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»Ich war unterwegs zum … wollte jemand besuchen.«

»Wohin? Wen?«

»Dazu möchte ich mich nicht äußern.«

Sie sah, wie er entschlossen die Lippen zusammenpresste, und spürte, er würde ihre Fragen nicht beantworten. So ging sie darüber hinweg und meinte nur: »Sprich weiter.«

»Wie gesagt, ich bin an der Kapelle vorbeigekommen und habe die Tür offen gesehen. Zur Nachtzeit ist die Tür sonst immer zu, und der Riegel ist vorgelegt. Das fand ich merkwürdig, und so bin ich hineingegangen, um nachzusehen. Mir fiel auf, der Altartisch war verrückt, und deshalb zog es mich dorthin. Da stand die Truhe offen, in der das Amtsschwert verwahrt wird …« Er stockte und zuckte die Achseln.

»Und dann?«, ermunterte sie ihn.

»Nichts weiter. In dem Augenblick kamen die Wachtposten dazu. Der Abt tauchte auf, und ich wurde beschuldigt, das Schwert gestohlen zu haben. Was ich aber nicht getan habe.«

»Und zu all dem hast du weiter nichts zu sagen?«

»Mehr weiß ich zu dem Vorfall nicht. Man verdächtigt mich und klagt mich an, obwohl ich unschuldig bin. Mein einziges Vergehen ist, dass ich meines Vaters Sohn bin und vor dem Großen Rat den Anspruch erhoben habe, die Nachfolge von Blathmac und Diarmuid als Hochkönig anzutreten. Zwar wurde Sechnussachs Anspruch vom Großen Rat gebilligt, dennoch grollt er mir, dass ich ihm die Nachfolge streitig machen wollte. Weil er mich hasst, ist er umso eher bereit, mich für schuldig zu halten.«

»Und du verübelst es Sechnussach nicht, dass er vor dem Großen Rat Erfolg hatte?«, fragte Schwester Fidelma unnachgiebig.

Ailill bewahrte nur mühsam Fassung. »Hältst du mich für einen ehrlosen Schuft, Schwester? Ich achte das Gesetz. Dennoch will ich dir gestehen, dass meiner Meinung nach der Große Rat die falsche Wahl getroffen hat. Sechnussach hält an dem Althergebrachten fest, während doch allgemeiner Wandel im Lande nötig wäre. Wir brauchen Reformen in unseren weltlichen Gesetzen und in unserer Kirche.«

Sie sah ihn durchdringend an. »Du würdest die Reformen durchsetzen wollen, die die römische Kirche uns aufdrängt? Das Osterdatum ändern, unser Brauchtum aufgeben und unsere Regeln der Landvergabe?«

»Ja, dafür bin ich. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht. Und es gibt viele, die mich darin unterstützen würden. Mein Vetter Carnach zum Beispiel, der Sohn Diarmuids. Er tritt sogar entschiedener als ich für die von Rom ausgehenden Bestrebungen ein.«

»Du würdest also zugeben, durchaus ein Motiv zu haben, die Inauguration Sechnussachs verhindern zu wollen?«

»Ja. Ich gebe zu, meine Regierungsvorsätze würden andere sein als die von Sechnussach. Doch als bindend gilt für mich, wenn der Große Rat einmal einen Hochkönig gewählt hat, müssen sich alle dieser Entscheidung fügen. Solange der Hochkönig die Gesetze einhält und seine Verpflichtungen erfüllt, ist er der Hochkönig. Die Wahl des Großen Rats kann niemand anfechten.«

Schwester Fidelma blickte Ailill in die braunen Augen, in denen verhaltene Wut glomm, und fragte unverblümt: »Hast du das Schwert gestohlen?«

Ailill suchte den Zorn zu bezähmen, der bei dieser Frage in ihm aufstieg. »Bei allen Heiligen, nein! Ich habe dir alles gesagt, was ich dazu weiß.«

Der Erc geheißene Krieger schlurrte mit dem Stiefelabsatz auf dem Boden und fühlte sich unbehaglich. »Ich kann dir bestimmt nicht weiterhelfen, Schwester. Ich bin ein einfacher Wachmann und kann nur eines bestätigen: Zusammen mit meinem Waffengefährten Congal fand ich in der Kapelle Ailill Flann Esa vor der Truhe, aus der das heilige Schwert gestohlen wurde. Dem gibt es nichts hinzuzufügen.«

Schwester Fidelma biss sich auf die Lippen. Sie schaute sich in der Runde um, aus der die anderen Krieger der Leibgarde des Hochkönigs sie neugierig anblickten. In dem düsteren Schlafsaal, den sie eben betreten hatte, hielten sich an die hundert Krieger zwischen ihren Wachdiensten auf. Es roch unangenehm nach Schnaps und Körperschweiß.

