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Sie wartete, bis das Lied zu Ende war. Jetzt herrschte Stille in dem alten Haus. Dann hörte sie etwas, hörte das Geräusch, von dem sie das erste Mal wach geworden war – ein leises Schlurfen. Sie beugte sich vor, hatte Mühe, im Dunkeln etwas zu erkennen. Aus dem Fußboden schien eine Gestalt zu wachsen; langsam schob sie sich am anderen Ende des Raums hoch.

Ihr stockte der Atem. Die Gestalt richtete sich zu voller Größe auf, trug etwas unter dem Arm, augenscheinlich den Dudelsack, und ging, merkwürdig hinkend, auf den Tisch zu. Immer wenn das Licht der auf dem Herd glühenden Torfsoden den Umhang der Erscheinung streifte, glitzerte es, als ob Myriaden winziger Fünkchen tanzten.

Fidelma stand auf. »Schluss mit dem Verwirrspiel«, rief sie energisch.

Das Wesen ließ den Dudelsack fallen und fuhr herum, suchte zu erfassen, wer da sprach, und holte erschrocken tief Luft. »Bist du das, Monchae?«, zischte es höhnisch.

Und ehe sich Fidelma versah, flog die Gestalt quer durch den Gastraum auf sie zu. Im flackernden Schein des Herdfeuers nahm sie das Aufblitzen einer erhobenen Klinge wahr, umklammerte instinktiv mit beiden Händen den ausholenden Arm und stemmte sich gegen den Angreifer, um die Wucht seines Körpers abzufangen.

Der grunzte wütend, als sein Überraschungsangriff fehlschlug. Der Zusammenstoß ihrer Leiber warf Fidelma zurück in den Alkoven und gegen die Holzbank. Sie stöhnte auf vor Schmerz. Ihr Gegner hatte ihren Griff abschütteln können und hob erneut das Messer.

»Du hättest besser fliehen sollen, Monchae, solange die Gelegenheit war«, knurrte eine Männerstimme. »Weder dir noch deinem Alten wollte ich etwas antun. Wollte euch nur aus dem Gasthof vertreiben. Aber jetzt musst du sterben!«

Fidelma sprang zur Seite, suchte fieberhaft nach einer Waffe, nach etwas, womit sie sich verteidigen konnte. Ihre Hände bekamen einen Gegenstand zu fassen. Undeutlich erkannte sie die Alabasterfigur der Madonna mit Kind. Sie schwang die Figur wie eine Keule, traf den Unhold seitlich am Kopf und war nicht wenig erstaunt, mit welchem Schwung ihr das gelang. Wie nicht anders von einer Gipsstatuette zu erwarten zersprang die Alabasterfigur in Stücke. Aber ihr Aufprall war so heftig, dass sie ihn in der Hand und im Arm spürte. Dazu klatschte es widerlich, als würde etwas Hartes auf Fleisch treffen.

Ihr Gegner röchelte seltsam und stürzte zu Boden. Sie hörte noch, wie etwas auf die Dielen glitt, – es war sein Messer, das ihm aus der Hand fiel.

Laut rief sie nach oben: »Ihr könnt herunterkommen! Euren Geist habe ich erledigt!« Dann tappte sie im Dunkeln umher, bis sie eine Kerze fand und sie anzündete.

Ihr Widersacher lag mit ausgestreckten Armen auf der Seite. Es war ein junger Mann. Entsetzt zuckte sie zusammen beim Anblick der tiefen Wunde an seiner Schläfe. Sie fühlte nach dem Puls, der war jedoch nicht mehr zu spüren.

Verwirrt schaute sie um sich. Ein bloßer Hieb mit einer Gipsfigur konnte doch niemanden töten! Überall lagen Gipsstücke herum. Mitten darunter sah sie eine in Sacktuch eingenähte Rolle. Sie war etwa einen Fuß lang und hatte einen Durchmesser von einem Zoll. Fidelma bückte sich und hob sie auf. Sie war ziemlich schwer. Mit einem Seufzer legte sie den Fund zurück.

Monchae und Belach kamen die Treppe herabgeschlichen.

»Belach, hast du eine Laterne?«, fragte Fidelma und richtete sich auf.

»Ja, was gibt es?«

»Zünde sie bitte an. Ich glaube, wir haben des Rätsels Lösung.« Sie war zu der Stelle gegangen, an der die Gestalt aus dem Boden aufgetaucht war, und stand vor einer Luke. Stufen führten hinunter in einen unterirdischen Gang.

Belach kam mit der Lampe. »Was ist geschehen?«, fragte er.

»Euer Geist war einfach nur ein Mann.«

Monchae stöhnte auf. »Mugrán etwa? Ist der doch nicht am Loch Derg gefallen?«

Fidelma lehnte sich an die Tischkante und schüttelte den Kopf. Sie nahm den Dudelsack in die Hand, den der unheimliche Besucher auf den Tisch geworfen hatte.

