Sechs Jahre ist es her, da entzündete unser Stammesfürst das crois-tara, das flammende Kreuz, und schickte seine Reiter von Dorf zu Dorf. Jeder Clan sollte eine Schar Kämpfer ins Aufgebot des Cathal Cú cen Máthair von Cashel entsenden. Der wollte in die Schlacht gegen Guaire von Connacht ziehen. Eines Morgens eröffnete mir Mugrán, dass er und Cano sich der Schar der Krieger anschließen würden. Als ich dagegen aufbegehrte, hat er mich beruhigt. Um meine Sicherheit müsste ich nicht bangen. Er hätte im Gasthaus eine Erbschaft hinterlegt, die mich vor Armut schützen würde. Wenn ihm was zustoßen sollte, würde es mir an nichts fehlen. Sprach’s, stand auf und zog mit Cano los.«
Ihrer Stimme war anzumerken, wie sehr sie das selbst jetzt noch erbitterte.
»Die Zeit schlich dahin. Der Sommer kam und ging, und ich mühte mich, den Gasthof zu halten. Als der Schnee des Winters wegtaute, besuchte mich ein Bote. Der erzählte mir, an den Ufern des Loch Derg hätte eine große Schlacht stattgefunden, und mein Mann wäre dort erschlagen worden. Zum Zeichen brachte er mir sein blutbeflecktes Überhemd. Es hieß, Cano hätte Seite an Seite mit ihm gefochten und sei ebenfalls dort gefallen. Ich bekam auch seinen blutbeschmierten Umhang.«
Sie schwieg und schluchzte aufgewühlt.
»Ich will nicht behaupten, dass ich um ihn getrauert habe. Nein, betrauert habe ich meinen Ehemann Mugrán nicht. Wir haben ja kaum zusammengelebt. Er hatte immer neue Einfälle und verrückte Pläne und ist denen nachgejagt. Ich konnte sein Herz ebenso wenig an mich binden, wie ich der Hauskatze beibringen kann, mir zu Willen zu sein. Aber der Gasthof gehörte jetzt mir, nicht nur als Erbe, sondern auch, weil ich ihn mir erarbeitet hatte, während er seinen Phantastereien nachhing. Nach der Todesnachricht hat mir der Friedensrichter bestätigt, der Gasthof gehört mir, denn mein Mann läge tot an den Ufern des weit entfernten Sees. Ich habe unablässig weitergerackert, um hier alles am Laufen zu halten. Und das war schwer genug, denn Gäste kommen nur selten auf diesem abgelegenen Weg vorbei.«
»Und was ist aus dem Erbe geworden, das Mugrán im Gasthof hinterlassen hat und das dich vor Not und Armut bewahren sollte?«, fragte Fidelma, der die Geschichte naheging.
Die Frau lachte kurz auf. »Ich habe gesucht und gesucht, aber nichts gefunden. Das war wohl auch nur einer von Mugráns Träumen, eines von seinen verrückten Hirngespinsten. Wahrscheinlich hat er das nur gesagt, damit ich nicht jammerte, weil er sich auf und davon machte.«
»Und wie ist es dir danach ergangen?«, drängte Fidelma sie, weiterzuerzählen.
»Ein Jahr verging, und dann habe ich Belach getroffen.« Sie nickte ihrem Mann zu. »Belach und ich haben uns sofort ineinander verliebt. Nicht so, wie ein Hund seine Schafe liebt, sondern mehr, wie ein Lachs nicht von seinem Bergbach lassen kann. Wir haben geheiratet und seither immer miteinander gearbeitet. Und ich habe darauf bestanden, das wir das Gasthaus nach ihm benennen: Brugh-na-Bhelach. Hier leben zu können ist schwierig genug, aber wir haben es geschafft, unser Auskommen zu finden.«
Belach war hinzugetreten und hatte Monchaes Hand in seine genommen. Fidelma deutete es als Zeichen, dass die beiden sich noch immer liebten nach all den Jahren, die sie gemeinsam verbracht hatten.
»Fünf Jahre lang waren wir glücklich«, bestätigte Belach. »Und selbst wenn die bösen Geister uns jetzt überwältigen, diese fünf Jahre können sie uns nicht stehlen.«
»Böse Geister? Was meint ihr damit?«, fragte Fidelma stirnrunzelnd.
»Vor sieben Tagen hat das angefangen«, sagte Monchae langsam. »Ich hab gerade unsere Schweine gefüttert, da war mir, als hörte ich Musik oben vom Berg. Ich hab gelauscht. Und wirklich, da klang ein Dudelsack hoch oben in der Luft. Mich überlief es kalt. Die Melodie hab ich noch im Ohr, die hat Mugrán oft gespielt.
