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Trotzdem - wenn schon nicht ihn, dann würde der Anblick des Scanner vielleicht wenigstens Kiina beruhigen. Er hätte allein gehen sollen. Skar war sich darüber im klaren, daß es ein Fehler gewesen war, Kiina mit in die Stadt zu nehmen. Er hatte geahnt, was er finden würde.

Skar drehte das Gesicht aus dem Wind und hob die Hand über die Augen, um sie vor den nadelspitzen Regentropfen zu schützen, die der Wind vom Meer herantrug. Zwei Meilen entfernt, am Fuße des Felsabbruches, der die Steilküste an dieser Stelle unterbrach wie ein Axthieb, erkannte er eine schemenhafte Gestalt. Skar blieb stehen, hob die Arme über den Kopf und winkte; zweimal, dreimal, viermal, bis sich das goldene Funkeln am Fuße der Felstrümmer bewegte und er sicher war, daß Titch sein Winken bemerkt hatte und wußte, daß - wenigstens im Moment - alles in Ordnung war.

Alles in Ordnung... Skar wiederholte die Worte ein paarmal in Gedanken, ohne ihnen etwas von ihrem spöttischen Beiklang nehmen zu können. Nichts war in Ordnung; weder mit ihm oder Kiina oder Elay oder ganz Enwor. Er dachte an sein letztes Gespräch mit Del zurück. Alles zerbricht, hatte Del gesagt, in einem anderen Zusammenhang und ohne zu ahnen, worauf sie auf ihrem Weg zurück in den Norden stoßen würden. Er hatte nur zu recht gehabt.

Widerstrebend wandte Skar sich um, ging zum Tor zurück und blieb dann noch einmal stehen, um sich herumzudrehen. Er fürchtete sich fast davor, Titch nicht mehr zu sehen. Während der letzten beiden Monate hatte er sich so sehr an die Gegenwart des Quorrl gewöhnt, daß er ihm fast zum Freund geworden war, und jetzt, als sie sich getrennt hatten, spürte Skar plötzlich, wieviel Schutz und Sicherheit die Nähe dieses schweigsamen Giganten ausstrahlte.

Er verscheuchte den Gedanken und versuchte noch einmal, die grauen Schleier mit Blicken zu durchdringen. Der Regen machte es schwer, Einzelheiten zu erkennen, aber das Blitzen von Titchs Rüstung war nicht mehr zu erkennen; wie sie es vereinbart hatten, war er zu seinen Leuten zurückgegangen, die im Schutze der Felsen lagerten, eine Meile südlich von Elay und weit genug vom Bannkreis der Stadt entfernt, niemanden zu einer Unbesonnenheit zu verleiten - wenn auch für die Quorrl sicherlich noch immer viel zu nahe. Die Quorrl fürchteten die Errish fast ebensosehr, wie diese die Quorrl haßten. Kein Quorrl hatte jemals Elay betreten, und kein Quorrl würde je - Skar dachte den Gedanken nicht zu Ende, als er begriff, wie lächerlich er war. Es gab in den Mauern dieser Stadt nichts mehr, was die Quorrl fürchten mußten. Er dachte immer noch in Begriffen einer Welt, die vor einem Menschenalter untergegangen war.

Schneller als nötig trat er abermals durch das kleine Tor und ging wieder zu Kiina. Er fand sie an der gleichen Stelle, an der er sie zurückgelassen hatte, in der gleichen Haltung, wie eine Puppe, in einem Augenblick grenzenlosen Entsetzens erstarrt. Der Regen peitschte ihr Gesicht und ihr Haar, aber sie schien es nicht einmal zu spüren. Skar war nicht sicher, ob er wirklich nachempfinden konnte, was sie fühlte.

»Bist du sicher, daß du es wirklich willst?« fragte er.

Im ersten Moment reagierte sie nicht, und Skar glaubte schon, daß sie seine Worte gar nicht gehört hatte. Aber dann wandte sie mit einem Ruck den Kopf, starrte ihn eine Sekunde lang aus großen, vor Schmerz verdunkelten Augen an und nickte.

»Dann komm«, sagte Skar. »Ich möchte nicht länger hierbleiben als unbedingt nötig.« Er machte eine auffordernde Handbewegung, aber Kiina rührte sich nicht.

»Sie sind alle tot, Skar«, flüsterte sie. »Sie... sie haben sie alle umgebracht.«

»Das werden wir herausfinden«, antwortete Skar. Er legte den Kopf in den Nacken und blinzelte zur Mauerkrone hinauf. »Es sieht nicht so aus, als wäre die Stadt angegriffen worden.«

»Aber jemand hat sie alle getötet!« protestierte Kiina, mit einer Stimme, deren Klang Skar warnte: das Mädchen stand kurz davor, hysterisch zu werden. Aber wenn er ganz ehrlich war, dann ging es auch ihm nicht sehr viel anders.

