WIDMUNG
Im Gedenken an
John Carson (1932 – 2000),
dem leidenschaftlichen Sammler meiner Werke
»Erinnerung an frohe Zeiten
lässt Kummer uns vergessen.«
VORBEMERKUNG
Die Kriminalgeschichten um Schwester Fidelma spielen im siebenten Jahrhundert Anno Domini, vorwiegend in Irland, ihrem Heimatland.
Schwester Fidelma ist nicht eine fromme Klosterschwester schlechthin. Sie gehört der Glaubensrichtung an, die wir heute die Keltische Kirche nennen. Diese hat sich lange im Widerstreit mit Rom befunden. Dabei ging es immer wieder um theologische Fragen und auch um die Gestaltung des Zusammenlebens weltlicher Gemeinschaften. Es gab voneinander abweichende Auffassungen darüber, wie der Gottesdienst abzuhalten sei, über die Datierung des Osterfests, über die Art, die Tonsur zu tragen. Das Zölibat hatte sich nicht überall durchsetzen können. In vielen Abteien lebten Männer und Frauen zusammen und erzogen ihre Kinder im christlichen Glauben zum Dienst an Gott. Fidelma ist eine gut ausgebildete dálaigh, eine Anwältin an den Gerichtshöfen Irlands, deren Grundlage die von alters her geltenden Gesetze der Brehons waren. Damals konnte eine Frau ebenso wie jeder Mann in den höhere Bildung voraussetzenden Berufen wirken. Nicht wenige Frauen waren Anwälte oder Richter. Es ist ein Dokument überliefert, in dem die Richterin Brig in einem Berufungsverfahren das Urteil des Richters Sencha über die Rechte einer Frau revidiert.
Den Lesern, die Schwester Fidelma auf ihren Abenteuern in der Romanserie begleitet haben, ist vermutlich nicht bewusst, dass sie erstmals in einer Kurzgeschichte auftrat. Im Oktober 1993 erschienen in unterschiedlichen Publikationen vier Geschichten mit Fidelma als Hauptperson. Die wohlwollende Aufnahme dieser Erzählungen führte dazu, dass Fidelma zur Heldin vieler Romane wurde. Dennoch ebbte das Verlangen nach weiteren Kurzgeschichten nicht ab. So entstanden die in diesem Band vereinten fünfzehn Detektivgeschichten.
Auch darf ich meinen Lesern verraten, dass es ursprünglich gar keine Fidelma gab. Während meiner wissenschaftlichen Arbeiten als Keltist kam mir der Gedanke, die Figur einer irischen Nonne zu schaffen, die als Anwältin im alten Irland geheimnisvolle Verbrechen aufklärte. Das gab mir die Möglichkeit, eine größere Leserschaft mit dem faszinierenden Rechtswesen der irischen Kelten vertraut zu machen und auf die hervorragende Rolle hinzuweisen, die Frauen in jener weit zurückliegenden Zeit spielten. In der ersten Geschichte, die ich 1993 schrieb, hieß die Hauptgestalt Schwester Buan. Das ist ein altirischer Name, er bedeutet so viel wie »Ausdauer« und geht auf eine Königstochter zurück, die in der Sage den Helden Cúchulainn in den Kampfkünsten unterweist.
Als ich das Manuskript meinem Freund Peter Haining zeigte, dem Schriftsteller und Herausgeber von Sammelbänden, gefiel ihm die Geschichte, doch bei dem Namen warf er entsetzt die Hände hoch. Er fand, der ginge nicht glatt über die Zunge, obwohl er so kurz sei.
Ich dachte darüber nach, und schon wurde Fidelma geboren; es war, als hätte sie nur darauf gewartet, von mir entdeckt zu werden. Auch dieser Name ist uralt und bedeutet »die mit dem glatten Haar«. Kaum hatte sich Fidelma derart ins Leben gedrängt, ging alles wie von selbst. Ihr Name gab ihr einen Hintergrund und eine Familie! Die männliche und weibliche Form des Namens waren in der Königsdynastie der Eóghanachta verbreitet, die das Königreich Munster von ihrem Hauptort Cashel (in der Grafschaft Tipperary) regierten. Außerdem war ich in der Landschaft zu Hause, denn die Vorfahren meines Vaters siedelten schon vor 700 Jahren, wie Urkunden zeigen, etwa sechzig Kilometer von Cashel. Dieser Ort ist für mich immer ein besonderer Ort gewesen, in dem Magie, Geheimnisumwittertes und reale Geschichte aufeinandertreffen.
So nimmt es nicht Wunder, dass Fidelma sofort ihre Identität gewann als Tochter des Königs Failbe Fland, der zwischen 637 und 639, wenige Monate vor Fidelmas Geburt, starb. Bevor sie also in ein Kloster eintrat und zur Anwältin herangebildet wurde, wuchs sie als Prinzessin im Clan der Eóghanachta auf.