Ich lief ins Haus und hab Belach gesucht. Er hatte die Musik nicht gehört. Wir gingen nach draußen und lauschten, doch da war nur der Wind, der über die Berge fegte und Vorbote eines nahenden Sturms ist.
Am nächsten Tag um die Mittagszeit hörte ich ein dumpfes Geräusch vor der Haustür. Ich dachte, das ist ein Reisender, der die Klinke nicht niederdrücken kann, und öffnete. Doch da war niemand … so schien es, und erschrak erst, wie ich nach unten schaute. Auf der Schwelle lag ein toter Rabe. Wie der zu Tode gekommen war, ließ sich nicht feststellen, war vielleicht gegen die Tür geflogen und hatte das nicht überlebt.«
Fidelma lehnte sich zurück und schürzte die Lippen. Solche Geschichten waren für sie nicht neu. Musik von fern, ein toter Rabe vor der Tür. Das waren Anzeichen des Todes, wie alle Landbewohner der fünf Königreiche glaubten. Ein unheimliches Gefühl überkam sie, obwohl ihr Verstand es besser wusste.
»Seither haben wir die Dudelsackmelodie mehrfach gehört«, nahm jetzt Belach das Wort. »Auch ich habe sie gehört.«
»Und von woher kommt diese Musik?«
Belach machte eine ausladende Bewegung mit der Hand und wies auf die Berge draußen. »Immer von hoch oben, von oben in der Luft. Ist überall um uns rum.«
»Das ist die Totenklage.« Monchae stöhnte. »Ein Fluch liegt auf uns.«
Den Gedanken wehrte Fidelma verächtlich ab. »Es gibt keinen Fluch, es sei denn, es ist eine Strafe, die Gott verhängt.«
»Steh uns bei, Schwester«, flüsterte Monchae. »Ich fürchte, Mugrán ist gekommen und will unsere Seelen holen … Aus Rache, weil ich Belach liebe und nicht ihn.«
»Wie kommst du darauf?«, meinte Fidelma leicht spöttisch.
»Ich habe ihn gehört. Ich habe seine Stimme gehört, aus der Anderswelt hat er gestöhnt: ›Ich bin allein! So allein!‹, hat er gerufen. ›Komm zu mir, Monchae!‹ Ah, oft und oft habe ich es gehört, diese Geisterklage!«
Fidelma sah der Frau an, dass es ihr völlig ernst damit war.
»Du hast das wirklich gehört? Wann und wo war das?«
»Vor drei Tagen in der Scheune. Ich hab die Ziegen gemolken, wir machen Käse aus der Milch. Da habe ich Mugrán flüstern gehört. Ich schwöre, das war seine Stimme. Überall um mich herum war die Stimme.«
»Hast du gesucht, woher die kam?«
»Suchen? Nach einem Geist?« Monchae klang aufgebracht. »Gerannt bin ich, was ich konnte, ins Haus hinein, hab mich an mein Kruzifix geklammert.«
»Gesucht habe ich«, versicherte Belach gelassen. »Hab alles abgesucht, denn wie du, Schwester, suche ich Erklärungen erst in dieser Welt, bevor ich die Anderswelt in Betracht ziehe. Weder in der Scheune noch im Gasthaus habe ich jemand gefunden, von dem diese Laute kommen konnten. Doch ich hatte so meine Zweifel, genau wie du, Schwester. Ich habe unseren Esel genommen und bin hinunter ins Tal geritten zum Gehöft von Dallán. Das ist der Stammesfürst, der mit Mugrán zum Loch Derg gezogen war. Er hat Stein und Bein geschworen, Mugrán ist seit sechs Jahren tot. Er hat den Leichnam selbst gesehen. Was sonst hätte ich noch machen können?«
Fidelma nickte nachdenklich.
»Also, Monchae, nur du hast Mugrán reden gehört?«
»Nein!«, rief Belach überraschend dazwischen. »Bei Patrick und allen Aposteln, ich hab die Stimme auch gehört.«
»Und was hat diese Stimme zu dir gesagt?«
»Sie hat gesagt: ›Hüte dich, Belach. Du stehst in den Schuhen eines Toten, aber ohne den Segen seines Geistes.‹ Das und nichts anderes hat sie gesagt.«
»Und wo hast du das gehört?«
»Wie Monchae in der Scheune, da hat die Stimme zu mir gesprochen.«
»Na schön. Ihr habt einen toten Raben gesehen, habt einen Dudelsack von weitem spielen gehört und habt eine Stimme vernommen, von der ihr meint, es sei die von Mugrán. Und doch muss es eine vernünftige Erklärung dafür geben.«