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»Die dümmste Stelle, wenn man jemand erstechen will«, brummelte Irél abfällig. »Jemand in den Rücken stechen«, fügte er hinzu, als er Fidelmas fragenden Blick sah. »Von hinten kann man sich nie sicher sein, ob man sein Opfer wirklich getötet hat. Zu viele Knochen versperren den Weg zu lebenswichtigen Organen, an jedem einzelnen kann die Waffe abprallen. Man sollte immer von vorn unterhalb des Rippenbogens zustechen und dann leicht nach oben.« Man hörte den Krieger sprechen.

»Deiner Meinung nach hat die Person, die den Todesstoß ausgeführt hat, vom Töten nichts verstanden?«, fragte Fidelma mit bitterem Hohn.

Er überlegte. »Das würde ich nicht unbedingt sagen. Der Stab wurde leicht seitlich angesetzt und dann mit jäher Wucht in die Herzgegend getrieben. Der Mörder wusste, was er tat. Er wollte auf Anhieb das Herz durchbohren. Trotzdem hat sein Opfer noch eine Weile gelebt, sonst hätten wir ja nicht seine Schreie gehört und den Leichnam entdeckt.«

»Deine Beobachtungsgabe ist bemerkenswert, Irél. Aber sag mir eins, weshalb ordnest du den Mord einem Mann zu?«

»Das ist doch ganz logisch. Schau dir mal an, wie tief sich das Holz ins Fleisch gegraben hat. Dazu braucht man Kraft.«

Dem war nichts entgegenzusetzen. Fidelma betrachtete jetzt den Holzschaft etwas genauer. Er war aus Espe, etwa achtzehn Zoll lang, auch waren Schriftzeichen in Ogham eingeritzt. Sie ließ die Finger über die Lettern gleiten, das noch leicht klebrige Mark war zu spüren. Die eingeritzten Wörter hießen so viel wie »Mögen die Götter uns behüten«. Damit war klar, was für ein Stab das war, nämlich ein Maß, mit dem man Leichen und Gräber vermessen konnte, ein sogenannter . Der Messstab galt als ein Unheil bringendes Werkzeug, aus freien Stücken würde ihn niemand anfassen.

Selbst Fidelma musste sich gut zureden, ehe sie ihn anpackte und aus dem Leichnam zog. Auf den ersten Blick erkannte sie, dass es sich um keinen allgemein üblichen handelte. An dem Ende, das im Körper gesteckt hatte, war herumgeschnitzt worden, sodass sich vorn eine Spitze ergab. Sie wischte das Blut an der Kleidung des Toten ab. Jetzt war deutlich zu erkennen, dass man die Spitze im Feuer erhärtet hatte.

Zutiefst erschrocken sah Tressach ihr zu, wie sie den Holzstab in den Händen hin und her drehte. »So etwas anzufassen bringt Unglück, Schwester«, sagte er vorwurfsvoll. »Und erst recht, wenn es der ist, mit dem das Grab für Tigernmas ausgemessen wurde.«

Fidelma beachtete ihn nicht. Sie stand auf und begann, sich in der Grabstätte genauer umzusehen.

Es handelte sich um eine oval geformte Kammer, die man in einen Erdhügel eingelassen hatte; ihr Boden war mit Steinen ausgelegt, während die Wände aus Granitblöcken bestanden. Sie waren so angeordnet, dass das Dach eine bogenförmige Struktur hatte. Die gesamte Grabstätte war etwa fünfzehn Fuß lang und gute zwölf Fuß breit. Die offenstehenden Türen empfand Fidelma als Erleichterung, weil die frische und kühle Abendluft, die von draußen hereinkam, ein wenig den übelriechenden Mief überdeckte.

Nach den sterblichen Überresten von Tigernmas brauchte man nicht zu suchen. Am hinteren Ende der Grabstätte stand mittig und aufrecht ein verrostetes Eisengestell. Da drin lagen die kläglichen Reste eines Skeletts, auch ein paar Stofffetzen, eine Gürtelspange aus Metall, ein verrostetes Schwert. Früher hatte man die Stammesfürsten und großen Herrscher in aufrechter Haltung bestattet, das Gesicht dem Feind zugewendet und mit dem Schwert in der Hand. Der Kastenrahmen aus Eisen war vermutlich dafür gedacht, den Leichnam in der Grabkammer aufrecht stehend zu halten. Man glaubte, dass so der Nimbus des Toten die Lebenden beschützen würde. Der auf der Erde liegende Schädel starrte mit seinen Augenhöhlen gespenstisch auf den toten Fiacc. Sein boshaftes Grinsen hatte eine gewisse Schadenfreude. Fidelma ging mit sich ins Gericht, derart unfreundliche Bilder hätten sich ihr nicht aufdrängen dürfen.

