Выбрать главу

»Warum nicht?«, wollte der Priester wissen.

»Die Hypothese wäre die, dass der junge Priester so sehr in das Mädchen verliebt war, dass sie beschlossen, gemeinsam fortzulaufen und die wertvollen Gegenstände zu stehlen, um sich so gegen Armut und Entbehrung abzusichern. Wir müssten außerdem schlussfolgern, dass der junge Priester von Reueüberwältigt wird, nachdem er die Hütte des Mädchens erreicht hat. Er gerät mit dem Mädchen in Streit und ersticht es. Dann, nachdem er den kostbaren Kelch neben der Leiche zurückgelassen, das Kruzifix aber seltsamerweise versteckt hat, geht er in den Wald und beschließt, als er schon eine Strecke Wegs zurückgelegt hat, in seiner Verzweiflung, sich zu erhängen. Und während er bereits am Baum hängt, während er erstickt, ist er außerdem noch in der Lage, ein Messer hervorzuholen und sich ins Herz zu stechen.«

»Und was stimmt nicht daran?«

Fidelma lächelte dünn.

»Lass uns noch einmal Bruder Adag hereinholen. Du kannst bleiben, Pater Febal.«

Der arglose junge Mönch stand da und schaute mit ungekünstelter Unschuld von Fidelma zu Pater Febal.

»Mir wurde gesagt, du hättest Téite gesehen, als sie gestern hierherkam?«

Der Junge dachte nach.

»Ja. Es ist meine Aufgabe, die Kleider zusammenzusuchen, die gewaschen oder geflickt werden müssen, und ein Bündel für Téite vorzubereiten.«

»Und das hast du gestern Morgen getan?«

»Ja.«

»Téite hat sie abgeholt? Waren es Kleider, die ausgebessert werden mussten?«

»Und zwei Kutten, die gewaschen werden mussten. Pater Febal und Bruder Finnlug hatten sie mir gegeben … Sie waren bei der Suche nach Pater Ibor zerrissen, und eine war mit Blut beschmiert.«

»Nur um ganz sicher zu sein«, unterbrach ihn Fidelma, »Téite holte die Kleider gestern Morgen ab?«

Bruder Adag sah zu Pater Febal hinüber, schlug die Augen nieder und trat von einem Fuß auf den anderen.

»Ja, gestern Morgen.«

»Du bist also sicher, dass sie sie abholte, nachdem die Suche nach Pater Ibor stattgefunden hatte?«

»Ja. Pater Ibor wurde am Tag vorher gefunden.«

»Denk genau nach!«, rief Pater Febal gereizt. »Denk noch mal nach!«

Der junge Mönch errötete und zuckte hilflos mit den Schultern.

Pater Febal rümpfte verärgert die Nase.

»Da hast du es, Schwester. Du siehst, dass man dem Erinnerungsvermögen dieses Dummkopfs wenig Vertrauen schenken kann. Die Kleider müssen abgeholt worden sein, bevor wir Pater Ibor gefunden haben.«

Der junge Mönch fuhr herum. Einen Moment lang glaubte Fidelma, dass er sich auf Pater Febal stürzen würde, denn er hob beide Hände, zu Fäusten geballt. Aber er drückte sie nur in abwehrender Haltung fest an seine Brust. Sein Gesicht war rot, und seine Augen blitzten vor Wut.

»Ich bin vielleicht dumm, aber wenigstens mir hat Téite etwas bedeutet!« Er schluchzte beinahe.

Pater Febal wich unbewusst einen Schritt zurück.

»Und wem hat Téite nichts bedeutet?«, fragte Fidelma sanft. »Pater Ibor?«

»Natürlich hat sie ihm nichts bedeutet. Aber er hat ihr etwas bedeutet. Sie hat ihn geliebt. Nicht wie …« Der Junge brach plötzlich ab.

»Ich würde die Torheit des Jungen nicht beachten, Schwester«, warf Pater Febal ungerührt ein. »Wir alle wissen, was geschehen ist.«

»Tun wir das? Wenn wir schon davon sprechen, wer sich von diesem jungen Mädchen angezogen fühlte, gehörte Bruder Finnlug auch dazu?«

»Finnlug?« Bruder Adag verzog abschätzig das Gesicht. »Er hat nichts für Frauen übrig.«

Pater Febal sah gequält aus. »Bruder Finnlug hat viele Fehler. Frauen gehören nicht dazu.«

»Fehler?«, drängte Fidelma interessiert. »Was hat er denn für Fehler?«

»Ach, wenn er nur die Gabe der Spiritualität besäße, wir wären entschädigt. Er ist lediglich durch seine Fähigkeit, zu jagen und Speisen für unseren Tisch herbeizuschaffen, von Nutzen für uns. Er ist für das religiöse Leben nicht geeignet. Ich glaube, wir haben jetzt genug gesagt. Lasst uns diese unglückliche Angelegenheit abschließen, bevor noch Dinge ausgesprochen werden, die wir später bereuen müssten.«

