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Wagner ist ein grosser Verderb für die Musik. Er hat in ihr das Mittel errathen, müde Nerven zu reizen, — er hat die Musik damit krank gemacht. Seine Erfindungsgabe ist keine kleine in der Kunst, die Erschöpftesten wieder aufzustacheln, die Halbtodten in's Leben zu rufen. Er ist der Meister hypnotischer Griffe, er wirft die Stärksten noch wie Stiere um. Der Erfolg Wagner's — sein Erfolg bei den Nerven und folglich bei den Frauen — hat die ganze ehrgeizige Musiker-Welt zu Jüngern seiner Geheimkunst gemacht. Und nicht nur die ehrgeizige, auch die kluge… Man macht heute nur Geld mit kranker Musik; unsre grossen Theater leben von Wagner.

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— Ich gestatte mir wieder eine Erheiterung. Ich setze den Fall, dass der Erfolg Wagner's leibhaft würde, Gestalt annähme, dass er, verkleidet zum menschenfreundlichen Musikgelehrten, sich unter junge Künstler mischte. Wie meinen Sie wohl, dass er sich da verlautbarte? —

Meine Freunde, würde er sagen, reden wir fünf Worte unter uns. Es ist leichter, schlechte Musik zu machen als gute. Wie? wenn es ausserdem auch noch vortheilhafter wäre? wirkungsvoller, überredender, begeisternder, zuverlässiger? wagnerischer?… Pulchrum est paucorum hominum. Schlimm genug! Wir verstehn Latein, wir verstehn vielleicht auch unsern Vortheil. Das Schöne hat seinen Haken: wir wissen das. Wozu also Schönheit? Warum nicht lieber das Grosse, das Erhabne, das Gigantische, Das, was die Massen bewegt? — Und nochmals: es ist leichter, gigantisch zu sein als schön; wir wissen das…

Wir kennen die Massen, wir kennen das Theater. Das Beste, was darin sitzt, deutsche Jünglinge, gehörnte Siegfriede und andre Wagnerianer, bedarf des Erhabenen, des Tiefen, des Überwältigenden. So viel vermögen wir noch. Und das Andre, das auch noch darin sitzt, die Bildungs-Cretins, die kleinen Blasirten, die Ewig-Weiblichen, die Glücklich-Verdauenden, kurz das Volk- bedarf ebenfalls des Erhabenen, des Tiefen, des Überwältigenden. Das hat Alles einerlei Logik.»Wer uns umwirft, der ist stark; wer uns erhebt, der ist göttlich; wer uns ahnen macht, der ist tief.«— Entschliessen wir uns, meine Herrn Musiker: wir wollen sie umwerfen, wir wollen sie erheben, wir wollen sie ahnen machen. So viel vermögen wir noch.

Was das Ahnen-machen betrifft: so nimmt hier unser Begriff» Stil «seinen Ausgangspunkt. Vor Allem kein Gedanke! Nichts ist compromittirender als ein Gedanke! Sondern der Zustand vor dem Gedanken, das Gedräng der noch nicht geborenen Gedanken, das Versprechen zukünftiger Gedanken, die Welt, wie sie war, bevor Gott sie schuf, — eine Recrudescenz des Chaos… Das Chaos macht ahnen…

In der Sprache des Meisters geredet: Unendlichkeit, aber ohne Melodie.

Was, zuzweit, das Umwerfen angeht, so gehört dies zum Theil schon in die Physiologie. Studiren wir vor Allem die Instrumente. Einige von ihnen überreden selbst noch die Eingeweide (- sie öffnen die Thore, mit Händel zu reden), andre bezaubern das Rückenmark. Die Farbe des Klangs entscheidet hier; was erklingt, ist beinahe gleichgültig. Raffiniren wir in diese in Punkte! Wozu uns sonst verschwenden? Seien wir im Klang charakteristisch bis zur Narrheit! Man rechnet es unserm Geiste zu, wenn wir mit Klängen viel zu rathen geben! Agaçiren wir die Nerven, schlagen wir sie todt, handhaben wir Blitz und Donner, — das wirft um…

Vor Allem aber wirft die Leidenschaft um. — Verstehen wir uns über die Leidenschaft. Nichts ist wohlfeiler als die Leidenschaft! Man kann aller Tugenden des Contrapunktes entrathen, man braucht Nichts gelernt zu haben, — die Leidenschaft kann man immer! Die Schönheit ist schwierig: hüten wir uns vor der Schönheit!… Und gar die Melodie! Verleumden wir, meine Freunde, verleumden wir, wenn anders es uns ernst ist mit dem Ideale, verleumden wir die Melodie! Nichts ist gefährlicher als eine schöne Melodie! Nichts verdirbt sicherer den Geschmack! Wir sind verloren, meine Freunde, wenn man wieder schöne Melodien liebt!…

