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Schwester Fidelma rief einem der Krieger zu: »Ist Erc, der Wachmann, draußen?«

Der Krieger ging zur Tür und brüllte etwas. Ein untersetzter Waffenträger kam herein. Er hielt einen in Tuch gewickelten Gegenstand in den Händen, warf Fidelma einen Blick zu und nickte.

Sie wandte sich wieder an den Hochkönig. »Sechnussach, ich habe deinen Krieger Erc beauftragt, Cernachs Kammer zu durchsuchen.«

Cernach wurde kreidebleich und riss entsetzt die Augen auf.

»Was hast du dort gefunden, Erc?«, fragte ihn Fidelma in aller Ruhe.

Der Krieger ging auf den Hochkönig zu, schlug das Tuch zurück und bot den bislang verborgenen Gegenstand mit ausgestreckten Armen dar. Es war ein Schwert mit üppigen Gold- und Silberbeschlägen. Sein Griff war überreich geschmückt mit Einlagen aus farbigen Edelsteinen.

»Der ›Caladchalog‹!«, keuchte Sechnussach. »Unser Amtsschwert!«

»Der reinste Schwindel ist das! Nichts als Schwindel!«, schrie Cernach. »Untergeschoben hat man mir das! Sie hat das dort hineinmanövriert.« Dabei wies er anklagend mit dem Finger auf Schwester Fidelma.

Die jedoch ignorierte ihn. »Wo hast du das edle Stück gefunden, Erc?«

Der stämmige Bursche fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. So vor dem Hochkönigs zu stehen, fühlte er sich unbehaglich. »Es lag in Tuch gewickelt unter dem Bett von Cernach, dem Sohn Diarmuids«, antwortete er knapp.

Aller Augen richteten sich auf den zitternden Jüngling.

»Hattest du Mühe, es zu finden?«, erkundigte sich Fidelma.

Der beklommene Krieger brachte ein Lächeln zustande. »Keineswegs. Das war geradezu ein Kinderspiel.«

»… war geradezu ein Kinderspiel«, wiederholte Fidelma mit Nachdruck.

»Wie konntest du so etwas tun, Cernach Mac Diarmuid?«, donnerte Sechnussach. »Wie konntest du so eine Schurkentat begehen?«

»Es war nicht Cernach«, vernahmen die Anwesenden Fidelmas ruhige, klare Stimme und wandten sich ihr erstaunt zu.

»Wer war es dann, wenn nicht Cernach?«, fragte nun vollends verwirrt der Hochkönig.

»Die Kunst, Schlüsse zu ziehen, ist eine Geheimwissenschaft, vergleichsweise so vertrackt wie die Mysterien unserer Altvorderen«, erklärte Fidelma und holte tief Atem. »Im vorliegenden Fall merkte ich, dass ich es wie nie zuvor mit jemandem zu tun hatte, der in ungewöhnlichen Windungen dachte und rücksichtslos auf sein Ziel zusteuerte. Und das bestand darin, den Thron des Hochkönigs zu erobern.«

Sie machte eine Pause, schaute sich im Audienzsaal um und sah dann Sechnussach voll an. »Von Anfang hatte mich eine Frage beschäftigt. Warum wurde gerade ich nach Tara gerufen, um diesen Fall zu klären? Meine bescheidenen Verdienste in der Rechtskunde sind kaum außerhalb der Mauern der Abtei Kildare bekannt. In Tara, am Sitz der Hochkönige, gibt es viele, die im Rechtswesen erfahrener sind, gibt es fähigere dálaigh bei den Gerichten der Brehons, ja selbst berühmte Brehons. Abt Colmán hat eingeräumt, dass ihm jemand von mir erzählt hat, denn zuvor war ich ihm unbekannt. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich auf unlautere Weise benutzt wurde. Aber warum? Zu welchem Zweck? Von wem? Es schien so offensichtlich, dass Ailill unschuldig war. Doch warum war es so offensichtlich?«

Ailill schreckte auf, kniff die Augen zusammen und starrte Fidelma an. Ohne auf die gespannte Stimmung im Saal zu achten, fuhr sie fort: »Abt Colmán hat mich hierher gerufen. Für ihn stand viel auf dem Spiel, wie wir bereits erörtert haben. Auch hätte er die Gelegenheit gehabt, die Tat zu vollbringen.«

»Das ist nicht wahr!«, schrie der Abt erbost.

Besänftigend blickte Schwester Fidelma den Geistlichen an, dem Zornesröte ins Gesicht stieg.

