»Er wurde äußerst großzügig bezahlt«, lautete die Antwort.
»Trotzdem, wenn die Uí Máil oder auch die Uí Faeláin im Nordosten von einem Goldvorkommen in Kildare erführen, könnte es schnell zu Gebietsstreitigkeiten und kriegerischen Auseinandersetzungen um den Besitz der Goldadern kommen. Du hast ja selbst gesagt, dass es zwischen den Uí Fidgente und Eóghanacht von Glendamnách Krieg wegen der Minen von Cuillin gibt.«
»Gerade deshalb wurde über Sinn und Zweck des Vorhabens Stillschweigen bewahrt. Nur Sillán selbst wusste um seinen Auftrag in Kildare.«
»Nun ist er aber tot. War dir bekannt, dass er beabsichtigte, schon morgen früh das Kloster zu verlassen und nach Ráith Imgain zurückzukehren?«
Die Nachricht überraschte ihn. »Dann muss er die Goldmine gefunden haben«, rief er erregt.
Schwester Fidelma konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. »Wie kommst du zu der Schlussfolgerung, Tírechán?«
»Er war erst acht Tage hier, und was anderes als eine Erfolgsmeldung hätte ihn veranlasst, so rasch zu Uí Failgi zurückkehren zu wollen?«
»Das ist eine kühne Vermutung. Genauso gut könnte es sein, dass er sich zur Rückkehr entschieden hatte, weil ihm klar geworden war, dass seine Suche nach einer legendären Goldmine in Kildare sinnlos war.«
Ohne auf ihre Überlegung einzugehen, fragte der tánaiste: »Bist du dir sicher, dass er morgen von hier abreisen wollte?«
»Zumindest hat er Follaman, unserem timthirig, gesagt, dass er das vorhabe.«
Aufgeregt schnipste er mit den Fingern.
»Nein, nein. Er hat die Mine entdeckt. Nie würde Sillán die Suche so rasch aufgegeben haben. Aber wo, wo hat er sie gefunden? Wo ist der Stollen?«
»Weit wichtiger scheint mir, eine Antwort darauf zu finden, wie Sillán zu Tode gekommen ist«, meinte Fidelma kopfschüttelnd.
»Das ist Gott sei Dank nicht meine Aufgabe, Schwester Fidelma«, erwiderte der junge Mann. »Aber Uí Failgi, mein Stammesfürst, wird darauf bestehen, zu erfahren, wo sich das Bergwerk befindet, das Sillán mit Gewissheit ausgemacht hat.«
Sie erhob sich und forderte ihn damit auf, es ihr gleichzutun.
»Ich gehe davon aus, dass du mit deinen Kriegern zur Nacht hier bei uns bleibst. Am besten begibst du dich jetzt in unser Gästehaus und machst dich frisch. Sowie sich etwas für dich Wissenswertes ergibt, hörst du von mir.«
Zögernd stand auch er auf und bedeutete seiner Leibwache, ihm die Tür zu öffnen. Auf der Schwelle drehte er sich um, hatte sichtlich das Bedürfnis, noch mehr zu sagen, doch Fidelma blieb hart. Sie entließ ihn mit einem »Benedictus benedicat«. Widerstrebend zog er sich zurück.
Sie setzte sich und stützte sich mit den Händen, die Handflächen nach unten, auf der Tischplatte ab. Für einen Moment war sie ganz in ihren Gedanken versunken, doch lange währte es nicht. Schwester Ethne machte sich mit heiserem Husten bemerkbar.
»Wäre das jetzt alles, Schwester?«
Kopfschüttelnd verneinte Fidelma ihre Frage und stand wieder auf.
»Wir sind noch lange nicht am Ende. Wir gehen ins Gästehaus. Ich möchte Silláns Kammer sehen. Nimm eine der Lampen mit.«
Die Kammer im tech-óired, dem Gästehaus, war den Zellen, wie sie die Nonnen bewohnten, nicht unähnlich. Es war ein kleiner, dunkler Raum mit Wänden aus grauem Stein und einer winzigen Fensteröffnung, vor der ein schweres Sacktuch hing, um die kühle Nachtluft abzuhalten. In einer Ecke befand sich eine schmale Bettstatt aus Kiefernholz mit einer Strohmatte und Decken. Ein Tisch und ein Schemel waren die einzigen weiteren Möbelstücke. Auf dem Tisch stand eine Kerze. Überall im Gästehaus hatte man nur einfache, aus Binsen und Talg hergestellte Kerzen. Sie gaben nur spärliches Licht und brannten schnell herunter. In weiser Voraussicht hatte Fidelma deshalb darauf geachtet, eine Öllampe aus der Bibliothek mitzunehmen.
