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Wolfgang Hohlbein - Die Enwor Saga 8

Der flüsternde Turm

Umschlag: Der Graph, Wien

Illustrationen: Christian Mogg

Ungekürzte und genehmigte Lizenzausgabe für Tosa Verlag, Wien

© der Originalausgabe 1989 by Wilhelm Goldmann Verlag GmbH, München

© der vorliegenden Ausgabe 1996 by Tosa Verlag, Wien

Gesamtherstellung: Der Graph, Wien

Coverrückseite

Das märchenhafte Elay, Heimat der Errish, gibt es nicht mehr. Tote liegen in den Straßen, und über alles hat sich feiner, grauer, tödlicher Staub gelegt. Die Hilfe, die Skar und Kiina suchen, werden sie hier nicht finden. Statt dessen werden die Quorrl, die ihren Begleittrupp bilden, von den letzten überlebenden Errish überfallen. Skar versucht die Todfeinde zu versöhnen, weil Quorrl und Menschen nur gemeinsam gegen die Sterngeborenen siegen können - aber er weiß nicht, wie wenig Zeit ihm noch bleibt.

1.

Elay lag in Trümmern. Aus der stolzen Wächterin des Drachenlandes war eine Ruine geworden, äußerlich fast unversehrt, und trotzdem nurmehr ein Schatten ihrer selbst.

Es war lange her, daß Skar hiergewesen war, selbst nach seiner eigenen Zeitrechnung gemessen, die mit der der wirklichen Welt nicht immer übereinstimmte, und trotzdem fiel ihm der Unterschied sofort auf: Einst hatten Elays schwarze Mauern Macht und Weisheit ausgestrahlt, eine Trutzburg, riesig, finster, unbesiegbar und drohend, aber nur für den, der in feindlicher Absicht hierherkam. Jetzt war es, als umgebe der Hauch des Todes die Stadt wie ein unsichtbarer, dräuender Schatten.

Skar versuchte, den Gedanken dorthin zu verbannen, wo er hingehörte: in den Bereich seines Bewußtseins, der für Furcht und Unlogik zuständig war, aber es gelang ihm nicht; vielleicht, weil mehr Wahrheit an ihm war, als er zugeben wollte. Elay hatte sich verändert, auch äußerlich. Vorhin, als sie zwischen den Felsen hervorgetreten waren, hätte er für einen Moment geschworen, daß die Stadt kleiner geworden war, so wie ein Mensch im Alter kleiner und unansehnlicher wurde, auch ohne an zu messender Körpergröße zu verlieren. Die Stadt hatte... etwas verloren. Etwas, das unsichtbar und sehr präsent gewesen war, aber auf eine unaufdringliche, stumme Art, die dem Betrachter seine Existenz erst dann wirklich bewußt werden ließ, wenn es nicht mehr da war. Dazu kam der Regen, der in trägen Schleiern vom Himmel stürzte und alles grau und trist erscheinen ließ.

»Bei den schwarzen Göttern von Moron«, flüsterte Kiina neben ihm. »Was ist hier geschehen?«

Natürlich wußte Skar die Antwort nicht - wie um alles in der Welt sollte er sie wissen, wenn sie sie nicht wußte? -, aber er versuchte trotzdem für einen Moment, eine Erklärung zu finden; Worte, die dem Anblick der leeren, geschleiften Stadt etwas von ihrem entsetzlichen Schrecken nehmen würden.

Es gelang ihm nicht. Die Verheerung war total. Die zyklopische Mauer, in deren Schatten Kiina und er noch immer standen, war unversehrt geblieben, aber das, was sich vor ihnen erstreckte, war ein Schlachtfeld, die Reste einer Stadt, die ihren Bewohnern zum Grab geworden war. Die von Gewalten zermalmt worden war, die sich Skar weder vorstellen konnte noch wollte. Was von den Häusern und Palästen Elays noch stand, das waren ausgebrannte Ruinen, den geschwärzten Skeletten großer gepanzerter Tiere gleich, zwischen denen es hier und da noch immer brannte, unbeschadet des unablässig strömenden Regens. Die Straßen waren voller Schutt und verkohlter Trümmer, und über allem lag Staub, den der Regen zu einer schwarzen schmierigen Schicht gemacht hatte. Und überall lagen Tote - verkrümmte Gestalten in den schmucklosen grauen Mänteln der Errish, Dienstboten, Krieger, Männer, Frauen, Kinder... der Tod hatte keinen Unterschied gemacht, wo und bei wem er zuschlug.

»Der Wächter?« flüsterte Kiina.

