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Die Flugechsen kreisten einmal über dem Lager, um ihre Geschwindigkeit herabzusetzen, so daß Skar ausreichend Gelegenheit bekam, Anschis Hauptquartier aus der Luft heraus zu betrachten. Viel gab es allerdings nicht zu sehen, trotz der zahllosen, sorgsam gegen den Regen abgeschirmten Feuer, die das von Felsen eingefaßte Rechteck erhellten. Das Lager befand sich an der Küste, mehrere hundert Fuß über dem Meer, aber das hatte Skar erwartet, schon der Daktylen wegen. Es bestand nur aus ein paar Hütten, lieblos und offensichtlich in großer Hast aus Baumstämmen und Laub zusammengezimmert, ein Pferch voller Schatten, die Pferde sein mochten, und ein Palisadenzaun, hinter dem sich mehrere Dutzend Tyrr drängten. Besonders groß konnte Anschis Kinder-Armee nicht sein. Aus irgendeinem Grund beruhigte ihn dieser Gedanke, obwohl es doch eigentlich umgekehrt sein sollte.

Dann setzte die Daktyle endgültig zur Landung an, und Skar brauchte all seine Kraft und Konzentration, um sich im Sattel zu halten. Der Drachenvogel breitete die Schwingen aus, machte ein paar ungeschickte, hoppelnde Schritte und kam ungefähr so elegant wie ein flügellahmer Albatros zum Stehen. Die Erschütterung ließ Skar im Sattel nach vorne stürzen. Instinktiv klammerte er sich fest, aber seine Hände hatten plötzlich keine Kraft mehr. Er kippte zur Seite, krallte sich in die lederne Schlinge der Daktyle und kam ungeschickt auf dem Boden auf. Ihm war noch immer schwindelig. Und die Übelkeit wurde immer schlimmer. Was war nur mit ihm los?

Als er sich aufrichtete und einen Schritt machte, taumelte er. Das Lager begann sich vor ihm zu drehen, kreiste, kippte zur Seite und verschwamm. Durch eine dichte Wand aus schwarzem treibendem Nebel sah er, wie Kiinas Daktyle wenige Schritte neben ihm den Boden berührte, und er registrierte auch noch die sonderbar falsche, schlaffe Haltung, in der das Mädchen im Sattel lag, aber seine Gedanken waren nicht mehr klar genug, dieser Beobachtung die Bedeutung zuzumessen, die sie hatten. Er brauchte all seine Kraft, um noch auf den Beinen zu bleiben. Jemand sagte etwas. Skar verstand die Worte nicht, aber er erkannte zumindest die Stimme. Mühsam, taumelnd, drehte er sich herum und blickte in Anschis Gesicht. Sie wiederholte ihre Worte, aber er verstand sie auch jetzt nicht. Ihm wurde übel. Entsetzlich übel. Dieser verdammte Vogel! dachte er. Wenn er das nächste Mal eine Daktyle sah, dann würde er sie allerhöchstens braten, aber ganz bestimmt nicht mehr auf ihr reiten!

Er begriff noch, daß etwas an diesem Gedanken vollkommen falsch war, aber nicht mehr was, und ihm blieb keine Zeit mehr, sich über den plötzlich erschrockenen Ausdruck auf Anschis Zügen zu wundern.

Skar verlor das Bewußtsein und brach zusammen.

5.

Er träumte, und - ungewöhnlich genug - er war sich dessen die ganze Zeit über bewußt. Es war ein wirrer, von düsteren Bereichen scheinbar grundloser Furcht durchzogener Fiebertraum, und irgendwie war er sonderbar zweigeteilt: es war, als wäre ein Teil seines Bewußtseins noch immer wach, denn er registrierte sehr wohl, daß er hochgehoben und in eine der Hütten getragen wurde, daß man ihn auszog und auf ein Bett legte und eine angewärmte Decke über ihn breitete, und daß sich kurz darauf kundige Hände an seinem Körper zu schaffen machten. Er hörte Stimmen, die er nur insoweit verstand, daß sie über ihn sprachen und sehr besorgt klangen.