An einer Seite der Grabstätte befanden sich die spärlichen Reste eines Streitwagens. Man hatte dem König sein über alles geliebtes Gefährt beigegeben, damit es ihm die Reise in die Anderswelt erleichterte. Daneben lagen und standen Krüge und Töpfe, die ursprünglich des Königs Lieblingsspeisen und Getränke enthalten hatten, sowie große Gefäße aus Bronze und Kupfer, Zeugen uralten Kunsthandwerks.

Fidelma tastete sich weiter vor und stieß mit dem Fuß an etwas. Sie bückte sich und hob ein kleines, wenngleich schweres Metallstück auf. Im Schein von Iréls Laterne unterzog sie es einer gewissenhaften Prüfung und stellte fest, dass sie Silber in der Hand hielt. Sorgfältig legte sie es auf die Erde zurück und entdeckte dabei etliche herumliegende Broschen, Halbedelsteine in Gold gefasst. Auch das war erklärlich, denn es war Sitte gewesen, einem großen Stammesfürsten einen Teil seiner Kostbarkeiten mit ins Grab zu geben, damit er auf seiner Reise in die Anderswelt nicht mittellos dastand. Nachdenklich überprüfte sie die verbleibenden Flächen der Grabstätte.

Das Laternenlicht zeigte ihr eine kleine Blutspur, die an dem Eisenkasten mit dem Skelett anfing und bis zu Fiaccs Leichnam an den Eingangstoren führte. Auf dem Fußboden waren Kratzspuren zu erkennen.

Irél, der neben ihr stand, sprach aus, was sie dachte.

»Man hat ihn offensichtlich erstochen, als er an dem Eisengestell stand, und dann hat er es noch geschafft, sich bis zu den Türen zu schleppen.«

»Das sehe ich auch so«, sagte sie nur.

Draußen am Eingang wartete Garbh, der Friedhofswärter, zusammen mit Tressach und dem anderen Krieger. Alle drei verfolgten gespannt ihr Tun.

»Da wir von dem Offensichtlichen sprechen, wundert es dich nicht auch, dass auf der Erde hier kaum Staub und Schmutz sind?«, fragte sie Irél. »Fast könnte man glauben, jemand hätte hier gerade gefegt.«

Verblüfft starrte er sie an. Scherzte sie oder war es ihr ernst? Doch sie war schon weitergegangen, den Blick aufmerksam auf den Boden gerichtet und auf eine der Steinplatten. Sie zeigte auf Schleifspuren.

»Komm mal mit deiner Laterne etwas näher. Wie deutest du das hier?«

Er zuckte mit den Achseln. »Könnte von den Seilen herrühren, mit denen die Steine eingelassen wurden.«

»Das ist gut möglich. Ist dir sonst noch etwas Merkwürdiges an der Grabstätte aufgefallen?«

Flüchtig schaute sich Irél noch einmal um und schüttelte dann den Kopf.

»Tigernmas, der später im Ruf eines Bösewichts stand, gilt aber auch als der König, der als Erster dafür gesorgt hat, dass Gold und Silber geschürft und geschmolzen wurde und dass in unserem Land große Kunstwerke geschaffen wurden«, sagte sie.

»Ich habe davon gehört, ja«, erwiderte Irél.

»Und es war guter Brauch bei uns, Grabbeigaben beizufügen, unter anderem auch Symbole von Reichtum und Macht.«

»Das ist nichts Neues«, meinte Irél und ärgerte sich ein wenig, dass Fidelma nicht auf dringlichere Dinge zu sprechen kam.

»Ich habe nur ein paar goldene Broschen und einen Silberbarren gesehen, und die liegen hier so, als ob man sie in aller Eile hingeworfen hätte. Wo sind die Reichtümer und Wertsachen, die man in einem Grab wie diesem erwartet? Was das angeht, ist es gähnend leer.«

Irél sah beim besten Willen keinen Zusammenhang zwischen Fidelmas Feststellung und dem Mord an Fiacc, und für die Sitten und Bräuche der Vorfahren hatte er herzlich wenig übrig.

»Ist das so wichtig?«

»Vielleicht doch.«

Fidelma ging noch einmal zu dem Leichnam und warf einen letzten prüfenden Blick auf ihn. Draußen entstand Bewegung, Colmán war zurück.

»Es steht fest, dass Fiacc morgen am Konvent teilnehmen sollte«, berichtete er. »Nach Auskunft des Vorsitzenden sind Fiacc und seine Frau schon vor ein paar Tagen in Tara eingetroffen. Aber da gab es noch ein Problem, der Vorsitzende sagt nämlich, Fiacc war zum Obersten Richter zu einer Anhörung geladen, um sich wegen Anschuldigungen zu erklären. Sollten sich die Anschuldigungen als berechtigt erweisen, würde er nicht länger das Amt eines Richters ausüben dürfen.«