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Fidelma nahm den Dudelsack in die Hand. Der war von der Art, die cetharchóire genannt wurde, weil er in vier Tonarten gestimmt war. Er hatte eine Spielpfeife, zwei kürzere Rohrblatt-Bordunpfeifen und einen langen Bordun. Eine einfache Sackpfeife, wie sie in fast jedem Haushalt in Irland zu finden war. Fidelma presste die Lippen zusammen und überlegte. Als sie zu Bett gingen, hatte kein Dudelsack auf dem Tisch gelegen.

»Woher nimmst du die Gewissheit, dass es der Dudelsack von Mugrán ist?«, fragte sie.

»Ich kenne ihn genau«, behauptete Monchae mit Nachdruck. »Weshalb kannst du mit Sicherheit sagen, welches Kleidungsstück dir gehört oder welches dein Messer ist? Weil du weißt, wie es gewebt ist, weil du seine Flecken oder Scharten kennst.«

Sie begann hysterisch zu heulen und zu schluchzen.

Fidelma riet Belach, seine Frau ins Bett zu bringen.

»Nimm dich in Acht, Schwester«, grummelte er und ging mit Monchae los. »Gewiss sind hier finstere Mächte am Werk.«

Fidelma lächelte unmerklich. »Ich vertrete eine stärkere Macht, Belach. Nichts geschieht auf Erden, ohne dass Er es will.«

Als sie fort waren, betrachtete sie noch eine Weile die Sackpfeife, konnte das Rätsel aber nicht lösen. Sie ließ das Instrument auf dem Tisch liegen und stieg die Treppe zu ihrer Schlafkammer hoch. Dankbar spürte sie, dass ihr Bett noch warm war, denn erst jetzt wurde ihr bewusst, wie kalt ihr Hände und Füße geworden waren.

Lange lag sie wach und grübelte über die rätselhaften Vorgänge nach, deren Zeuge sie in diesem abgelegenen Flecken in den Bergen wurde, und fragte sich, ob nicht doch übernatürliche Kräfte im Spiel waren. Fidelma gestand sich ein, dass es Mächte der Finsternis gab. Es wäre ja närrisch, an Gott zu glauben und gleichzeitig leugnen zu wollen, dass es auch den Teufel gab. Wenn das Gute existierte, dann zweifellos auch das Böse. Nur hatte Erfahrung sie gelehrt, dass stets Menschen die Urheber des Bösen waren.

Darüber war sie eingeschlafen. Es war noch dunkel, als sie erschrocken hochfuhr. Sie brauchte einige Augenblicke, ehe sie begriff, was sie ein zweites Mal in der Nacht weckte. In weiter Ferne spielte ein Dudelsack. Es klang lieblich und sanft. Das einschläfernde súan-traige war es, das schöne, wehmütige Wiegenlied. »Codail re suanán saine …« – »Schlafe sanft und in himmlischer Ruh.«

Fidelma kannte es gut, in ihrer Kindheit war ihr oft die liebliche, einlullende Melodie vorgesungen worden. Mit einem Ruck setzte sie sich auf und schwang sich aus dem Bett. Die Musik war kein Traum. Sie kam irgendwo von draußen. Vorsichtig öffnete sie einen Spalt die Fensterladen.

Wie ein weißer Teppich lag der Schnee auf den Hügeln und Bergen der Umgebung. Am Himmel türmten sich schwere grauweiße Schneewolken. Dennoch war die Nacht hell, man konnte meilenweit sehen. Der Mond hatte einen Hof aus Eiskristallen, die Luft war eisig, es war märchenhaft still. Ihr warmer Atem stieg in die Luft und löste sich gleich wieder in nichts auf.

Sie erstarrte, ihr Herz begann wie wild zu hämmern, als wollte ein verrückter Trommler die Toten erwecken. Auf dem kleinen runden Hügel vor dem Gasthof stand einsam und allein eine Gestalt mit einem Dudelsack und spielte das Wiegenlied, von dem sie aufgewacht war. Ein merkwürdiges Leuchten, das den Spielenden umgab, fesselte sie und flößte ihr zugleich Furcht ein. Es war wie ein schimmernder Glanz, und kleine Sterne funkelten im Widerschein des Schnees.

