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Nechtan hob die Hand und gebot ihrem Redefluss Einhalt.

»Rechtsprechung hat dir immer am Herzen gelegen, Fidelma. Auch tust du gut daran, mich auf die rechtliche Seite meines Handelns zu verweisen. Ich beuge mich deinem Wissen. Aber bevor du die ganzen Verästelungen bis ins Letzte darlegst, möchte ich noch einmal betonen, dass es mir hauptsächlich darum ging, meine Missetaten zu bekennen. Komme, was da wolle, ich hatte das Bedürfnis, die Dinge einzugestehen. Und so erhebe ich meinen Becher und trinke auf euer aller Wohl, auf jeden Einzelnen von euch, denn ich stehe bei euch allen in der Schuld. Danach mögen Recht und Gesetz ihren Lauf nehmen; dem, was dann befunden wird, werde ich mich widerspruchslos fügen.« Er ergriff seinen Becher und nickte allen zu. »Auf euer Wohl. Einen Schluck in aller Reue. Viel Spaß, wenn ihr über mich richtet.«

Niemand sagte etwas. Schwester Fidelma zog nur zynisch eine Augenbraue in die Höhe. Es war ein armseliges Schauspiel, dem sie beiwohnten.

Der Stammesfürst schlürfte und schluckte laut. Im nächsten Moment fiel ihm der Becher aus der Hand, die blassen Augen wurden groß und starr, mit offenem Mund rang er keuchend nach Luft, und mit einer Hand griff er sich an die Kehle. Ein heftiges Zucken ging durch den Körper, er kippte nach hinten über, warf dabei den Stuhl um und stürzte zu Boden.

Das Festmahl endete in Totenstille.

Gerróc, der Leibarzt des Stammesfürsten, zeigte als Erster Geistesgegenwart. Er kniete bei Nechtan nieder, doch um dessen Tod festzustellen, bedurfte es nicht eines Arztes. Die verzerrten Gesichtszüge, der leblose Blick, die verrenkten Glieder sprachen für sich.

Daolgar, der neben Fidelma saß, seufzte erleichtert auf. »Gott übt eben doch Gerechtigkeit«, bemerkte er ungerührt. »Wenn es jemanden gab, bei dessen Übergang in die Anderswelt man nachhelfen musste, dann war es dieser Mann.« Er warf Fidelma einen raschen Blick zu und zuckte die Achseln, als er ihr tadelndes Gesicht sah. »Du musst schon entschuldigen, wenn ich aus meinem Herzen keine Mördergrube mache, Schwester. Mit der Lehre, Vergebung zu üben, habe ich meine Schwierigkeiten. Ich finde, es hängt von der Art der Sünden und von dem Verursacher ab.«

Er hatte mit seiner Bemerkung Fidelma kurz abgelenkt, doch jetzt sah sie, dass der junge Dathó erregt mit seiner Mutter Ess flüsterte, die den Kopf schüttelte. Ihre Hand umschloss irgendeinen kleinen Gegenstand in der Tasche.

Der Arzt hatte sich wieder erhoben und sah argwöhnisch zu Daolgar hinüber. »Was wolltest du mit dem Nachhelfen in die Anderswelt sagen, Daolgar?«, forschte er und war bemüht, seine innere Erregung zu unterdrücken.

Daolgar winkte gleichgültig ab. »Es war nur so eine Redewendung, Doktor. Gott hat Nechtan auf seine Weise gestraft. Herzversagen oder so was. Das reichte zum Nachhelfen. Ob Nechtan ein solches Los verdiente oder nicht, bleibt dahingestellt – aber keinen an diesem Tisch wird es empören. Er hat uns allen Leid zugefügt.«

Gerróc wiegte bedächtig den Kopf. »Nicht Gott hat es gefallen, ihn zu strafen«, erwiderte er langsam. »Niemand von euch sollte den Wein anrühren.«

Aller Blicke waren verständnislos auf den Arzt gerichtet.

»Der Becher war vergiftet«, antwortete er auf ihre unausgesprochene Frage. »Nechtan wurde ermordet.«

Fidelma stand auf und ging zu dem Toten. Die geöffneten Lippen hatten eine blaue Färbung angenommen, dahinter schimmerten Gaumen und Zähne weiß. Ein Blick auf die schmerzverzerrten Züge des einst pausbäckigen Gesichts genügte ihr, um zu erkennen, dass der kurze Todeskampf auf Fremdeinwirkung zurückzuführen war. Sie nahm den auf der Erde liegenden Becher zur Hand. Auf seinem Grund war noch eine Spur Wein. Sie stippte mit dem Finger hinein und schnüffelte argwöhnisch an ihm. Sie empfand einen bitter-süßlichen Geruch, konnte ihn aber nicht einordnen und sah den Arzt fragend an.

