Er bedankte sich bei Anschi, stand auf und ging mit langsamen Schritten zu den Quorrl hinüber. Obwohl jetzt klar war, daß die Quorrl von den jungen Errish nichts mehr zu befürchten hatten, lagerten sie immer noch in einer Art Verteidigungsstellung: einem dicht geschlossenen Kreis, in dessen Mitte sich die Verwundeten befanden und den keine Errish betreten durfte; die Quorrl, deren Wunden versorgt werden mußten, wurden von ihren Kameraden zu den Errish hin - und anschließend wieder zurückgetragen. Nicht einer von Titchs Quorrl hatte seine Waffen aus der Hand gelegt, und ihr improvisierter Lagerplatz befand sich ganz bestimmt nicht durch Zufall in unmittelbarer Nähe des Felsengewirrs, in dem sie während des Kampfes Deckung gefunden hatten. Skar registrierte all dies mit großer Besorgnis. Er konnte die Spannung, die in der Luft lag, beinahe fassen. Normale Menschen und Quorrl, das war schwierig genug. Errish und Quorrl, das war wie Feuer und Wasser. Er hatte das Gefühl, auf einem gewaltigen Pulverfaß zu sitzen, dessen Zündschnur er brennen hören, aber nicht sehen konnte.
Er entdeckte Titch inmitten seiner Männer und wollte zu ihm gehen, aber einer der Quorrl vertrat ihm den Weg. Skar war sicher, daß der Krieger ihn erkannte; schließlich waren sie zwei Wochen zusammen geritten, und auch wenn Skar nicht die Namen und Gesichter aller Quorrl kannte, so bestand doch kein Zweifel, daß diese ihn kennen mußten. Trotzdem gab der Quorrl den Weg erst frei, als Titch eine entsprechende Bewegung machte.
Titch empfing ihn unfreundlich, fast aggressiv. »Was willst du?«
»Mit dir reden«, antwortete Skar.
»Reden? Worüber?« Der Quorrl machte eine zornige Bewegung mit der gesunden Hand.
»Über das, was geschehen ist«, antwortete Skar. Es fiel ihm schwer, ruhig zu bleiben. Titch hatte allen Grund, zornig zu sein, und auf eine schwer zu begründende Art fühlte sich Skar mitschuldig an dem, was geschehen war. Trotzdem ärgerte ihn Titchs herausfordernde Art. »Ob es Konsequenzen hat, und wenn ja, welche.«
»Konsequenzen?« Titch legte den Kopf schräg und starrte Skar aus seinen kalten Schlangenaugen nachdenklich an. »Ja, die hat es. Wir werden jetzt ein wenig schneller in den Norden kommen. Die Pferde müssen neun Reiter weniger tragen. Vielleicht auch zehn oder elf.«
Skar schluckte die scharfe Antwort, die ihm auf der Zunge lag, herunter. »Ich war in Elay, Titch«, sagte er überflüssigerweise. »Die Stadt ist zerstört.«
»Wie praktisch«, fauchte Titch. »Das erspart mir die Mühe, es selbst zu tun.«
»All ihre Bewohner sind tot.«
»Alle nicht«, grollte Titch. »Aber ich wollte, es wäre so.«
»Titch, bitte«, sagte Skar. »Dein Selbstmitleid bringt uns nicht weiter.«
»Selbstmitleid?« Der Quorrl lachte böse. »Was für ein praktisches Wort. Wir Quorrl kennen es nicht, aber ich weiß, was es bedeutet. Es ermöglicht euch, alles abzutun, was euch unbequem erscheint, nicht wahr?«
Skar überging auch diese Herausforderung. Er spürte ganz genau, daß Titch ihn reizen wollte, und es gelang ihm auch - Skar kochte innerlich bereits vor Zorn. Aber er hatte sich gut genug in der Gewalt, sich nicht provozieren zu lassen.