Aufmerksamen Lesern wird aufgefallen sein, dass ich in der Abfolge der Romane eine strenge Chronologie eingehalten habe. In der Regel begibt sich die Handlung der Geschichten zwischen dem Frühjahr 664 und dem Herbst 666. Anno Domini 666 war Fidelma besonders stark eingebunden, denn in dem Jahr hatte sie zwischen Januar und Oktober nicht weniger als vier ganze Romanbände füllende Kriminalfälle zu lösen.
Die Einhaltung eines chronologischen Rahmens trifft auch auf die Kurzgeschichten zu. Fidelma ist etwa 27 Jahre alt, als sie ihre detektivische Laufbahn beginnt. Zuvor war sie nicht nur in einer Stätte kirchlicher Gelehrsamkeit ausgebildet worden, sondern hatte auch an der weltlichen Hohen Schule des Brehon (Richters) Morann in Tara studiert. Einen Brehon Morann hat es tatsächlich gegeben; seine Aussprüche und richterlichen Entscheidungen sind in der altirischen Literatur überliefert. Fidelma schloss ihre Studien sehr erfolgreich ab und erlangte den Grad eines anruth; das war nur eine Stufe unter der höchsten Auszeichnung, die geistliche und weltliche Bildungsstätten in Irland vergeben konnten. Während ihrer Studienzeit hatte sie eine unglückliche affaire du coeur mit einem Krieger, der ihr geistig nicht gewachsen war. In der Folgezeit trat sie in die klösterliche Gemeinschaft ein, die St. Brigid in Kildare gegründet hatte. Dort tat sie sich bald als junge Nonne hervor, der es gelang, verzwickte Rechtsfälle zu schlichten und mysteriöse Vorgänge zu klären. Mit ihrem Talent als Anwältin, dálaigh im Altirischen, gewann sie weithin Anerkennung.
Der eine oder andere Leser mag überrascht sein, dass in keiner der Kurzgeschichten Bruder Eadulf vorkommt. In Nur der Tod bringt Vergebung, dem ersten Roman (1994 in England veröffentlicht), hatte sich Fidelma bereits einen Ruf als scharfsinnige Fragestellerin und als Sachverständige in Rechtsfragen erworben und wurde 664 als Beraterin der irischen Delegation zur Teilnahme an der Synode von Whitby geschickt. Die Synode war der Austragungsort der historischen Debatte zwischen Vertretern der Keltischen und der Römischen Kirche. Dort kam es zu ihrer Begegnung mit Bruder Eadulf, dem jungen angelsächsischen Mönch. Er hatte seine Ausbildung in Irland genossen, trug aber jetzt die Tonsur von Rom. Er wurde ihr »Doktor Watson« und spielte fortan mit Ausnahme von Tod im Skriptorium (1995)[1] in allen Romanen eine Rolle.
In den Kurzgeschichten löst Fidelma die mysteriösen Vorgänge ohne die wohlwollende, wenn auch oft genug kritische Hilfestellung von Eadulf. Der Grund dafür ist darin zu suchen, dass etliche der Geschichten, wie zum Beispiel Mord im Tiefschlaf und Gottes Wille geschehe zeitlich vor ihrem Sich-Kennenlernen spielen. Auch Befleckter Heiligenschein, Der falsche Apostel und Das Geheimnis der Madonna gehören dazu.
In den frühen Geschichten erscheint Fidelma als »Fidelma von Kildare«. Man hat mich einmal gefragt, weshalb sie die fromme Gemeinschaft verlassen hat, denn nach den Geschehnissen in Tod im Skriptorium nennt sie sich nur noch »Fidelma von Cashel«. Manches zum Hintergrund für ihr Ausscheiden aus dem Kloster erfährt der Leser in Schierling zur Vesper. Sie begann, die sie bewegenden Fragen mit ihrem Mentor, dem ihr zugetanen Abt Laisran von Durrow zu besprechen, an dessen gerühmter Klosterschule Mitte des siebenten Jahrhunderts Studenten aus nicht weniger als achtzehn Nationen eingeschrieben waren. In Durrow spielt Ein Lobgesang für Wulfstan. Während ihres Aufenthalts dort erreicht Fidelma ein Hilfeschrei von einer engen Freundin aus Kindertagen; beide waren gemeinsam aufgewachsen, und jetzt wird die junge Frau des Mordes an ihrem Mann und ihrem Kind beschuldigt. Wie sich die Sache zugetragen hat und ausgeht, wird in Vor dem Zelt des Holofernes erzählt. Auf ihrem Weg nach Tara zum Hof des Hochkönigs erfährt sie, dass die Gelbe Pest, die zu der damaligen Zeit schlimmste Verheerungen in Europa anrichtete, auch die beiden Hochkönige Diarmuid und Blathmac dahingerafft hat. Sechnusach, der neue Hochkönig, soll ins Amt eingeführt werden, doch stellt sich heraus, dass eins der Krönungsinsignien abhanden gekommen ist. Wenn Sechnusach nicht die geheiligten Artefakten vorweisen und damit sein Recht auf das Königtum bezeugen kann, drohen Bürgerkrieg und Anarchie. In Das Schwert des Hochkönigs erfahren die rätselhaften Vorgänge beredte Schilderung.