Der andere, weit größere Teil seines Denkens war hilflos in den Klauen des Alptraumes gefangen. Er erlebte alles noch einmal, aber nicht in der richtigen Reihenfolge, sondern als Durcheinander scheinbar zusammenhangloser, auf schreckliche Weise ins Düstere verzerrter Bilder, die in seinem Kopf durcheinanderstürzten. Die Schlacht gegen die Quorrl, den Angriff des Wächters und sein eigener, selbstmörderischer Kampf mit der Sternenbestie, der mit jener schrecklichen Erkenntnis endete, die er selbst jetzt noch aus seinen Gedanken verbannt hatte, um nicht einfach den Verstand zu verlieren. Sein Abschied von Del, der schmerzhaft und erleichternd zugleich gewesen war, und der zweiwöchige Ritt durch ein Land, das vom Krieg verheert wurde, der Weg nach Norden, der sie zuerst einmal in den Westen geführt hatte, mehr als tausend Meilen von ihrem eigentlichen Kurs entfernt. Sein geradezu lächerlicher Entschluß, allein, nur begleitet von einem Kind und fünfzig Quorrl, die zu keinem anderen Zweck in ihre Heimat zurückkehrten, als dort zu sterben, einer Gefahr trotzen zu wollen, die bereits den größten Teil einer ganzen Welt verschlungen hatte. Aber zu all diesen bekannten Bildern und Gesichtern und Stimmen gesellte sich in seinem Traum noch etwas Neues. Zorn. Ein dumpfer, wühlender, unbezwingbarer Zorn, der ihm zugleich auf entsetzliche Weise bekannt wie fremd war. Bekannt, weil es jene Art von mörderischer Wut war, die sich weit jenseits des bewußten Denkens abspielte und alle klare Überlegung ausschaltete, die ihn in der Vergangenheit manchmal zum Ungeheuer hatte werden lassen, das weder Freund noch Feind kannte, das unbesiegbar, aber auch gnadenlos war, und vor dem er sich selbst mehr fürchtete als vor allen Gefahren der Welt. Und fremd, weil sie grundlos war. Es gab keinen Auslöser, nichts, was geschehen war, um das entsetzliche Erbe der Sternengeborenen zu wecken, das tief in seiner Seele eingekerkert war. Er spürte nur Zorn, einen grundlosen, fast unbezwingbaren Zorn, den Willen, zu zerstören, zu kämpfen, zu töten, töten, töten...

Dann geschah etwas. Die Stimmen und Berührungen der Errish verblaßten, und gleichzeitig wurde sein Traum wirklich zur Fieberphantasie, die sinnund handlungslos war und nur noch aus Furcht und verrückten Gedankentrümmer bestand.

Er schlief ein.

6.

Es war absurd, aber das erste, was ihm bewußt wurde, war, daß es zu regnen aufgehört hatte. Das Prasseln und Plätschern des Regens, das ihnen in den letzten beiden Tagen und Nächten zu einem so beständigen Begleiter geworden war, daß er es schon gar nicht mehr wahrgenommen hatte, war verstummt, und in der Luft lag ein warmer, noch immer ein wenig feuchter Hauch. Sonnenlicht kitzelte sein Gesicht, und Skar registrierte mit einem Gefühl wohliger Behaglichkeit, daß er zum ersten Mal seit Tagen wieder am ganzen Leib trocken war; ein Luxus, den man wie vieles erst dann richtig zu schätzen wußte, wenn man ihn nicht mehr hatte. Erst dann erwachte er wirklich.

Er lag auf einem Bett in einer kleinen, aber sehr behaglich eingerichteten Hütte, nackt und nur mit einer dünnen Decke aus bunten Stoff flicken zugedeckt, und er spürte, daß er nicht allein war, noch bevor er den Kopf drehte und die Gestalt auf dem Stuhl neben sich bemerkte.

Die Errish war sehr alt - sechzig, vielleicht siebzig Jahre, möglicherweise auch noch sehr viel älter, denn die Ehrwürdigen Frauen vermochten ihr Leben zu verlängern, auch wenn sie es nicht immer taten. Ihr Gesicht war schmal und von Falten durchzogen, das Gesicht eines sehr alten Menschen, das aber kein bißchen gebrechlich wirkte, sondern im Gegenteil trotz seines Alters energisch und sehr bestimmend. Ihre Augen waren klar und fast schon erschreckend wach, und ihre Hände, die das einzige waren, was außer dem Antlitz unter dem groben schwarzen Stoff ihres Mantels sichtbar wurde, waren so dürr und knochig wie Vogelklauen. Trotzdem wirkte sie nicht abstoßend, sondern eher bizarr; gar nicht mehr wie ein Mensch, sondern schon fast wie ein Wesen einer anderen Gattung, als wäre sie nicht einfach älter geworden, sondern hätte sich gleichzeitig verändert. Aber es war nichts Beunruhigendes an dieser Veränderung.