»Nein, es war wohl eher jemand, der ihm ähnelte und dessen Stimme dir so ähnlich klang wie die von Mugrán. Schau dir sein Gesicht an, Monchae. Vielleicht erkennst du ihn ja?«

Ihr Aufschrei bestätigte Fidelma, dass ihre Vermutung stimmte.

»Das ist Cano, Mugráns Bruder«, stellte Monchae fassungslos fest.

»Aber warum? Wie ist das möglich?«

»Das ist eine traurige, aber offenbar ganz einfache Geschichte. Cano ist nicht erschlagen worden am Loch Derg, wie man euch berichtet hat. Vielleicht war er nur schwer verwundet und ist schließlich zurückgekehrt. Ich vermute, er hinkte nicht, als er in die Schlacht zog.«

»Nein, ganz und gar nicht«, bestätigte die Wirtin.

»Mugrán war tot. Da hat er Mugráns Dudelsack an sich genommen. Warum es so lange dauerte, bis er hier auftauchte, werden wir nie erfahren. Vielleicht brauchte er bislang kein Geld, oder der Einfall ist ihm eben erst jetzt gekommen …«

»Ich versteh das alles nicht«, sagte Monchae und sank auf einen Stuhl neben dem Tisch.

»Cano hat sich erinnert, dass Mugrán Geld hinterlassen hat. Ziemlich viel sogar hatte er zusammengespart. Mugrán hatte dir versichert, falls er sterben sollte, würdest du keine Not leiden, es sei genug Geld im Gasthof. Das war doch so, nicht wahr?«

Monchae nickte. »Aber habe ich dir nicht erzählt, dass ich das für ein Hirngespinst von Mugrán hielt? Wir haben jeden Winkel im Gasthof abgesucht und haben nie etwas gefunden. Hat uns auch nicht weiter gekratzt, Belach und ich kommen mit dem aus, was wir haben.«

»Cano muss sich von dem Gedanken haben leiten lassen, dass ihr den Schatz seines Bruders nicht gefunden habt, und das hat ihn darauf gebracht, selbst danach zu suchen.«

»Aber so einen Schatz gibt es gar nicht«, kam Belach seiner Frau zu Hilfe.

»O doch, es gibt ihn«, beharrte Fidelma. »Und Cano wusste das. Er wusste nur nicht, wo. Er brauchte Zeit, um danach zu suchen. Also musstet ihr vom Gasthof, damit er in Ruhe überall herumstöbern konnte. Da kam ihm die Idee, euch zu vertreiben, indem er sich als Geist seines Bruders ausgab. Er hatte dessen Dudelsack und konnte die gleichen Lieder spielen, die sein Bruder gespielt hatte. Seinem Aussehen und seiner Stimme nach konntet ihr ihn für denjenigen halten, den ihr von früher kanntet. Natürlich ist er auf Abstand geblieben und hat sich nur von ferne mit gedämpfter Stimme hören lassen. Und so hat er angefangen, euch in Angst und Schrecken zu versetzen.«

»Und wie ist das mit dem Schimmern am ganzen Körper?«, wollte Belach wissen. »Wie hat er das zustande gebracht?«

»Es gibt so ein gelbes, lehmartiges Zeug, dem dieses seltsame Leuchten anhaftet«, erklärte ihm Fidelma. »Man kann es von den Wänden in den Höhlen westlich von hier abkratzen. Mearnáil heißt es, eine Art Phosphor. Und das glimmt im Dunkeln. Sieh dir Canos Umhang an, er hat ihn mit dem gelblichen Lehm beschmiert.«

»Aber Fußspuren hat er keine hinterlassen«, rätselte Belach. »Nicht ein Fußabdruck war im Schnee.«

»Trotzdem gibt es Spuren, die ihn verraten. Er hat einen Zweig von einem Busch gerissen, ist dann rückwärts vom Hügel gegangen und hat seine Fußspuren verwischt. Damit kann man zwar die eigenen Fußstapfen unkenntlich machen, aber an der Schneeoberfläche bleiben die Wischspuren sichtbar. Diesen Trick lernen Krieger, um ihre Spuren vor den Feinden zu verbergen.«

»Hat er all die Nächte in der Kälte draußen verbracht? Wie hat er das ausgehalten?«, fragte sich Monchae. Als praktisch denkende Hausfrau drängte sich ihr sofort eine solche Überlegung auf.

»Er war nicht immer draußen. Er hat im Gasthof geschlafen, oder zumindest im Stall. Mehrfach hat er versucht, im Gasthaus nach dem Schatz zu forschen. Deshalb hat es mitunter gebumst, und ihr seid von seltsamen Geräuschen wach geworden. Aber er hatte begriffen, gründlich konnte er nur zu Werke gehen, wenn er euch vergraulte.«