Unser General starb gesteinigt und ehrlos vor den Mauern der Stadt. Er suchte Leben und fand den Tod. Jetzt habt Ihr das gleiche Schicksal.« Elia kämpfte verzweifelt, um sich zu befreien, doch die Wachen schleppten ihn fort. Sie gingen durch die glutheißen Straßen von Akbar. Die Soldaten schwitzten, und einigen stand das Entsetzen über das, was sie gesehen hatten, ins Gesicht geschrieben. Elia versuchte sich loszureißen und schrie zum Himmel, doch sowohl Assyrer wie Gott blieben stumm.

Sie begaben sich bis zur Mitte des Platzes. Die meisten Gebäude der Stadt brannten, und das Prasseln der Flammen vermischte sich mit den Schreien der Bewohner von Akbar.

»Wie gut, daß es den Tod gibt.« Wie oft hatte er seit dem Tag im Pferdestall daran gedacht!

Die Leichen der Krieger von Akbar – die meisten ohne Uniform – lagen auf dem Boden verstreut. Menschen rannten kopflos und wie besessen in alle Himmelsrichtungen, als könnten sie so den Tod und die Zerstörung aufhalten.

>Warum tun sie das?< dachte er. >Sehen sie denn nicht, daß die Stadt in den Händen der Feinde ist und daß es für sie keine Zuflucht mehr gibt?< Alles war sehr schnell gegangen. Die Assyrer hatten ihre zahlenmäßige Übermacht ausgenutzt, und es war ihnen gelungen, ihren Soldaten eine Schlacht zu ersparen. Die Soldaten von Akbar wurden fast ohne Gegenwehr vernichtet.

Elia und seine Häscher blieben mitten auf dem Platz stehen.

Elia mußte sich hinknien, die Hände wurden ihm gebunden. Er hörte die Schreie der Frau nicht mehr. Vielleicht war sie schnell gestorben, hatte die lange Qual, bei lebendigem Leibe zu verbrennen, nicht miterlebt. Der Herr hielt sie jetzt in Seinen Armen. Und sie trug ihren Sohn auf dem Schoß.

Eine weitere Gruppe assyrischer Soldaten brachte einen Gefangenen, dessen Gesicht von Schlägen verunstaltet war.

Dennoch erkannte Elia in ihm den Kommandanten.

»Hoch lebe Akbar!« rief er. »Phönizien und seinen Kriegern ein langes Leben, die sich am Tag mit ihren Feinden schlagen! Tod den Feinden, die in der Dunkelheit angreifen!« Doch er hatte kaum Zeit, den Satz zu beenden. Das Schwert eines assyrischen Generals senkte sich, und der Kopf des Kommandanten rollte auf den Boden.

>Jetzt bin ich an der Reihe<, dachte Elia bei sich. >Ich werde sie im Paradies wiedersehen, und wir werden dort Hand in Hand Spazierengehen.< In diesem Augenblick kam ein Mann heran und fing an, mit den Offizieren zu diskutieren. Es war ein Bewohner von Akbar, der oft zu den Versammlungen auf dem Platz gekommen war. Er hatte Streit mit seinem Nachbarn, und Elia konnte ihn beilegen.

Die Assyrer diskutierten, redeten immer lauter und wiesen auf ihn. Der Mann kniete nieder, küßte einem von ihnen die Füße, streckte die Hand zum Fünften Berg aus und weinte wie ein Kind. Die Wut der Assyrer schien nachzulassen.

Die Unterredung schien kein Ende zu nehmen. Der Mann flehte und weinte die ganze Zeit, indem er auf Elia und das Haus wies, in dem der Stadthauptmann wohnte. Die Soldaten wirkten weiterhin verstimmt.

Schließlich trat der Offizier, der seine Sprache sprach, zu ihm.

»Unser Spion«, sagte er und wies auf den Mann, »versichert, daß wir uns irren. Er hat uns die Pläne der Stadt gegeben, und wir können seinen Worten vertrauen. Ihr seid nicht der, den wir töten wollten.« Er gab ihm einen Fußtritt. Elia fiel zu Boden.

»Er sagt, daß Ihr nach Israel gehen werdet, um die Prinzessin abzusetzen, die die Macht in Israel an sich gerissen hat. Ist das wahr?« Elia antwortete nicht.

»Sagt mir, ob das die Wahrheit ist«, beharrte der Offizier. »Und Ihr könnt in die Stadt gehen und zu Eurem Haus zurückkehren, um noch jene Frau und ihren Sohn zu retten.« »Ja, es ist wahr«, sagte er. Vielleicht hatte der Herr ihn erhört und würde helfen, sie zu retten.

»Wir könnten Euch als Gefangenen nach Tyrus und Sidon mitnehmen«, fuhr der Offizier fort. »Doch in den kommenden Schlachten würdet Ihr uns nur hinderlich sein. Wir könnten ein Lösegeld für Euch verlangen, doch von wem? Ihr seid in Eurem eigenen Land ein Fremder.« Der Offizier trat ihm ins Gesicht.

»Ihr seid für nichts zu gebrauchen. Weder bei den Feinden noch den Freunden. Ihr seid wie Eure Stadt: Es lohnt nicht, einen Teil unseres Heeres hier zu lassen, um sie unter Kontrolle zu halten. Wenn wir die Küste erobert haben, gehört uns Akbar sowieso.« »Ich habe eine Frage«, sagte Elia. »Nur eine Frage.« Der Offizier sah ihn mißtrauisch an.

»Warum habt Ihr nachts angegriffen? Wißt Ihr denn nicht, daß alle Kriege tagsüber geführt werden?« »Wir haben kein Gesetz gebrochen. Es gibt keine Tradition, die dies verbietet«, antwortete der Offizier. »Wir hatten viel Zeit, um das Terrain zu erkunden. Ihr wart mit Euren alten Bräuchen beschäftigt und hattet vergessen, daß sich die Dinge geändert haben.« Ohne ein weiteres Wort verließ ihn die Gruppe. Der Spion trat heran und löste die Fesseln an seinen Händen.