Grundsatz: die Melodie ist unmoralisch. Beweis: Palestrina. Nutzanwendung: Parsifal. Der Mangel an Melodie heiligt selbst…

Und dies ist die Definition der Leidenschaft. Leidenschaft — oder die Gymnastik des Hässlichen auf dem Seile der Enharmonik. — Wagen wir es, meine Freunde, hässlich zu sein! Wagner hat es gewagt! Wälzen wir unverzagt den Schlamm der widrigsten Harmonien vor uns her! Schonen wir unsre Hände nicht! Erst damit werden wir natürlich…

Einen letzten Rath! Vielleicht fasst er Alles in Eins. — Seien wir Idealisten! — Dies ist, wenn nicht das Klügste, so doch das Weiseste, was wir thun können. Um die Menschen zu erheben, muss man selbst erhaben sein. Wandeln wir über Wolken, haranguiren wir das Unendliche, stellen wir die grossen Symbole um uns herum! Sursum! Bumbum! — es giebt keinen besseren Rath. Der» gehobene Busen «sei unser Argument, das» schöne Gefühl «unser Fürsprecher. Die Tugend behält Recht noch gegen den Contrapunkt.»Wer uns verbessert, wie sollte der nicht selbst gut sein?«so hat die Menschheit immer geschlossen. Verbessern wir also die Menschheit! — damit wird man gut (damit wird man selbst» Klassiker«: — Schiller wurde» Klassiker«). Das Haschen nach niederem Sinnesreiz, nach der sogenannten Schönheit hat den Italiäner entnervt: bleiben wir deutsch! Selbst Mozart's Verhältniss zur Musik — Wagner hat es uns zum Trost gesagt! — war im Grunde frivol… Lassen wir niemals zu, dass die Musik» zur Erholung diene«; dass sie» erheitere«; dass sie» Vergnügen mache«. Machen wir nie Vergnügen! — wir sind verloren, wenn man von der Kunst wieder hedonistisch denkt… Das ist schlechtes achtzehntes Jahrhundert… Nichts dagegen dürfte räthlicher sein, bei Seite gesagt, als eine Dosis — Mucker thum, sit venia verbo. Das giebt Würde. — Und wählen wir die Stunde, wo es sich schickt, schwarz zu blicken, öffentlich zu seufzen, christlich zu seufzen, das grosse christliche Mitleiden zur Schau zu stellen. Der Mensch ist verderbt: wer erlöst ihn?» was erlöst ihn?«— Antworten wir nicht. Seien wir vorsichtig. Bekämpfen wir unsern Ehrgeiz, welcher Religionen stiften möchte. Aber Niemand darf zweifeln, dass wir ihn erlösen, dass unsre Musik allein erlöst… (Wagner's Aufsatz» Religion und Kunst«.)

7

Genug! Genug! Man wird, fürchte ich, zu deutlich nur unter meinen heitern Strichen die sinistre Wirklichkeit wiedererkannt haben — das Bild eines Verfalls der Kunst, eines Verfalls auch der Künstler. Der letztere, ein Charakter-Verfall, käme vielleicht mit dieser Formel zu einem vorläufigen Ausdruck: der Musiker wird jetzt zum Schauspieler, seine Kunst entwickelt sich immer mehr als ein Talent zu lügen. Ich werde eine Gelegenheit haben (in einem Capitel meines Hauptwerks, das den Titel führt» Zur Physiologie der Kunst«), des Näheren zu zeigen, wie diese Gesammtverwandlung der Kunst in's Schauspielerische eben so bestimmt ein Ausdruck physiologischer Degenerescenz (genauer, eine Form des Hysterismus) ist, wie jede einzelne Verderbniss und Gebrechlichkeit der durch Wagner inaugurirten Kunst: zum Beispiel die Unruhe ihrer Optik, die dazu nöthigt, in jedem Augenblick die Stellung vor ihr zu wechseln. Man versteht Nichts von Wagner, so lange man in ihm nur ein Naturspiel, eine Willkür und Laune, eine Zufälligkeit sieht. Er war kein» lückenhaftes«, kein» verunglücktes«, kein» contradiktorisches «Genie, wie man wohl gesagt hat. Wagner war etwas Vollkommnes, ein typischer décadent, bei dem jeder» freie Wille «fehlt, jeder Zug Nothwendigkeit hat. Wenn irgend Etwas interessant ist an Wagner, so ist es die Logik, mit der ein physiologischer Missstand als Praktik und Prozedur, als Neuerung in den Principien, als Krisis des Geschmacks Schluss für Schluss, Schritt für Schritt macht.