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»Ich war feige«, wiederholte sie schließlich. »Ich ließ mein Volk im Stich, statt mit ihm zu sterben, wie es meine Pflicht gewesen wäre. Zwei Tage und Nächte blieb ich hier unten, und als ich zurückkam, da... da gab es kein Elay mehr. Aber ich berührte den Staub.«

»Wir werden Euch helfen!« sagte Kiina verzweifelt. »Wir bringen Euch hier heraus und... und werden Euch helfen. Ich verstehe eine Menge von der Heilkunst, mehr als Ihr glaubt. Meine Mutter -«

»Sei endlich still«, sagte Skar. Kiina brach mitten im Wort ab und starrte ihn aus tränenerfüllten Augen an, und Skar wandte sich wieder an die Margoi. »Es tut mir so leid«, sagte er.

»Leid?« Die Errish lachte leise. »Das muß es nicht, Satai. Es ist die gerechte Strafe für meine Feigheit. Ich hatte Angst zu sterben. Ich wollte leben, und für einen Moment war es mir gleich, ob mein Volk lebt oder nicht.«

»Du hättest es nicht verhindern können.«

»Aber ich hätte mit ihnen sterben können«, sagte die Margoi. »Ich sah, wie sie stürzten, im Bruchteil einer Sekunde, und ich hatte nur Angst.« Wieder lachte sie. »Ich hatte Angst vor einem schnellen Tod und tauschte ihn gegen das hier ein. Die Götter sind gerecht, Skar. Sie haben mich für das bestraft, was ich tat. Und sie haben Elay für das bestraft, was Vela getan hat.«

»Das ist nicht wahr«, widersprach Skar, sanft, aber sehr bestimmt. »Was immer es war, das Elay zerstört hat - es sind Wesen wie wir, die es entfesselten.«

»Wesen wie wir?« Die Margoi sah ihn auf sonderbare Weise an, und für einen Moment war Skar fast sicher, daß sie sein Geheimnis kannte. Aber wenn es so war, dann zog sie es vor, darüber zu schweigen.

»Vielleicht keine Wesen wie wir«, sprach er weiter. »Aber sie sind sterblich. Sie leben, und was lebt, kann getötet werden. Unsere Vorfahren haben sie schon einmal besiegt.«

»Die Alten hatten die Macht von Göttern«, widersprach die Margoi. »Wir Errish haben uns immer eingebildet, die Erben ihrer Macht zu sein, aber du hast gesehen, wie leicht sie uns überwältigen konnten.«

»Und doch war es eine Errish, die uns die Rettung brachte«, sagte Skar. Er verschwieg absichtlich, daß das Wasser des Lebens versagt hatte. Was hätte es genutzt, einer Sterbenden unnötig weh zu tun?

»Miri hat euch erreicht?«

»Eine dunkelhaarige Errish auf einer riesigen Daktyle«, sagte Skar. »Sie trug die Haut eines Ultha als Rüstung.« Kiina sah ihn fragend an, aber er spürte, daß ihnen nur noch sehr wenig Zeit blieb, und fuhr mit leiser, eindringlicher Stimme und sehr schnell fort: »Sie starb, ehe sie die Burg erreichte, aber ich fand ihren Leichnam. Und das, was sie brachte.«

»Dann war nicht alles umsonst«, flüsterte die Margoi. »Ich wußte von ihrem Plan und versuchte ihn zu vereiteln, als ich unter dem Einfluß des... Wächters stand, aber es gelang mir nicht. Ich bin sehr froh.«

Ein Teil des Netzes stürzte brennend im hinteren Drittel der Höhle zusammen, und Skar spürte das Beben, das durch den Körper des toten Staubdrachens ging, an dem die Margoi lehnte. Der Flammenschein wurde heller und die Luft merklich wärmer. »Ihr müßt... gehen«, flüsterte die Margoi. »Rasch, ehe es zu spät ist. Kümmert euch nicht um mich.«

Skar war der Verzweiflung nahe. Es gab so viele Fragen, die er ihr hatte stellen wollen, auf die er eine Antwort haben mußte, wenn nicht alles umsonst gewesen sein sollte. Gleichzeitig wußte er, daß sie recht hatte. Ihnen blieben allerhöchstens noch Sekunden.

»Herrin...«, wimmerte Kiina.

