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Fidelma hob die Hand und gebot ihnen allen, einen Augenblick am Rand der Lichtung stehen zu bleiben. Dann näherten sie sich der Hütte. Das Erste, was Fidelma bemerkte, war ein Blutfleck am Türrahmen. Es waren auch einige Handabdrücke auf der Tür, als hätte sie jemand mit blutigen Händen geöffnet. Auf einem Stück Holz neben der Tür war ebenfalls Blut zu sehen.

Von drinnen hörten sie Schluchzen.

»Bruder Cano!«, rief Sinsear plötzlich. »Der Abt und ich sind hier.«

Schweigen. Unvermittelt brach das Schluchzen ab.

»Sinsear?«, antwortete eine zögerliche Männerstimme. »Gott sei Dank! Ich brauche Hilfe.«

Nun war ein anderes Geräusch zu vernehmen. Der Schrei einer Frau, der klang, als würde er beinahe sofort erstickt.

Fidelma schaute ihre Gefährten an.

»Wartet! Ich gehe als Erste hinein.« Sie rief laut: »Bruder Cano? Ich bin Fidelma von Cashel. Ich bin hier, um dir zu helfen. Ich komme jetzt herein.«

Keine Antwort.

Langsam lehnte sich Fidelma vor, legte ihre Hand neben den blutigen Abdruck und drückte gegen die Tür. Sie ging leicht auf.

In der hinteren Ecke der Hütte sah sie einen jungen Mann im Ordensgewand auf dem Boden knien. Sein Haar war zerzaust, seine Augen waren rot unterlaufen, die Wangen feucht, als hätte er geweint. Er hielt ein blutbeflecktes Tuch in den Händen. Vor ihm lag ein Mädchen auf dem Boden. Ihre Augen waren geöffnet, und sie schien bei Bewusstsein zu sein. Ihre Kleider waren blutüberströmt.

Fidelma hörte hinter sich ein Geräusch und fuhr herum. Abt Heribert und die anderen versuchten, sich hinter ihr in die Hütte zu drängeln.

»Bleibt draußen!«, befahl sie schroff. Ihre Stimme hatte eine solche Kraft, dass die anderen wie angewurzelt stehen blieben. »Ich spreche erst mit Cano und Schwester Della.«

Fidelma trat einen Schritt weiter in die Hütte hinein.

»Ich bin Schwester Fidelma«, wiederholte sie. »Darf ich mich um Schwester Della kümmern?«

»Natürlich.« Der junge Mann schien verwirrt.

Fidelma kniete sich neben ihn. Er hatte versucht, Dellas Wunde am Hinterkopf zu säubern.

»Bleib still liegen«, sagte sie, während sie sich die Wunde der jungen Nonne ansah. Genau wie Schwester Cessair hatte man auch Schwester Della auf den Kopf geschlagen. Doch war bei ihr der Knochen nicht zertrümmert, sondern es war nur eine starke Schwellung zu sehen.

»Muss ich sterben, Schwester?« Die Stimme des Mädchens klang schwach.

»Nein. Wir bringen dich bald zur Abtei zurück, wo man sich um dich kümmern wird. Was kannst du mir über den Überfall auf Schwester Cessair und dich erzählen?«

»Ziemlich wenig.«

»Wenig kann unter diesen Umständen schon sehr viel sein«, ermutigte sie Fidelma.

»Leider ist das Wenige geradezu nichts. Schwester Cessair und ich waren mit der Phiole mit dem Heiligen Blut der heiligen Gertrude auf dem Weg zur Abtei von Fosse. Wir gingen durch den Wald. Ich weiß noch …« Sie stöhnte auf. »Ich habe aber niemanden hinter uns gehört, denn wir haben uns unterhalten und …« Sie fuhr sich mit der Hand an die Stirn und stöhnte auf. »Dann schlug mir jemand auf den Kopf, und danach kann ich mich an nichts mehr erinnern, bis ich wieder zu mir kam. Ich lag mit einem furchtbaren Schmerz im Schädel auf dem Weg. Ich dachte, ich wäre allein. Ich schaute mich um, und dann, dann sah ich Cessair …«

Sie schluchzte herzzerreißend.

»Und weiter?«, fragte Fidelma leise.

»Ich konnte nichts mehr für sie tun, nur Hilfe holen. Ich lief hierher und …«

»Du liefst hierher?«, unterbrach Fidelma sie rasch. »Warum zu dieser Holzfällerhütte? Warum nicht zur Abtei von Fosse oder zurück nach Nivelles?«

»Ich wusste, dass Cano hier sein würde.« Wieder stöhnte das Mädchen.