Reglos stand Fidelma da und sah gebannt hinaus. Die Melodie verlor sich, die Erscheinung wandte den Kopf zum Gasthof und gab ein Wehgeschrei von sich. »Ich bin allein! Bin so allein, Monchae! Weshalb hast du mich verlassen? Ich bin so einsam! Bald komme ich und hole dich!«

Wahrscheinlich waren es die zu Herzen gehenden Rufe, die Fidelma aus der Starre lösten. Sie griff sich ihre Schuhe und ihren Umhang und hastete die Treppe hinunter in die düstere Gaststube. Von oben rief ihr Belach nach. »Geh nicht hinaus, Schwester! Da steht der Böse. Das ist der Schatten von Mugrán!«

Fidelma ließ sich nicht abhalten. Sie zog die Türriegel zurück und stürzte hinaus in die frostige Nacht, stapfte durch den tiefen Schnee und spürte die Nässe und Kälte an ihren nackten Beinen. Bevor sie noch den Hügel erreichte, war sie sich darüber im Klaren, dass die unheimliche Gestalt nicht mehr da sein würde. Dennoch stieg sie hinauf. Sie fand niemand vor, der nächtliche Dudelsackspieler war spurlos verschwunden. Mit festem Griff zog sie den Umhang enger um die Schultern. Sie zitterte, doch das lag an der Kälte der Nacht, nicht etwa daran, dass sie sich vor dem Gespenst fürchtete.

Sie holte tief Luft und suchte nach Fußspuren, entdeckte aber keine. Bei genauerem Hinsehen merkte sie dann, so unberührt wie sonst überall wirkte der Schnee auf dem Hügel nicht. Die Oberfläche war aufgeraut, wie vom Sturm aufgewühlt. Auch ein merkwürdiges Funkeln fiel ihr auf. Sie nahm eine Handvoll Schnee, er glitzerte, zeigte ein merkwürdiges Glimmen.

Unschlüssig wandte sie sich um und ging in ihren Fußstapfen zurück. Belach erwartete sie aufgeregt mit dem Schwert in der Hand an der Tür.

»Wenn das ein Geist ist, wirst du damit wenig gegen ihn ausrichten können«, bemerkte sie spöttisch und grinste ihn an.

Belach schwieg, verschloss aber die Tür und verriegelte sie, sobald Fidelma im Gastraum war. Wortlos stellte er das Schwert in die Ecke, während sie zur Feuerstelle ging, um sich aufzuwärmen.

Monchae stand auf der untersten Treppenstufe, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und stöhnte leise. Fidelma holte den Krug mit corma, goß sich davon ein und nahm einen kräftigen Schluck. Dann füllte sie einen anderen Holzbecher und reichte ihn der Frau.

»Hast du das gehört? Hast du es gesehen?«, jammerte die Wirtin.

Fidelma nickte nur. Belach nagte an den Lippen. »Das ist der Geist von Mugrán. Unser Schicksal ist besiegelt.«

»Unsinn!«, entrüstete sich Fidelma.

»Und wie erklärst du dir das da?« Belach wies auf den Tisch. Der war leer. Dabei hatte der Dudelsack dort gelegen, als sie wieder ins Bett gegangen war.

»Bis die Sonne aufgeht, dürfte es noch zwei Stunden dauern«, meinte Fidelma bedächtig. »Ich möchte, dass ihr euch beide in eure Schlafstube zurückzieht. Mit dem hier unten muss ich allein fertig werden. Was ihr auch hört, ich möchte, dass ihr solange oben bleibt, bis ich euch rufe.«

Belach starrte sie an, seine Züge waren bleich und angstverzerrt. »Du willst dich doch nicht auf einen Kampf mit dieser verderblichen Macht einlassen?«

»Doch, das will ich«, sagte sie mit allem Nachdruck.

Er schüttelte bekümmert den Kopf und half seiner Frau die Treppe hinauf. Fidelma blieb im Dunkeln zurück und überlegte. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, egal, was sich in diesem einsamen Gasthaus zusammenbraute, es würde über kurz oder lang zum Ausbruch kommen. Vielleicht sogar noch vor Sonnenaufgang. Von zwingender Logik war das nicht, doch Fidelma hatte längst die Erfahrung gemacht, dass es unklug war, seinem Instinkt zu misstrauen.

Sie tastete sich zum anderen Ende der Gaststube bis zu einem Alkoven. Das Einzige, das dort stand, war eine breite Holzbank. Sie ließ sich darauf nieder, hüllte sich in ihren Umhang und wartete. Worauf, wusste sie nicht. Aber sie war davon überzeugt, nicht lange warten zu müssen, bis sich wieder etwas ereignete.

Sie sollte recht behalten. Schon bald hörte sie abermals die Töne der Sackpfeife. Diesmal war es nicht das sanfte Wiegenlied, sondern eine Trauerweise, die herzzerreißende Klage des gol-traige, voller Schmerz, Wehmut und Verlangen.

Fidelma neigte den Kopf, suchte zu ergründen, aus welcher Richtung die Töne kamen. Von draußen offenbar nicht, es klang eher wie ein Echo drinnen im Haus, drang durch die Dielen, durch die Wände, hallte wider von den Dachbalken.

Es überlief sie kalt. Noch konnte sie sich nicht entschließen, die Quelle zu suchen, betete aber, Monchae und Belach würden sich an ihre Weisung halten und in ihrer Kammer bleiben.