»Kümmert euch nicht um mich«, wiederholte die Margoi. »Ich bin hierhergekommen, um zu sterben. Bei Ehla, bei... den anderen. Geht. Geht nach... Norden. Geht ins Land der Quorrl. Vielleicht ... findest du dort die Antworten, die du suchst.« Sie lachte, hustete wieder und lachte noch einmal. »Oder die Fragen, die zu den Antworten passen, die du schon kennst.«

»Und Ihr?« fragte Skar.

Die Margoi blickte ihn an, und er begriff. Mühsam stand er auf, zwang auch Kiina mit sanfter Gewalt auf die Füße und blickte das brennende Netz über ihren Köpfen an. Die Flammen wogten wie ein Himmel aus Feuer unter der Höhlendecke. Es wurde heißer. »Geht nicht durch die Stadt zurück«, sagte die Margoi. »Der Staub ist noch immer gefährlich, und ihr müßt... leben. Kiina muß leben. Sie ist... die Tochter der Margoi. Vielleicht die letzte Errish, die es noch gibt.« Sie sah zu Skar auf. »Du wirst sie beschützen?«

»Das werde ich«, versprach Skar.

»Dann geht«, sagte die Margoi. Mit einer Kraft, die Skar ihr nicht mehr zugetraut hätte, richtete sie sich weiter auf und streckte ihm die Hand entgegen. Erst jetzt fiel ihm der kleine, silberne Ring auf, den sie am Mittelfinger trug. »Nimm ihn«, flüsterte sie. »Es ist der... Ring der Ehrwürdigen Mutter. Vielleicht gibt es niemanden mehr, der ihn erkennt, aber wenn, dann... wird er dir nutzen.«

»Euer Ring?« Skar zögerte. Er wußte, was der schlichte Ring bedeutete.

»Ich schenke ihn dir nicht«, antwortete die Margoi. »Gib ihn Kiina, wenn sie alt genug ist.«

Skar zögerte. Hitze und Flammen kamen näher und machten sich bereits mehr als unangenehm bemerkbar, aber alles in ihm sträubte sich dagegen, die Hand der Sterbenden zu berühren und das Symbol ihrer Macht an sich zu nehmen. Schließlich tat er es doch, aber er hatte das Gefühl, glühendes Eisen zu berühren. »Und du, Kiina - komm her.«

Kiina gehorchte. Während Skar zwei, drei Schritte zurückwich, kniete sie zitternd neben der sterbenden Errish nieder. Skar sah, wie sich die Lippen der Margoi bewegten, aber die Worte waren so leise, daß er sie nicht verstand. Und er wollte es auch nicht. Ohne zu wissen, worüber die beiden so ungleichen Frauen sprachen, begriff er, daß es etwas war, das ihn nichts anging. Sie sprachen nicht lange miteinander, nur wenige Sätze, aber in die Qual auf Kiinas Zügen mischte sich Schrecken, während sie den Worten der Margoi lauschte. Für einen kurzen Moment starrte sie ihn an, und der Blick, mit dem sie ihn musterte, spiegelte pures Entsetzen. Skar ahnte, was in ihr vorging. Er wußte, was die Margoi von Kiina erwartete; eine letzte Pflicht, die er ihr gerne abgenommen hätte. Aber er durfte es nicht. Er wußte, daß Kiina ihn hassen würde, wenn er es tat.

Schließlich wandte sie sich wieder der sterbenden Errish zu, nickte kaum merklich und beugte sich vor, um ihre Stirn zu küssen.

Skar wandte sich um, als er sah, wie Kiina den Dolch aus dem Gürtel zog.

3.

Skar konnte hinterher nicht sagen, wie lange sie brauchten, um zur Erdoberfläche zurückzukehren. Aber die Sonne ging bereits unter, als sie aus einem schmalen Spalt im Fels traten und Elay vor ihnen lag; nur ein Steinwurf entfernt, aber leider auf der falschen Seite. Sie mußten die Stadt völlig umrunden, um zu den Pferden zurückzukommen, und als sie es geschafft hatten, war es völlig dunkel geworden. Und als hätten sie noch nicht genug Schwierigkeiten, dachte er ärgerlich, war die Nacht fast sternenlos. Es regnete noch immer, und die dichtgeschlossene Wolkendecke verschluckte auch noch das bißchen Licht, das der Mond spendete. Die Felsen, hinter denen Titchs Quorrl lagerte, waren nicht mehr zu erkennen. Selbst Elays Mauern waren zu formloser Schwärze geworden, deren Nähe man eher spürte als sah.