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Mit finsterer Miene stand Marbán vor ihnen. In ihren Augen war er der zu Verurteilende. Erregtes Gemurmel breitete sich aus. Fidelma hatte ihre liebe Not, wieder Ruhe zu schaffen.

»Lassen wir den unnützen Streit. Marbán hat Nechtan nicht getötet.«

Überraschtes Schweigen.

»Wer war es dann?«, fragte Dathó verärgert. »Du treibst mit uns ein Katz-und-Maus-Spiel, Schwester. Wenn dir schon alles klar ist, dann nenne uns den Täter.«

»Jeder an diesem Tisch weiß, dass Nechtan ein bösartiger, eigenwilliger Mensch war, der dem Leben nichts Gutes abgewinnen konnte. Ebenso wie wir unseren Grund hatten, ihn zu hassen, hasste auch er jeden, mit dem er es zu tun hatte.«

»Trotzdem, wer hat ihn umgebracht?«, wiederholte nun Daolgar die alle bedrängende Frage.

»Er hat selbst Hand an sich gelegt«, eröffnete sie ihnen.

Betroffen und ungläubig blickten sie alle an.

»Ich hatte schon etwas länger den Verdacht«, fuhr Fidelma fort, »aber ich konnte ihn nicht erhärten. Gerróc eben hat mir das Rätsel entschlüsselt.«

»Das musst du uns erklären, Schwester, ich kann dir nicht folgen«, verlangte Marbán mürrisch.

»Ich habe ja schon darauf verwiesen, dass so, wie wir Nechtan hassten, er auch uns hasste. Als er erfuhr, dass sein Tod nahte, entschloss er sich zu einem weiteren großen Racheakt an all denen, die er am wenigsten ausstehen konnte. Ein rasches Hinübergleiten in die Anderswelt war ihm lieber als das qualvolle Ende, das ihm Gerróc ausgemalt hatte. Wenn es eines tapferen Mannes bedarf, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, dann muss man ihm zugestehen, dass er diese Tapferkeit besaß. Er entschied sich für ein rasch wirkendes Gift, Realgar, und genoss die Schadenfreude, dass es eine Substanz war, die Cuill, der Mann seiner gegenwärtigen Geliebten, bei seiner Arbeit benutzte.

Dann verfiel er auf die Idee, uns alle zu einem letzten Gastmahl einzuladen. Er setzte auf unsere Neugierde und Eigenliebe und erklärte, er wolle sich vor allen dafür entschuldigen, dass er uns so übel mitgespielt habe. Er hatte alles sorgfältig durchdacht. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, breitete er seine Schandtaten in allen Einzelheiten aus. Dabei ging es ihm weniger darum, um Verzeihung zu bitten, vielmehr wollte er absichern, dass jeder von jedem wusste, dass alle, wie wir da saßen, guten Grund hatten, ihn zu verabscheuen und lieber tot als lebendig zu sehen. Er bereitete den Nährboden für gegenseitiges Misstrauen. Er rühmte sich eher seiner Missetaten, als dass er sich bei uns dafür entschuldigte. Er rühmte sich und warnte zugleich.«

Ess stimmte ihr zu. »Ich empfand seine letzten Worte als merkwürdig, aber im Nachhinein ergeben sie einen Sinn.«

»Das sehe ich auch so«, meinte Fidelma.

»Wie waren die Worte noch mal?«, fragte Daolgar.

»Er sagte: ›Und so erhebe ich meinen Becher und trinke auf euer aller Wohl, auf jeden Einzelnen von euch, denn ich stehe bei euch allen in der Schuld. Danach mögen Recht und Gesetz ihren Lauf nehmen; dem, was dann befunden wird, werde ich mich widerspruchslos fügen. … Auf euer Wohl … Viel Spaß, wenn ihr über mich richtet.‹« Wortwörtlich hatte Fidelma Nechtans Worte wiedergegeben.

»Wie eine Entschuldigung klingt das nicht«, gab Marbán zu. »Aber was bezweckte er?«

»Jetzt ist es mir klar«, antwortete ihm Ess. »Siehst du immer noch nicht, wie bösartig dieser Mann war? Er wollte, dass jeder von uns in Verdacht geriet, ihn ermordet zu haben. Er spielte seine Niedertracht bis zuletzt gegen uns aus.«

»Aber wie er das zu erreichen gedachte, sehe ich immer noch nicht«, bekannte Gerróc, völlig verwirrt.

