Das Lichtgewitter und Schreien auf der anderen Seite der Felsen hielt an. Das wütende Brüllen von Quorrl drang durch den Regen zu ihm, das Klirren aufeinanderprallender Schwerter, aber auch immer wieder die peitschenden Entladungen der Scanner und das Knurren von mindestens einem Drachen.
Skar rannte los.
Als er zusammen mit Kiina nach Elay aufgebrochen war, war ihm der Weg nicht sehr weit vorgekommen. Jetzt erschien er ihm endlos. Skar rannte, so schnell es in der fast undurchdringlichen Dunkelheit überhaupt möglich war. Der Felsgrat, hinter dem Titchs Lagerplatz war, tauchte in fast regelmäßigen Abständen als scharf abgegrenzter schwarzer Schattenriß aus der Nacht auf, aus der Dunkelheit herausgestanzt vom grellen Widerschein der Scannerschüsse, deren Peitschen jetzt immer lauter und schneller erklang, und einmal glaubte er einen Schatten neben sich durch den Regen taumeln zu sehen, war aber zu schnell vorbei, um sicher zu sein.
Er erreichte die Felsen und begann wie besessen zu klettern. Zehn, fünfzehn Fuß, höher war die Wand nicht; aber sie stieg fast senkrecht auf, und der Regen hatte den Stein glitschig werden lassen, so daß er immer wieder den Halt zu verlieren drohte und nur mit äußerster Vorsicht klettern konnte. Als er den Grat der schmalen Felsbarriere erreichte, war er völlig erschöpft. Seine Finger bluteten, und seine gebrochene Rippe schickte weißglühende Pfeile aus Schmerz in seinen Brustkorb und machte es ihm fast unmöglich, zu atmen.
Skar preßte sich gegen den Felsen, so eng er konnte, und blickte in die Senke vor sich herab. Am Morgen, als sie sie erreicht hatten, war sie nicht nur ihm, sondern auch Titch und seinen Kriegern wie ein perfektes Versteck vorgekommen, groß genug, selbst fünfzig Quorrl samt der gleichen Anzahl Packpferde aufzunehmen und ihnen gleichermaßen Schutz vor dem Regen wie vor einer zufälligen Entdeckung zu gewähren; und eine natürliche Festung dazu, denn sie war bis auf einen schmalen Durchschlupf an drei Seiten von Felsen umschlossen; die vierte, offene Seite bildete die Steilküste, die kein Angreifer überwinden konnte, der nicht über Flügel verfügte.
Jetzt war sie zur Falle geworden, denn die Angreifer hatten Flügel. Unweit des wie mit einem Messer gezogenen Felsabbruches der Steilküste schwebten vier oder fünf gigantische Daktylen in der Luft, häßlichen übergroßen Fledermäusen mit absurden Hammerköpfen gleich, und unter ihnen tobte eine entsetzliche Schlacht.
Skar konnte trotz seiner erhöhten Position nicht viel erkennen. Von den Rücken der Drachenvögel aus zuckten immer wieder grelle Strahlenblitze in die Felsschüssel hinab und verwandelte die Nacht in ein stroboskopisches Flackern tiefster Schwärze und blendendweißen Lichts, aber der rasende Wechsel von Hell und Dunkel blendete ihn fast mehr, als es die Nacht und der Regen getan hatten. Aber immerhin konnte er genug sehen, um zu erkennen, daß sich Titchs Quorrl nicht mehr sehr lange würden halten können. Die, die noch am Leben waren, hieß das.
Die Daktylen und ihre Reiter waren nicht die einzigen Angreifer. Kaum zwei Armeslängen von Skar entfernt erhob sich die massige, grüngeschuppte Gestalt eines gewaltigen Drachen, in dessen Nacken ein schlanker schwarzer Schatten saß, und auch unter ihm bewegten sich Errish; dazu andere, im flackernden Licht nur unscharf zu identifizierende Wesen, die zu wuchtig aussahen, um Menschen zu sein, aber zu klein für Drachen. Gut die Hälfte des kleinen Quorrl-Heeres lag tot oder verwundet am Boden, niedergestreckt von den unablässig aufzuckenden Lichtpfeilen der Scanner oder den schrecklichen Krallen der Daktylen, die immer wieder auf das kleine Tal herabstießen und mit Klauen und Schnäbeln nach ihren Feinden hackten, und was von Titchs Heer noch am Leben war, das hatte sich zwischen das Gewirr von Felstrümmern und -brocken zurückgezogen, das das hintere Drittel des Tales ausfüllte. Wahrscheinlich war diese natürliche Deckung der einzige Grund, aus dem der Kampf nicht längst zu Ende war, denn nicht einmal der riesige Drache der Errish wagte es, sich ihr zu nähern: aus den Spalten und Winkeln, in denen die Quorrl Schutz gesucht hatten, schlug ihm ein unablässiger Strom von Pfeilen und Bolzen entgegen, und selbst, wenn er ihn überwunden hätte, hätte er sich an den messerscharfen Kanten und Graten des Lavagesteins höchstwahrscheinlich den Bauch aufgeschlitzt. Skar sah, daß es den kleineren Drachenwesen nicht besser erging. Die Quorrl hatten eine große Zahl von ihnen mit Pfeilschüssen niedergestreckt und hielten die anderen mit ihren Speeren auf Distanz.