»Sie wusste, dass ich mich mit Cessair verabredet hatte. Wir wollten uns hier auf ihrem Weg von Nivelles nach Fosse treffen«, unterbrach Cano sie trotzig. »Ich schäme mich deswegen nicht.«

Fidelma ignorierte seinen Einwurf und sagte zu dem Mädchen: »Ruh dich ein wenig aus. Es dauert nicht mehr lange, und dann bringen wir dich in Sicherheit und kümmern uns um deine Wunde.«

Nun erst wandte sie sich Cano zu.

»Du hast also hier auf Cessair gewartet?«

»Cessair und ich, wir haben uns geliebt. Wir haben uns oft hier getroffen, weil Abt Heribert so sehr gegen unsere Verbindung war.«

»Erzähl mir davon.«

»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin vor etwa einem Monat nach Fosse gekommen, um mich der Gemeinschaft anzuschließen. Es sind zwar einige irische Ordensleute hier und in Nivelles, aber es ist ein seltsames Land. Sie legen hier viel mehr Wert auf das Zölibat als wir in Éireann. Sie haben nicht so viele gemischte Häuser wie wir. Abt Heribert ist ein fanatischer Anhänger des Zölibats – obwohl es in der Kirche keine solche Vorschrift gibt. Ich glaube, ich wäre schon längst wieder von hier weg, wenn ich Cessair nicht kennengelernt hätte.«

»Wann war das?«

»Gleich in der Woche nach meiner Ankunft. Bruder Sinsear hat mich mit ihr bekannt gemacht, als wir Gemüse von Fosse nach Nivelles brachten.«

»Bruder Sinsear hat euch einander vorgestellt?«

»Ja. Als Gärtner brachte er regelmäßig Gemüse von einer Abtei zur anderen. Er kennt viele von den Nonnen in Nivelles.«

»Hatte Cessair irgendwelche Feinde, von denen du weißt?«

»Nur Abt Heribert, nachdem er unsere Beziehung entdeckt hatte.« Canos Stimme klang bitter. Von der Tür her hörte Fidelma Heriberts wütendes Knurren.

»Warum seid ihr nicht von hier weggegangen und habt euch einem gemischten Haus angeschlossen?«

»Das hatten wir vor, aber Äbtissin Ballgel hat Cessair davon abgeraten.«

Fidelma sah ihn fragend an.

»Warum sollte sie etwas dagegen haben?«

Cano zuckte die Achseln.

»Sie hat Cessair sehr … fürsorglich behandelt. Sie hielt sie noch für zu jung.«

»Fürsorglicher als ihre anderen Schützlinge?«

»Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass wir verzweifelt waren und deshalb wegwollten.«

Fidelma wartete eine Weile. Dann sagte sie unvermittelt: »Hast du Cessair umgebracht?«

Der junge Mönch hob sein tränennasses Gesicht zu Fidelma und schaute sie gequält an.

»Wie kannst du eine solche Frage stellen?«

»Weil ich eine dálaigh bin, eine Anwältin«, erwiderte Fidelma. »Es ist meine Pflicht, diese Frage zu stellen.«

»Ich habe es nicht getan.«

»Dann sage mir, was heute Morgen geschehen ist.«

»Ich wusste, dass Cessair und Della die Phiole zur alljährlichen Segnung nach Fosse bringen würden. Also haben wir uns hier verabredet.«

»Das hätte doch aber sicher die Ankunft der Phiole in Fosse verzögert? Der Gottesdienst war am Mittag.«

»Cessair wollte Della überreden, die Phiole allein nach Fosse zu tragen, während sie hier bei mir blieb. Wir wollten uns nur kurz sehen, um ein paar Abmachungen zu treffen. Dann wäre Cessair Della gefolgt und hätte vorgegeben, ihr sei unterwegs ein Riemen an der Sandale gerissen oder so was.«

»Was für Abmachungen wolltet ihr denn treffen?«

»Wie wir von hier verschwinden würden. Vielleicht nach Irland zurück.«

»Ich verstehe. Du bist also in der Hütte angekommen …«

»Und ich habe gewartet. Ich dachte, Cessair hätte sich verspätet. Ich wollte gerade zum Hauptweg hinuntergehen, um nach ihr Ausschau zu halten, als Della in die Hütte getaumelt kam. Sie war geradezu hysterisch. Sie vermochte mir noch zu erzählen, was geschehen war, ehe sie in Ohnmacht fiel. Ich konnte sie doch nicht allein lassen. Ich habe ununterbrochen versucht, sie wieder zum Bewusstsein zu bringen. Sie ist erst vor wenigen Augenblicken wieder zu sich gekommen.«