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Er war groß und dürr, mittleren Alters, an den Schläfen bereits ergraut und sah aschfahl aus. Bekleidet war er nur dürftig, er hielt sich gebückt. Doch nicht deshalb sah ihn Fidelma erstaunt an. Sein entsetzter Gesichtsausdruck fesselte sie. Das war kein plötzliches Erschrecken. Kummer und Leid hatten tiefe Spuren in sein leichenblasses Antlitz gegraben.

»Ich habe mein Pferd draußen angebunden. Das arme Vieh erfriert, wenn sich niemand darum kümmert«, sagte Fidelma knapp, als der Mann ihr eine Antwort schuldig blieb und sie nur sprachlos anstarrte.

»Wer bist du?«, ertönte jetzt hinter ihr die schrille Stimme einer Frau.

Fidelma drehte sich um und sah sich einer Frau gegenüber, deren Züge einstmals hübsch gewesen waren, doch zunehmendes Alter hatte das Gesicht aufgeschwemmt und von Falten durchfurcht. Ihre Augen waren schwarz und hatten keine erkennbaren Pupillen. Fidelma gewann den Eindruck, in einem furchtbaren Moment ihres Lebens war der Frau das Blut erstarrt und nie wieder in Fluss geraten. Sie hielt ein langes, kunstvoll gearbeitetes Kruzifix vor sich, als wollte sie damit Unheil abwehren.

Mann und Frau nahmen sich nichts in ihrer Art.

»Sag schon, was für eine bist du?«

Mühsam beherrscht erwiderte Fidelma: »Wenn ihr die Wirte dieses Gasthauses seid, dann hat euch zu reichen, dass ich eine ermüdete Reisende bin, die durch die Berge hier zieht und die der Schneesturm zwingt, Unterkunft zu suchen.«

Die Frau ließ sich durch ihren herablassenden Ton nicht einschüchtern. »Das zu wissen reicht uns nicht«, entgegnete sie standhaft. »Sag, ob du uns Unheil bringst oder Segen!«

Fidelma stutzte. »Ich suche Schutz vor dem Sturm, das ist mein einziges Begehr. Ich bin Fidelma von Kildare«, erklärte sie, nach wie vor verärgert. »Außerdem bin ich eine dálaigh bei den Gerichten im Range eines anruth, und ich bin die Schwester von Colgú, dem Thronanwärter dieses Königreichs.«

Sich derart großsprecherisch vorzustellen, zeigte, wie ungehalten Fidelma war, denn üblicherweise verriet sie über sich selbst so wenig, wie irgend möglich. Auch verschwieg sie im Allgemeinen, dass ihr Bruder Colgú Thronanwärter im Königtum von Cashel war. Jetzt aber meinte sie, sich deutlich zu erkennen geben zu müssen, um die beiden hier aus ihrer merkwürdigen Haltung zu locken.

Während sie sprach, legte sie den schweren Umhang ab, so dass ihr Habit sichtbar wurde. Die Frau bemerkte sogleich das kostbare Kruzifix, das Fidelma an einer Kette um den Hals trug, und die eben noch kalten Augen zeigten, dass ihr Gemüt sich beruhigte.

Sie ließ ihr Kreuz sinken und neigte kurz den Kopf. »Verzeih, Schwester! Ich heiße Monchae und bin die Ehefrau von Belach, dem Gastwirt.«

Der Wirt stand immer noch unschlüssig an der Tür. »Soll ich das Pferd versorgen?«, fragte er, mit sich uneins.

»Wenn du nicht willst, dass es erfriert, solltest du es tun«, warf Fidelma hin und ging auf das offene Feuer zu, in dem Torfsoden glühten und anheimelnde Wärme verbreiteten. Aus dem Augenwinkel sah sie noch, dass Belach kurz zögerte, sich dann eine Decke überwarf und ein Schwert griff, das hinter der Tür lehnte. So bewaffnet, ging er hinaus in den Sturm.

Darüber wunderte sich Fidelma nun wirklich. Noch nie hatte sie gesehen, dass ein Stallknecht zum Schwert griff, ehe er ein Pferd in den Stall brachte.

Monchae schob den eisernen Haltearm, an dem ein offener Kessel hing, über die Torfglut.

»Wo bin ich hier eigentlich? Wie heißt der Ort?«, fragte Fidelma, während sie sich auf einem Stuhl niederließ und die Beine vor dem wärmenden Feuer ausstreckte. Die aus Balken bestehende Decke der Stube war niedrig. Der Raum wirkte gemütlich, doch bis auf eine hohe Statuette der Madonna mit Kind gab es keinerlei Schmuckgegenstände. Die Madonna war bunt bemalt und schien aus einer Art Gips oder Alabaster gefertigt zu sein. Ihren Ehrenplatz hatte sie am Ende des langen Tisches, an dem wahrscheinlich die Gäste bewirtet wurden.