»Wir werden die Angelegenheit erst abschließen, wenn wir die Wahrheit herausgefunden haben«, antwortete Fidelma standhaft. »Die Wahrheit sollte man niemals bereuen.« Sie fragte Bruder Adag: »Ich weiß, du mochtest Téite. Aber nun ist sie tot, sie ist ermordet worden. Pater Febals Regel gilt jetzt nicht mehr. Du schuldest es deinen Gefühlen für sie, uns die Wahrheit zu sagen.«

Der Junge streckte das Kinn vor.

»Ich sage die Wahrheit.«

»Natürlich tust du das. Du sagst, dass Pater Ibor Téite nicht mochte?«

»Er liebte sie nicht so wie ich.«

»Und was hat Téite für Ibor empfunden?«

»Sie war von Pater Ibors Schläue geblendet. Sie dachte, sie liebte ihn. Ich habe die beiden gehört. Er sagte, sie solle aufhören, ihn zu … belästigen, das war das Wort … aufhören, ihn zu belästigen. Sie dachte, sie liebte ihn, so wie Pater Febal dachte, er liebte sie.«

Der Priester stand ärgerlich auf.

»Was redest du da, Junge?«, polterte er. »Du bist verrückt!«

»Du kannst nicht leugnen, dass du ihr gesagt hast, du liebtest sie«, antwortete Bruder Adag, von dem Aufbrausen des Priesters nicht eingeschüchtert. »Ich habe dich mit ihr streiten hören, am Tag vor Pater Ibors Tod.«

Pater Febals Augen wurden schmal. »Ach, jetzt bist du nicht so dumm, dass du Zeiten und Orte und Ereignisse vergisst. Dem Jungen kann man nicht vertrauen, Schwester. Ich würde seine Aussage nicht beachten.«

»Ich habe Téite geliebt, und man kann mir vertrauen!«, rief Bruder Adag.

»Ich habe sie nicht geliebt …«, beharrte Pater Febal. »Ich liebe niemanden.«

»Ein Priester sollte seine ganze Herde lieben.« Fidelma lächelte tadelnd.

»Ich meine die zügellose Liebe zu Frauen. Ich habe mich lediglich um Téite gekümmert, nachdem ihre Mutter gestorben war. Ohne mich hätte sie nicht überlebt.«

»Aber du dachtest vielleicht, dass sie dir etwas schuldete?«

Pater Febal sah sie fragend an.

»Wir sind nicht hier, um über Téite zu sprechen, sondern über Pater Ibors Verbrechen.«

»Sein Verbrechen? Nein, ich glaube, wir sind hier, um über ein Unrecht zu sprechen, das ihm angetan wurde, nicht eines, das er verübt hat.«

Pater Febal wurde blass.

»Was meinst du?«

»Téite wurde ermordet. Aber sie wurde nicht von Pater Ibor ermordet. Und sie hat auch nicht das Kruzifix oder den Kelch gestohlen, selbst wenn der Letztere bequemerweise neben ihrer Leiche gefunden wurde.«

»Wie kommst du darauf?«

»Schicke nach Bruder Finnlug. Dann können wir alle über die Lösung dieser Angelegenheit sprechen.«

Sie saßen ihr in der kleinen Sakristei gegenüber: Pater Febal, Bruder Finnlug und Bruder Adag. Ihre Gesichter drückten Neugierde aus.

»Die Menschen benehmen sich schon seltsam«, fing Fidelma an. »Selbst in den besten Zeiten kann ihr Verhalten merkwürdig sein. Aber ich bezweifle, dass sie sich auf die Weise verhalten würden, die mir hier präsentiert wird.«

Sie lächelte, während sie einen nach dem anderen anblickte.

»Was ist deine Lösung dieses Rätsels?«, fragte der Priester höhnisch.

»Jedenfalls nicht eine Lösung, bei der das Mordopfer lebendig und gesund herumläuft, nachdem sich der Mörder erhängt hat.«

Pater Febal blinzelte. »Adag muss sich irren.«

»Nein. Pater Ibor, das Kruzifix und der Kelch verschwanden vorgestern? Du schlugst sofort Alarm. Bruder Finnlug verfolgte Ibor in den Wald und ihr fandet ihn, an einem Baum hängend. Stimmt das nicht?«

»Es stimmt durchaus.«

»Hätte er Téite getötet, bevor er sich erhängte, wie jetzt behauptet wird, dann hätte sie nicht gestern hierherkommen können, um Kleider zum Waschen und Ausbessern abzuholen.«