»Gift, sagst du?« Die Frage erübrigte sich. Er nickte.

Sie richtete sich auf und schaute in die bestürzte Tischrunde. Ausnahmslos wirkte die Gästeschar verstört, aber Trauer oder Empörung über den Tod des Stammesfürsten war in keinem der Gesichter zu lesen. Niemand hatte es auf dem Platz gehalten, alle standen ratlos umher.

Wieder ergriff Fidelma das Wort: »Wie es mir als Anwältin zukommt, übernehme ich es, unsere Zusammenkunft zu leiten. Ein Verbrechen ist begangen worden. Jeder in diesem Raum hätte ein Motiv gehabt, Nechtan zu töten.«

»Das betrifft auch dich«, erklärte Dathó. »Ich verwahre mich dagegen, von jemandem befragt zu werden, der selbst der Täter sein könnte. Woher wollen wir wissen, dass nicht du das Gift in den Becher getan hast?«

Überrascht und mit hochgezogenen Augenbrauen, nahm Fidelma die Anschuldigung des jungen Mannes zur Kenntnis, konnte sich aber nach kurzer Überlegung der Logik seines Arguments nicht entziehen.

»Du hast mit deiner Bemerkung recht, Dathó. Auch ich hätte ein Motiv gehabt. Und solange wir nicht herausgefunden haben, wie das Gift in den Becher kam, kann ich nicht beweisen, dass ich es nicht war. Das gilt für jeden von uns hier. Wir haben über eine Stunde gemeinsam an diesem Tisch gesessen, konnten einander gut sehen, haben den gleichen Wein getrunken. Es dürfte uns also gelingen, festzustellen, wie Nechtan vergiftet wurde.«

Marbán nickte zustimmend. »Der Meinung bin ich auch. Wir sollten auf Fidelma hören. Stammesfürst der Múscraige bin ich jetzt, und als solcher sage ich, wir sollten Fidelma beauftragen, die Sache zu klären.«

»Stammesfürst bist du nur, wenn erwiesen ist, dass nicht du es warst, der Nechtan getötet hat«, warf Daolgar lässig hin. »Schließlich hast du unmittelbar neben ihm gesessen. Du hattest nicht nur ein Motiv, sondern auch die Gelegenheit.«

»Bis der Rat es nicht anders entscheidet, bin ich Stammesfürst«, wies ihn Marbán ärgerlich zurecht. »Und ich sage weiterhin, dass Schwester Fidelma, solange der Rat es nicht anders verfügt, in meinem Auftrag handelt. Wir sollten jetzt alle unsere Plätze wieder einnehmen und Fidelma schalten und walten lassen.«

»Da mache ich nicht mit«, wehrte sich Dathó. »Angenommen, sie ist die Schuldige, dann ist es ein Leichtes für sie, einem von uns die Schuld zuzuschieben.«

»Weshalb überhaupt jemandem die Schuld zuweisen? Nechtan hat es doch verdient, zu sterben!« Der unduldsame Zwischenruf kam von Ess, der früheren Frau des toten Stammesfürsten. »Nechtan hat den Tod verdient«, wiederholte sie nachdrücklich. »Tausendmal und mehr hat er den Tod verdient. Niemand anders hier dürfte ihn fröhlicheren Herzens in die Anderswelt gesandt sehen als ich. Hätte ich die Tat begangen, würde ich es ohne weiteres eingestehen. Wer immer es war, dem Täter kann man schwerlich etwas zur Last legen. Er hat die Welt von einem Schädling befreit, von einem Untier, das vielen Leid und Qual bereitet hat. Alle, wie wir hier sitzen, sollten bezeugen, dass kein Verbrechen geschah – einfach eine gerechte Strafe. Wer die Tat begangen hat, soll sich erklären, und er erfährt unsere Unterstützung.«

Verhalten lauernde Blicke wanderten von einem zum anderen. Niemand schien Ess widersprechen zu wollen, aber ebenso schien niemand bereit, die Tat zuzugeben.