Kiinas Augen wurden groß, als sie den Scanner in Skars Hand sah. »Du... du glaubst, sie sind noch hier?«

Seltsam - es war ihm fast peinlich, daß Kiina ihn auf die Waffe ansprach. »Nein«, antwortete er grob. »Aber irgend etwas ist hier geschehen, und -« Er sprach nicht weiter, sondern sah sich einen Moment lang schweigend um, zuckte dann mit den Schultern und hielt Kiina den Scanner hin. »Nimm du ihn. Du kannst sowieso besser damit umgehen«, fügte er hinzu, als Kiina zögerte, nach der Waffe zu greifen. Anstelle des Scanners zog er das Schwert aus dem Gürtel, als sie weitergingen.

Erneut fiel Skar der Staub auf, der wie ein graues Leichentuch über der Stadt lag. Wo er vom Regen getroffen worden war, war er zu einer schwarzen, schmierigen Masse geworden, aber hier und da entdeckte er kleine, trocken gebliebene Reste in toten Winkeln, unter Fenstern und Türen oder im Windschatten der Toten. Nachdenklich blieb er stehen, ließ sich in die Hocke sinken und berührte eines der kleinen Staubhäufchen mit der Schwertspitze. Es fiel auseinander und wurde zu schwarzem Morast, als es die Feuchtigkeit aufsaugte, die sich auf der Klinge gesammelt hatte. »Was hast du?« fragte Kiina, die ebenfalls stehengeblieben war. »Glaubst du, daß dieser Staub irgend etwas damit zu tun hat?« Sie ließ sich neben ihm in die Knie sinken und wollte die Hand ausstrecken, aber Skar fiel ihr mit einer raschen Bewegung in den Arm.

»Nicht«, sagte er. »Faß es nicht an. Rühr überhaupt nichts an, bevor wir nicht genau wissen, was hier geschehen ist.«

Kiina blickte ihn fragend an, schwieg aber. Skar richtete sich wieder auf, wischte die Klinge seines Tschekal sorgsam an der Kleidung eines Toten ab und schob die Waffe wieder in den Gürtel zurück. Aufmerksam sah er sich um. Jetzt, als er einmal darauf aufmerksam geworden war, fiel ihm auf, wie viel dieses grauen Staubes es in der Stadt gab. Zusammengebacken zu schwarzem Morast bedeckte er buchstäblich jeden Quadratfuß des Bodens, besudelte die Wände, tropfte mit dem Regen vermischt wie schwarzes Blut von den Dächern und bedeckte selbst die Trümmerhaufen, die die Straßen blockierten. Bevor es zu regnen begonnen hatte, überlegte Skar, mußte er die gesamte Stadt bedeckt haben.

»Ob er... giftig ist?« Kiina schien seine Gedanken gelesen zu haben.

Skar überlegte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf. »Kaum«, sagte er. »Dann wären wir schon tot.« Er deutete auf seine Stiefel, die bis zu den Knöcheln hinauf mit schwarzen Spritzern übersät waren.

»Vielleicht wirkt er nicht sofort tödlich.«

Skar zuckte abermals mit den Schultern und ging weiter. Vielleicht hatte Kiina recht, vielleicht auch nicht - sie würden es früh genug am eigenen Leibe spüren. Aber Skar glaubte nicht, daß die Erklärung so einfach war. Was immer die Bewohner Elays umgebracht hatte, hatte in Sekundenschnelle zugeschlagen. Die Stellung der Toten auf dem großen Platz war die von Menschen, die verzweifelt versucht hatten, die Stadt zu verlassen. Nicht einem von ihnen war es gelungen.

»Wohin?« fragte Kiina.

Skar deutete nach Osten, zur Stadtmitte hin. »Zum Palast deiner... der Margoi«, verbesserte er sich hastig. »Wenn es Überlebende gibt, dann dort.«

Die Spuren der Kämpfe wurden deutlicher, je tiefer sie in die Stadt eindrangen. Viele Häuser waren ausgebrannt und zum Teil zusammengebrochen, und manche Straßen waren so mit Schutt und Trümmern übersät, daß sie große Umwege in Kauf nehmen mußten, denn die Trümmerberge zu überklettern, wagte Skar nicht. Ein rostiger Nagel, den sie sich eintraten oder ein verzerrter Fuß konnten das Todesurteil bedeuten, falls sie gezwungen waren, schnell zu flüchten.