»Der Angriff auf euch war ein Irrtum«, sagte er. »Ein Fehler.«
»So, ein Fehler?« unterbrach ihn Titch höhnisch. »Na, dann bin ich ja beruhigt, wenn es nur ein Fehler war.«
»Ja, es war ein Fehler«, antwortete Skar, nicht mehr ganz so ruhig, wie er wollte. »Ein unverzeihlicher Fehler, wenn dir diese Formulierung lieber ist. Aber er ist nun einmal geschehen, und du kannst ihn mir genauso anlasten wie diesen Errish. Oder dir selbst.«
»So?« fragte Titch. »Was habe ich falsch gemacht? Ist es nur der Umstand, daß ich überhaupt geboren worden bin, oder hätte ich -«
»Das reicht«, sagte eine scharfe Stimme hinter Skar. Titch sah auf und preßte wütend die Lippen aufeinander, und Skar fuhr überrascht und zugleich erschrocken zusammen, als er sich umdrehte und Anschi erkannte, die in Kiinas Begleitung herangekommen war. Ihr Blick flammte vor Zorn, als sie abwechselnd Skar und den Quorrl ansah.
»Du bist der Anführer der Quorrl?«
Titch schwieg. Anschi starrte Skar an, begriff, daß sie auch von ihm keine Antwort bekommen würde und kam noch einen Schritt näher. Hinter ihr und Kiina schloß sich der Ring aus gepanzerten schuppigen Leibern wieder, der sich geöffnet hatte, um die beiden jungen Frauen hindurchzulassen, und Skar fragte sich erst jetzt und mit einiger Verspätung, wieso die Quorrl sie anstandslos hatten passieren lassen, nachdem man selbst ihm den Zutritt verwehrt hatte. Plötzlich hatte er Angst. Er wußte nicht mehr, ob der Ausdruck auf den schwer zu deutenden Reptiliengesichtern der Quorrl nur Mißtrauen oder mehr war.
»Ich bin gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen«, fuhr Anschi fort, als Titch auch nach einer Weile keine Anstalten machte, zu reden, sondern sie nur weiter anstarrte. »Ich wollte dich um Verzeihung bitten, Quorrl. Aber du bist ja viel zu sehr damit beschäftigt, dich zu streiten und dir selbst leid zu tun.« Titch starrte sie für die Dauer von drei, vier Atemzügen weiter ausdruckslos an, machte einen schwerfälligen Schritt auf sie zu und streckte die Hand aus. Seine Pranke war größer als Anschis Kopf, und Skar sah, wie die junge Errish innerlich zusammenfuhr, als Titchs goldgepanzerte Faust sich ihrem Gesicht näherte. Aber sie hatte sich erstaunlich gut in der Gewalt und rührte keinen Muskel, und nach einer Weile senkte Titch die Faust wieder und sah zu seinen Kriegern hinüber. Wahrscheinlich bemerkten es weder Anschi noch Kiina, aber Skar kannte den Quorrl mittlerweile zu gut, als daß ihm der lautlose Befehl entgangen wäre, den er seinen Männern gab. Der Wall aus Leibern, der sich hinter Kiina und der jungen Errish gebildet hatte, zog sich ein kleines Stück weit zurück. Skar atmete innerlich auf.
»Wie ist dein Name?« fragte Titch. »Du bist eine Errish? Führst du sie?«
»Welche Frage soll ich zuerst beantworten?« gab Anschi zurück. Skar warf ihr einen raschen, warnenden Blick zu, und Anschi fuhr hastig fort: »Ich bin die Tochter einer Errish. Mein Name ist Anschi, und ich führe diese Patrouille, ja.«
»Du bist... noch sehr jung«, sagte Titch nachdenklich.
»Selbst für einen Menschen.«
Skars Blick wurde fast beschwörend, und Anschi verstand die Warnung, die darin lag. »Wir fragen nicht, wie alt jemand ist«, antwortete sie vorsichtig. »Sondern was er kann.«
»Ihr hättet uns alle getötet, wäre Skar nicht gekommen«, fuhr Titch fast nachdenklich fort. Anschi schwieg.
Skar blickte beunruhigt zu dem gigantischen Quorrl hoch.
Was hatte Titch vor? Er hatte den Quorrl nicht als einen Mann kennengelernt, der Konversation machte - wahrscheinlich wußte Titch nicht einmal, was dieses Wort bedeutete. Wenn er redete, dann nur, wenn es nötig war.
»Hättet ihr es getan?« beharrte Titch, als Anschi nicht antwortete.
»Ja«, sagte die Errish schließlich. »Das hätten wir. Wir hätten es zumindest versucht.«
»Und es wäre euch gelungen«, sagte Titch. Plötzlich lachte er, ein tiefer, grollender Laut, der Anschi abermals erschrocken zusammenfahren ließ. Es gab nur wenige Menschen, die einen Quorrl jemals hatten lachen hören.