Skars Antwort bestand abermals nur aus einem Achselzucken, obwohl er diesmal wußte, daß Kiina sich täuschte. Sie alle hatten die entsetzliche Verwüstung gesehen, die die Sternenkreatur hinterließ, aber was Elay zerstört hatte, war eine Gewalt gänzlich anderer Natur gewesen. Er hatte zwei der Leichname flüchtig untersucht, auf die sie gleich beim Betreten der Stadt gestoßen waren. Sie wiesen keine Verletzungen auf, aber der Tod hatte einen Ausdruck unermeßlicher Qual auf ihren Gesichtern hinterlassen. Sie hatten sich gefragt, wieso sie weder auf Errish noch auf Drachen gestoßen waren, auf dem Weg hierher. Jetzt wußten sie es. »Wir sollten zurückgehen«, sagte Skar leise; fast im Flüsterton. Es war beinahe, als hätte er Angst, die Geister dieser Stadt zu wecken, wenn er zu laut sprach.

»Zurück?« Kiina schüttelte den Kopf, sah ihn aber nicht an. Ihr Blick irrte verzweifelt über das, was einmal ihre Heimat gewesen war, und Skar spürte überdeutlich, mit welchem fassungslosen Entsetzen sie der Anblick erfüllte. Trotzdem war es ihr unmöglich, sich von ihm loszureißen. »Nein. Ich... ich muß wissen, was hier passiert ist.«

Skar widersprach nicht. Natürlich waren Kiinas Worte unsinnig, und etwas sagte ihm darüber hinaus, daß es nicht gut war, tiefer in die zerstörte Stadt vorzudringen, als sie es bereits getan hatten. Obwohl sich nirgends zwischen den geschwärzten Ruinen auch nur eine Spur von Leben regte, spürte er die Gefahr, die noch immer hier lauerte. Was immer Elay vernichtet hatte, war noch da. Aber er verstand Kiina. Diese Stadt war einmal ihre Heimat gewesen. Jeder, den sie gekannt und geliebt hatte, hatte hier gelebt. Trotzdem zögerte er, als Kiina einen Schritt machte und ihn auffordernd ansah. Das Empfinden von Gefahr war übermächtig, und da war zu viel, was er nicht verstand, aber ganz instinktiv als gefährlich einstufte. Der Krieger in ihm, der zu überleben gelernt hatte, indem er das Unbekannte mied oder zumindest erst einmal als gefährlich einstufte, um sich dann - vielleicht - eines Besseren belehren zu lassen, schrie ihm zu, auf der Stelle umzudrehen und die Stadt zu verlassen. Aber da war noch eine andere Stimme; eine, die ihm zuflüsterte, daß es wichtig war, herauszufinden, was Elay und seinen Bewohnern widerfahren war. Vielleicht lebenswichtig. »Warte einen Moment«, sagte er. Ohne Kiinas Antwort abzuwarten, wandte er sich um und ging zum Tor zurück, wobei er einen übertrieben großen Bogen um die beiden toten Errish schlug, die davor lagen. Gebückt trat er durch das schmale Schlupftor, durch das sie Elay betreten hatten. Die beiden Pferde, die sie an einem eisernen Ring neben dem Tor angebunden hatten, begannen unruhig zu wiehern und mit den Hufen zu scharren. Die Tiere litten unter dem Dauerregen so sehr wie ihre Herren, aber das war nicht der Grund für ihre Unruhe. Sie hatten Angst. Irgend etwas war hier, was sie nervös machte. Skar spürte es auch. Was immer Elay zerstört hatte, war noch da.

Er trat zu seinem Pferd, fuhr ihm mit der linken Hand beruhigend über die Nüstern und öffnete mit der anderen die Schnallen seiner Satteltasche. Er fühlte sich nicht wohl bei dem, was er tat. Er hatte die... Magie? Gut, er würde sie weiter so nennen, bis er eine passendere Erklärung dafür gefunden hätte - er hatte die Zauberkunst der Errish stets mit Mißtrauen betrachtet, denn sie vermochte Leben ebenso rasch zu zerstören, wie sie es rettete. Aber hinter ihm, auf der anderen Seite der zwanzig Fuß dicken Mauer, befand sich eine Stadt voller Toter, und wenn das, was diese Menschen umgebracht hatte, noch hier war, dann brauchte er vielleicht jedes bißchen Hilfe, das er bekommen konnte, Zauberei hin oder her.

Skar förderte ein kleines, in Tuch eingeschlagenes Päckchen zutage, wickelte es sorgfältig aus und betrachtete das silbern funkelnde Ding in seiner Hand mit einer Mischung aus Furcht und Abscheu. Der logische Teil seines Denkens sagte ihm, daß ihm auch Kiinas Scanner nicht sehr viel nutzen würde: es war eine Waffe der Errish, wie es sie in Elay wahrscheinlich zu Tausenden gab, und sie hatten nicht ein Leben retten können.