»Das hier ist Brugh-na-Bhelach. Du bist geradenwegs von der Flanke des Berges heruntergekommen; wir nennen ihn Fionns Sitz. Keine Meile von hier fließt der Tua. Im Winter kommen hier selten Wanderer vorbei. Wohin zieht es dich?«

»Ich muss nach Norden, nach Cashel.«

Monchae füllte einen Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit aus dem Kessel und reichte ihn ihrem Gast. Fidelma schloss die froststeifen Finger um den Becher, konnte aber nicht gleich die Wärme spüren, die von dem heißen Getränk ausging. Es roch gut, der Dampf stieg ihr in die Nase. Vorsichtig nippte sie, und ihr Geschmackssinn bestätigte, was ihr der Geruchssinn schon verraten hatte.

Sie schaute zu der Frau auf, die neben ihr stand. »Warum war die Tür eures Gasthauses zugesperrt, Monchae? Warum musste ich bitten und betteln, eingelassen zu werden? Das Gesetz über Herbergen und Wirtshäuser kennt ihr doch gewiss.«

Monchae presste die Lippen zusammen. »Wirst du uns bei dem bó-aire anzeigen?«

Das war der für die Gegend zuständige Friedensrichter.

»Lieber möchte ich erfahren, warum ihr euch so eingeigelt habt. In der Kälte könnte ja jemand umkommen, bevor ihr ihn einlasst.«

Ratlos nagte die Frau an den Lippen.

Noch ehe sie antworten konnte, flog die Tür auf, eisiger Wind schoss herein, und Schneeflocken wirbelten umher. Nur kurz blieb Belach im Türrahmen stehen, auf seinem bleichen Gesicht malte sich das nackte Entsetzen. Er stöhnte auf, kam herein und schloss die Tür hinter sich. Das Schwert hielt er immer noch wie eine Waffe vor sich. Dann schob er geschwind alle Riegel vor. Verwundert verfolgte Fidelma sein Tun.

Monchae war erstarrt und hielt sich die Wangen. Belach wandte sich ihnen zu, seine Lippen zitterten.

»Ich hab ihn gehört!«, brachte er heraus, und dabei wanderten die Augen zwischen seiner Frau und Fidelma hin und her. »Ich hab ihn gehört!«

»Oh, Maria, Muttergottes, beschütz uns!«, jammerte die Frau und schwankte, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen.

»Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte Fidelma streng.

Belach sah sie flehend an und antwortete kläglich: »Ich war in der Scheune, hab deinem Pferd Streu hingeschüttet, Schwester, und habe ihn gehört.«

»Wen hast du gehört?«, rief Fidelma und suchte ihre Ungeduld zu bezähmen.

»Den Geist von Mugrán«, ächzte Monchae und fing an zu schluchzen. »Steh uns bei, Schwester. Um Christi willen! Steh uns bei!«

Fidelma erhob sich, nahm die Frau sacht am Arm und führte sie dichter ans Feuer. Sie spürte, dass Belach zu erregt und nicht in der Lage war, seiner Frau beizustehen. Sie griff sich einen Krug, vergewisserte sich, dass corma darin war, ein aus Gerste gebrauter Schnaps, und goss etwas davon in einen Becher. Den reichte sie der Frau und redete ihr gut zu, einen Schluck zu trinken.

»Erzähl mir, was das alles auf sich hat. Sonst kann ich euch überhaupt nicht helfen.«

Monchae schaute Belach an, wie um seine Erlaubnis einzuholen, und bedächtig nickte er zustimmend. »Erzähl ihr alles von Anfang an«, murmelte er.

Aufmunternd lächelte Fidelma sie an. »Eine Geschichte von Anfang an zu erzählen ist immer das Beste«, scherzte sie. Aber der Gastwirtsfrau stand der Sinn nicht nach Fröhlichkeit.

Fidelma setzte sich vor sie hin und schaute ihr erwartungsvoll ins Gesicht. Nicht lange, und Monchae fing an zu erzählen, stockend zunächst, dann aber immer flüssiger.

»Ich war ein ganz junges Ding, als ich hierherkam. Als Braut des Gastwirts kam ich, das war damals ein Mann namens Mugrán. Belach ist mein zweiter Mann, musst du wissen«, fügte sie rasch hinzu.

Da Fidelma darauf nichts erwiderte, fuhr sie fort. »Mugrán war ein guter Kerl. Aber manchmal hatte er so seltsame Anwandlungen. Musik konnte er wunderbar machen, spielte ausgezeichnet auf dem Dudelsack. In dem Raum hier hat er oft die Leute unterhalten, von weit und breit kamen die, um ihn zu hören. Aber ein unruhiger Geist war er immer. Ich merkte bald, dass ich die ganze Arbeit hatte mit der Wirtschaft, während er seinen Träumereien nachhing. Mugráns jüngerer Bruder Cano hat mir oft geholfen, stand aber stark unter dem Einfluss seines Bruders.