»Das einzuschätzen überlass mir, Erc.« Sie wandte sich der Tür zu. »Komm, lass uns eine Weile an die frische Luft gehen. Ich möchte, dass du mir einige Fragen beantwortest.«

Widerstrebend legte der stämmige Krieger Schild und Speer beiseite und folgte der Klosterschwester. Seine Kameraden riefen ihnen allerlei anzügliche Bemerkungen und Zoten hinterher.

»Ich habe erfahren, dass du in der Nacht, als der Diebstahl geschah, die Kapelle bewacht hast«, erklärte ihm Schwester Fidelma, sobald sie den Gemeinschaftsraum verlassen hatten und ins kristallklare Morgenlicht schritten. »Stimmt das?«

»Congal und ich hatten in der Nacht Wache; unsere Aufgabe bestand aber nur darin, um die Gebäude zu patrouillieren, zu denen auch die Kapelle gehört. Üblicherweise sind die Türen der Kapelle des heiligen Patrick von Mitternacht bis zum Morgengrauen geschlossen. Die Kapelle enthält etliche Schätze, und deshalb hat der Abt angeordnet, die Türen sogar zu verriegeln.«

»Wann seid ihr auf Posten gezogen?«

»Genau um Mitternacht. Unsere Runde beginnt bei den Stallungen, die sind etwa hundert Schritt von der Kapelle entfernt, und geht um das große Refektorium herum. Dabei kommen wir regelmäßig am Portal der Kapelle vorbei.«

»Schildere mir, wie das war in jener Nacht!«

»Congal und ich nahmen den Wachdienst auf. Wir gingen an dem Portal vorbei. Es schien wie immer geschlossen. Beim Eingang zum Refektorium begaben wir uns auf die Postenstrecke, die um die großen Bauten herumführt und eigentlich ein Rundweg ist.«

»Wie lange dauert so eine Runde?«

»Nicht mehr als eine halbe Stunde.«

»Und wie lange ist die Kapellentür dann nicht in eurem Blickfeld?«

»Vielleicht zwanzig Minuten.«

»Weiter, bitte!«

»Bei unserer zweiten Runde, also eine halbe Stunde später, kamen wir wieder an dem Portal vorbei. Congal sah als Erster, dass die Tür auf war. Wir gingen näher heran, und ich stellte fest, sie war gewaltsam geöffnet worden. Das Holz um den Eisenriegel auf der Innenseite war zersplittert. Wir betraten das Hauptschiff und sahen Ailill vor dem Altar. Der Altar war von seiner eigentlichen Stelle über dem Stein des Schicksals weggeschoben, und die Truhe, in der das heilige Schwert aufbewahrt wird, stand offen.«

»Wie verhielt sich Ailill? War er aufgeregt, atmete er heftig?«

»Nein. Er war ziemlich ruhig, starrte nur in die leere Truhe.«

»War es nicht dunkel in der Kapelle? Wie konntet ihr alles so deutlich sehen?«

»Einige Kerzen waren angezündet, die gaben genug Licht.«

»Was geschah dann?«

»Er sah unsere Schatten und wandte sich zu uns um. Und dann stand schon der Abt hinter uns. Der bemerkte die Schändung des Heiligtums sofort und fragte: ›Wo ist das Schwert?‹«

»Hat er Ailill danach gefragt?«

»Hat er, natürlich. Und wissen wollte er, was der dazu zu sagen hätte.«

»Und was hat Ailill erwidert?«

»Er sei eben erst hereingekommen.«

»Und wie hast du dich dazu geäußert?«

»Das ist nicht wahr, habe ich sagt. Wir sind Streife gelaufen, und von den Stallungen haben wir mindestens zehn Minuten lang das Kapellenportal immer im Blick gehabt. Ailil muss also wenigstens schon zehn Minuten in der Kapelle gewesen sein.«

»Aber es war Nacht, da stelle ich mir vor, es war ziemlich dunkel draußen. Hätte Ailill im Schutze der Dunkelheit nicht kurz vor euch in die Kapelle gegangen sein können?«

»Nein, in der Umgebung des Königshauses brennen die ganze Nacht über Fackeln. Das ist ein unverrückbares Gesetz in Tara. Wo Licht ist, kann kein Verrat wohnen. Ich kann nur wiederholen, Ailill musste schon mindestens zehn Minuten in der Kapelle gewesen sein. Und das ist ganz schön lange.«