Trotzdem gab es keinen Zweifel am Ausgang des Kampfes. Von den Rücken der kreisenden Daktylen aus stießen immer wieder grelle Lichtblitze nach den Quorrl, und die Errish im Nacken des großen Drachen feuerte mit einer anderen, sehr viel wirkungsvolleren Waffe auf die verschanzten Schuppenkrieger: Skar konnte nicht erkennen, was sie in den Händen hielt, aber es war groß und silberfarben und wuchtig, und es schleuderte armdicke Blitze auf die Felsen herab, der von dem peitschenden, schmerzhaft lauten Geräusch begleitet wurde, das er gehört hatte. Selbst diese entsetzliche Waffe reichte nicht aus, die Deckung der Quorrl zu durchbrechen, aber wo ihre Blitze die Felsen trafen, glühten diese in dunklem Rot auf, und die Hitze trieb Titchs Männer schreiend aus ihrer Deckung. Direkt in das Scannerfeuer der anderen Errish oder die zupackenden Klauen der Drachen hinein.
Skar hatte genug gesehen. Seine Rippen pochten noch immer, aber er hatte sich jetzt weit genug in der Gewalt, den Schmerz an den Rand seines Bewußtseins zu drängen, wo er ihn nicht beeinträchtigen würde. Vorsichtig richtete er sich auf, kroch bis zu einer Stelle, die ihm günstig erschien - und sprang.
Diesmal hatte er sich nicht verschätzt. Er landete so dicht neben der Flanke des riesigen grauen Drachen, daß er sich an seinen rauhen Schuppen die Haut aufriß, nutzte den Schwung seines Aufpralles aus, um sich sofort wieder abzustoßen, und grub Finger und Zehen in den glitzernden Schuppenpanzer des Drachen. Die Bestie brüllte zornig auf, als sie die Berührung spürte. Ihr Schwanz peitschte und ließ den Felsen hinter ihr bersten, aber ihre Reiterin begriff die Bedeutung dieser Bewegung zu spät. Sekundenlang kämpfte sie in dem schmalen Sattel hinter ihrem Schädel verzweifelt um ihr Gleichgewicht, ehe sie endlich auf den Gedanken kam, sich herumzudrehen. Eine Sekunde lang starrte sie Skar fassungslos an, dann versuchte sie sich herumzudrehen und ihre Waffe zu heben.
Sie schaffte es nicht mehr. Skar hatte den Rücken des Drachen erreicht und warf sich mit weit ausgebreiteten Armen nach vorne. Für einen unendlich kurzen, aber entsetzlichen Moment glaubte er, sich verrechnet zu haben und ins Leere zu greifen, aber dann bekam er den linken Arm und den Gürtel der Drachenreiterin zu fassen, packte mit aller Kraft zu und riß sie mit sich. Aneinandergeklammert fielen sie in die Tiefe. Skar versuchte sich noch im Fallen herumzudrehen, um den Sturz mit seinem eigenen Körper aufzufangen, aber es gelang ihm nicht mehr ganz. Sein Rücken schrammte am Vorderlauf des Drachen entlang, dann prallte er auf und spürte, wie in dem schmalen Frauenkörper in seinen Armen irgend etwas zerbrach. Skar wußte, daß sie tot war, noch ehe sie in seiner Umklammerung erschlaffte.
Fluchend sprang er auf, brachte sich mit einem Satz aus der unmittelbaren Reichweite des Drachen und machte sofort einen zweiten, entsetzten Hüpfer, als etwas Großes, Muskelbepacktes auf ihn zuschoß, das nur aus Panzerplatten und Klauen und einem weit aufgerissenen Maul voller scharfer Zähne zu bestehen schien. Er fiel, trat noch im Sturz nach dem Bein des Angreifers und keuchte vor Schmerz, ohne den Vormarsch des Ungeheuers dadurch auch nur zu verlangsamen. Das Ding - eines der sonderbaren Echsenwesen, das er vom Felsen aus beobachtet hatte, raste auf ihn zu, verfehlte ihn und prallte ungeschickt gegen die Flanke des großen Drachen, vom Schwung seiner eigenen Bewegung nach vorne gerissen, und der Drache wiederum reagierte so, wie Drachen es im allgemeinen zu tun pflegten, wenn sie sich angegriffen fühlten: sein Schwanz zuckte, traf den winzigen Gegner in einer fast beiläufigen Bewegung und zerschmetterte ihn.