»Im Wissen um seinen Tod, der ihn in wenigen Tagen oder Wochen ereilen würde, bestimmte er selbst seine Lebensfrist«, erläuterte Fidelma geduldig. »Ess hat recht, er war ein bösartiger, niederträchtiger Mensch. Er lud uns zum Mahl und war entschlossen, sich an dessen Ende zu vergiften. Zu Beginn des Essens befahl er seinem Bediensteten Ciar, Brehon Olcán, seinen Richter, holen zu lassen. Er rechnete damit, dass Olcán uns im Aufruhr der Gemüter vorfinden würde, dass er Zeuge werden würde, wie wir uns gegenseitig die Schuld zuwiesen. Er hoffte weiterhin, Olcán würde daraus die falsche Schlussfolgerung ziehen und glauben, dass einer von uns, wenn nicht gar alle, in seine Ermordung verstrickt waren. Er beging Selbstmord, in der Hoffnung, wir würden des Mordes an ihm bezichtigt werden. Noch während er zu uns sprach, tat er unauffällig das Gift in seinen Becher.«

Fidelma hatte verbitterte Gesichter vor sich. Sie selbst lächelte mühsam. »Ich denke, wir können jetzt Brehon Olcán hereinbitten und ihm alles darlegen.«

Sie schritt zur Tür, blieb aber noch einmal stehen, wandte sich um und sagte abschließend: »Ich habe viele Verbrechen erlebt. Manche geschahen aus Bosheit, andere aus Verzweiflung. Aber solch eine Durchtriebenheit und Niedertracht, wie sie in Nechtan, dem einstigen Stammesfürsten der Múscraige, lauerten, sind mir bislang nicht vorgekommen.«

Am folgenden Morgen brach Fidelma nach Cashel auf. Wie immer war sie zu Pferde. Unterhalb des Burggeländes von Nechtan stieß sie an einer Kreuzung auf Gerróc, den alten Arzt.

»Wohin des Wegs, Gerróc?«, grüßte sie ihn freundlich.

»Zum Kloster von Imleach«, erwiderte der Alte ernst. »Ich will beichten und für den Rest meiner Tage dort Zuflucht suchen.«

Sie sann kurz nach und gab dann die etwas rätselhafte Antwort: »Ich würde bei der Beichte nicht alles preisgeben.«

Der Alte runzelte die Stirn. »Du weißt?«

»Ich kann ein Geschwür von einem Gewächs unterscheiden.«

Er seufzte leicht.

»Anfangs wollte ich Nechtan nur einen Schrecken einjagen. Er sollte sich ruhig ein paar Wochen quälen, ehe ich den Furunkel aufschnitt oder ehe er von allein aufbrach. Geschwüre hinter dem Ohr können äußerst schmerzhaft sein. Er glaubte mir, als ich vorgab, es wäre ein Gewächs und er hätte nicht mehr lange zu leben. Wozu er in seiner Boshaftigkeit fähig wäre, habe ich nicht geahnt, und schon gar nicht, dass er Selbstmord begehen würde, um uns alle ins Verderben zu stürzen.«

Sie schaute ihm in das verhärmte Gesicht. »Nun hat er selbst Blut an den Händen.«

»Aber gegen das Gesetz kann ich nicht an. Ich muss Beichte ablegen.«

»Es gibt Fälle, da der Gerechtigkeit der Vorrang gebührt«, meinte sie heiter. »Nechtan hat Gerechtigkeit erfahren. Vergiss das Gesetz, Gerróc. Gott sei mit dir, möge Er deinen Lebensabend in Frieden begleiten.«

Sie hob die Hand, als wollte sie ihm den Segen erteilen, wendete das Pferd und setzte ihren Weg fort.

DIE SICH AN UNS VERSÜNDIGEN

»Für mich ist die Angelegenheit klar. Ich kann nicht verstehen, weshalb der Abt dich extra hergeschickt hat.«

Pater Febal war gereizt und offensichtlich verstimmt über die Anwesenheit der Anwältin in seiner kleinen Kirche, besonders da es sich bei ihr um die hübsche, rothaarige Nonne handelte, die ihm in der engen Sakristei gegenübersaß. Im Gegensatz zu ihrer entspannten Haltung strahlte sein Verhalten Rastlosigkeit und Misstrauen aus. Er war ein kleiner Mann, der trotz beinahe leichenhaft blasser Gesichtszüge dunkel wirkte. Der Ansatz seines Bartes, obwohl rasiert, bildete einen blauen Schatten auf seinem Kinn und seinen Wangen, und sein Haar war so schwarz wie das Gefieder eines Raben. Seine Augen waren tiefliegend, aber dunkel und stechend. Als er seiner Gereiztheit Ausdruck verlieh, zeigte sein ganzer Körper seinen Ärger.

»Vielleicht liegt es daran, dass die Angelegenheit für den Abt so unklar ist, wie sie dir klar erscheint«, antwortete Schwester Fidelma in unschuldigem Tonfall. Das aggressive Verhalten des Priesters beeindruckte sie nicht.