»Beruhige dich, Colmán. Ich habe bereits dargelegt, dass du es nicht warst.«

»Das Schwert wurde ja auch in Cernachs Kammer gefunden«, rief Sechnussach dazwischen. »Demnach muss er der Schuldige sein!«

»Ich wurde mehrfach darauf hingewiesen, Cernach sei ein eifriger Verfechter der römischen Reformen. Einmal wurde er mir sogar als jugendlicher Heißsporn beschrieben. Wiederholt legte man mir nahe, das Tatmotiv bestünde darin, Sechnussach, den Bewahrer des Hergebrachten, durch jemanden zu ersetzen, der für die Reformen stand. Der wahre Schuldige hat das Schwert so in Cernachs Kammer versteckt, dass es leicht zu finden war. Man gab sich alle erdenkliche Mühe, meinen Verdacht auf Cernach zu lenken. Aber weshalb auf Cernach? Er war ja nicht einmal volljährig, was hätte er dabei gewinnen können?«

Es herrschte Totenstille, während alle auf ihre Beweisführung warteten.

»Abt Colmán berichtete mir, Cernach sei ein Befürworter der römischen Bestrebungen. Das tat auch Ailill, und das tat auch Ornait. Sie sprach sogar davon, dass Cernach Ansprüche auf den Thron erhob, obwohl er sie wegen seines Alters noch nicht geltend machen konnte. Ornait erzählte mir außerdem, dass er in Monatsfrist das Alter der Wahl erreichen würde.«

Unvermutet drehte sich Fidelma zur Schwester des Hochkönigs um. »Ornait war zudem die Einzige, die von meinem Ruf bei der Aufklärung geheimnisvoller Umstände wusste. Sie sprach mit dem Abt und veranlasste ihn, nach mir zu schicken. War dem nicht so?«

Kurz wandte sie sich nach Abt Colmán um, der völlig überrumpelt nickte.

Ornait war blass geworden. »Willst du etwa behaupten, ich hätte das Schwert gestohlen?«, flüsterte sie eiskalt.

»Das ist ja lachhaft«, brach es aus Sechnussach heraus. »Ornait ist schließlich meine Schwester.«

»Dessenungeachtet sind Ailill und Ornait die Schuldigen«, erwiderte Fidelma mit fester Stimme.

»Aber du hast doch eben erst gesagt, Ailill kann das Verbrechen nicht begangen haben«, stammelte Sechnussach, der nichts begriff.

»Nein. Ich habe lediglich dargelegt, dass die Beweise derart beschaffen waren, dass ich glauben musste, Ailill sei unschuldig, weil er unmöglich so vorgegangen sein konnte, wie es alle vermuteten. Doch wenn Dinge derart offen zutage liegen, sollte man Vorsicht walten lassen.«

»Und wieso soll sich Ornait an dem Diebstahl beteiligt haben?«, verlangte der Hochkönig zu wissen.

»Ornait hat den Plan ersonnen. Die ganze abgefeimte Sache hat sie sich ausgedacht. Ailill und sie selbst haben die Tat begangen, und niemand sonst.«

»Das musst du uns erklären!«

»Ailill und Ornait sind in jener Nacht wie üblich durch den unterirdischen Gang in die Kapelle gelangt und haben sich sofort ans Werk gemacht. Ornait nahm das Schwert an sich, während Ailill den Riegel aufbrach und so den falschen Verdacht in Szene setzte. Sie bauten darauf, dass die beiden Wachtposten den Einbruch bemerken würden, und Ailill erwartete sie wie geplant. Doch wie stets bei einem sorgsam ausgetüftelten Plan kommt etwas Unerwartetes dazwischen. Ornait war auf dem Rückweg durch den Gang, da nahte sich der Abt. Er hatte seinen Psalter in der Sakristei gelassen und brauchte ihn dringend. Sie drückte sich in eine der Nischen und wartete, bis er vorbei war. Beim Verlassen der Nische blieb sie mit ihrem Gewand an einem Vorsprung hängen.«

Fidelma hielt einen Fetzen aus farbigem Tuch hoch.

»Der Rest der Geschichte ging dann wie gewollt vor sich. Ailill wurde eingesperrt. Danach wurde der zweite Teil des Vorhabens in Angriff genommen. Ornait hatte von einer Schwester aus meinem Ordenshaus in Kildare erfahren, dass ich die Gabe besitze, seltsame Rätsel zu lösen. Bei aller Bescheidenheit muss ich leider sagen, Ornait hatte ihren Plan völlig auf meine Person abgestellt. Als das Schwert nicht aufzufinden war, gelang es ihr, Abt Colmán zu überreden, nach mir zu schicken, damit ich das rätselhafte Verschwinden des Schwerts aufkläre. Colmán hatte von mir nie zuvor gehört und erfuhr von meiner Existenz erst, als ihm Ornait meinen Namen einflüsterte. Das hat er gerade erst bestätigt.«

Der Abt nickte nochmals heftig, während er sich mühte, ihrem Gedankengang zu folgen.