Schwester Ethne setzte die Lampe auf dem Tisch ab, während Fidelma im Türrahmen stehen blieb und von dort aus den Raum mit aufmerksamen Blicken abtastete.
Am Fußende des Bettes lehnte eine geräumige Satteltasche, daneben ein kleinerer Lederbeutel für Werkzeug. Ganz offensichtlich hatte Sillán schon alles für die Abreise gepackt.
Fidelma ging hinüber zum Bett und hob den, wie sich herausstellte, schweren Lederbeutel hoch. Sie schaute hinein. Er enthielt eine Reihe von Werkzeugen, die vermutlich zu Silláns Gewerbe gehörten. Sie lugte auch in die andere Tasche; in der waren seine persönlichen Sachen.
Fidelma wandte sich zu Schwester Ethne.
»Ich habe hier nicht lange zu tun. Geh bitte zur Äbtissin und sag ihr, dass ich sie nachher noch sprechen möchte, und das bitte unter vier Augen. Ich würde noch in weniger als einer Stunde zu ihr kommen.«
Schwester Ethne wollte etwas entgegnen, besann sich aber eines Besseren, nickte ergeben und verließ – nicht ohne ihr übliches Schniefen – den Raum.
Fidelmas Aufmerksamkeit galt jetzt der Tasche mit Silláns persönlichen Dingen. Stück für Stück nahm sie heraus und betrachtete jedes von allen Seiten. Dann tastete sie sorgsam das Tascheninnere ab und überprüfte mit Hilfe der Lampe den Staub an ihren Fingerspitzen. Als Nächstes nahm sie sich die Werkzeugtasche vor. Auch hier überprüfte sie im Lampenschein die Staubablagerung am Boden des Beutels. Schließlich packte sie alles so zurück, wie sie es vorgefunden hatte.
Dann ließ sie sich auf die Knie nieder und suchte sorgfältig die Fliesen des Bodens ab, Zoll für Zoll. Unter der Bettstatt stieß sie mit der Hand gegen etwas, das sich wie ein Steinbrocken anfühlte. Sie umschloss es mit den Fingern, kroch zurück und hielt den Gegenstand ins Lampenlicht.
Zunächst hatte sie den Eindruck, es handelte sich tatsächlich um ein Stück unbehauenen Stein. Sie rieb ihn auf dem Fußboden und hielt ihn erneut ans Licht. Die Seite, deren Oberfläche sie glatt gerieben hatte, erglänzte in einem strahlenden Gelb.
Ein zufriedenes Lächeln glitt über ihr Gesicht.
Ruhig und gelassen saß Äbtissin Ita kerzengerade in ihrem Stuhl. Sie wirkte in ihrer Haltung so beherrscht, dass es schon fast unnatürlich war. Man hätte annehmen können, sie hätte sich seit ihrer letzten Begegnung mit Fidelma nicht vom Fleck gerührt. Argwöhnisch maßen die bernsteinfarbenen Augen Fidelma, ähnlich einem Steinmarder, der einen über ihm kreisenden Habicht wachsam verfolgt.
»Nimm bitte Platz, Schwester«, forderte die Äbtissin sie auf. Das war ungewöhnlich und ihrer Stellung als Anwältin, weniger der als Mitglied der frommen Gemeinschaft geschuldet.
Mit einem »Danke, Ehrwürdige Mutter« ließ sich Fidelma ihr gegenüber nieder.
»Es ist schon spät. Wie kommst du mit deinen Nachforschungen voran?«
»Sie sind ziemlich weit gediehen. Ich hätte von dir nur noch gern ein paar Fragen beantwortet.«
Es war die Andeutung einer Handbewegung, mit der die Äbtissin ihr Einverständnis erklärte.
»Als dich Sillán heute Nachmittag aufsuchte, wovon war da die Rede, dass er so aufgebracht war?«
Nur kurz zuckten ihre Augenlider; es war die einzige Regung, die zu erkennen gab, dass die Äbtissin eine solche Frage nicht erwartet hatte.
»Er soll bei mir gewesen sein?«, versuchte sie Fidelma hinzuhalten.
»Du weißt es sehr wohl.«
»Es wäre töricht, vor dir die Wahrheit verbergen zu wollen«, bekannte sie mit einem Stoßseufzer. »Dafür kenne ich dich zu lange. Ich habe mich schon immer gewundert, dass du dich für das Leben in einem Kloster entschieden hast, anstatt einem weltlichen Beruf nachzugehen. Eine Auffassungsgabe wie die deine und ein solch logisches Denkvermögen sind einem Menschen selten gegeben.«
Fidelma schwieg zu den lobenden Worten.
»Sillán kam, um mir von gewissen Dingen, die er entdeckt hatte, Kenntnis zu geben.«