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»Also ist es wahr, was Kiina erzählt hat«, sagte sie. »Die Margoi ist tot.« Sie lächelte müde. »Verzeih, daß ich deine Kleider durchsucht habe. Aber ich mußte mich davon überzeugen, daß es wirklich wahr war. So haben sie am Schluß auch sie getötet.«

»Ich glaube, sie hat es so gewollt«, sagte Skar leise. Plötzlich tat ihm die alte Frau leid. Eine Welle tiefen Mitleids ergriff ihn, ein Gefühl, das um so tiefer und kostbarer war, als er schon gar nicht mehr geglaubt hatte, es noch empfinden zu können. »Sie sprach mit Kiina und mir, ehe sie starb. Sie hatte Schmerzen, und ihr Geist begann sich zu verwirren, glaube ich. Aber ich hatte nicht das Gefühl, daß sie Angst vor dem Tod hatte.«

»Warum auch?« sagte Yul. Sie steckte den Ring wieder ein. »Sie war eine Königin ohne Volk. Würdest du leben wollen, gäbe es außer dir keine Satai mehr?«

Skar wich ihrem Blick aus. »Ich weiß es nicht«, gestand er nach einer Weile, sehr leise und mehr zu sich selbst gerichtet als an Yul. »Vielleicht gibt es keine anderen Satai mehr.« Er seufzte. »Vielleicht hat es das, was wir Satai zu sein behaupten, niemals wirklich gegeben.«

»Und vielleicht ist die ganze Welt nicht das, was sie zu sein scheint«, versetzte Yul in fast wütendem Tonfall. »Deine wenns und vielleicht! bringen uns nicht weiter, Satai. Enwor brennt, und wenn wir dieses Feuer noch löschen wollen, sollten wir keine Zeit mit philosophischen Betrachtungen verschwenden.«

Ihre Worte ernüchterten Skar, aber er war gleichzeitig fast dankbar dafür. Nach dem, was er am vergangenen Abend selbst zu Titch gesagt hatte, sollte er sich eigentlich ein wenig besser in der Gewalt haben, dachte er. Er ging zur Tür, blickte auf den sonnenbeschienenen Lagerplatz und die nahe See hinaus und wandte sich wieder zu Yul um. »Du hast recht«, sagte er. »Verzeih.«

»Schon gut.« Yul wiederholte ihre Handbewegung, mit der sie einen Themenwechsel zu begleiten pflegte. »Kiina hat mir erzählt, was in der Burg des Zauberpriesters geschehen ist. Aber vieles erscheint mir... unglaublich. Und an manches konnte sie sich nicht mehr erinnern. Sie war sehr müde und hatte Fieber. Erzähl mir, was passiert ist.«

Skar sah zur Sonne hinauf. Es war schon beinahe Mittag; vier oder fünf Stunden über die Frist, die Titch ihm gegeben hatte, und die Zeit brannte ihnen allen auf den Nägeln. Wenn seine und Dels Schätzungen richtig waren und ihnen das Wetter keinen Strich durch die Rechnung machte, dann mußte das Heer jetzt schon längst die Berge überschritten haben und sich auf halbem Wege nach Ikne befinden. Skar wußte einfach, daß die große Konfrontation zwischen den Satai und Veden auf der einen und der Armee der Zauberpriester auf der anderen Seite dort stattfinden würde. Ebenso, wie er wußte, daß er sie verhindern mußte. Er hatte Drasks Worte nicht vergessen: Gebt acht, daß ihr euch nicht totsiegt, Satai.

Er zögerte, Yuls Bitte zu entsprechen. Er war hierhergekommen, um Fragen zu stellen, nicht zu beantworten. Aber dann wandte er sich um, ging zum Bett zurück - mit Ausnahme des Stuhles, auf dem die Errish saß, war es das einzige Möbelstück im Raum - und begann mit ruhiger, fast emotionsloser Stimme zu erzählen.

Er sprach schnell, aber er ließ nichts aus, und als er einmal zu reden begonnen hatte, hätte er nicht einmal aufhören können, wenn er es gewollt hätte. Er begann mit seinem Abschied von Gowenna vor zwanzig Jahren und seiner Wanderung zum unterirdischen Tempel der Gesichtslosen Prediger, berichtete von seinem mehr als zwanzig Jahre dauernden, magischen Schlaf und dem Schock, den es ihm bereitet hatte, als er erwachte und erfahren mußte, auf welch entsetzliche Weise sich die Welt verändert hatte, in dem Menschenalter, das er schlafend verbrachte. Er erzählte von seiner Wanderung in den Osten und dem Kampf mit den Quorrl, und von der Falle, die ihm Drask gestellt hatte, einer Falle, die beinahe das Schicksal Enwors und ganz bestimmt sein Schicksal besiegelt hätte, denn sie hatte ihn dazu gebracht, seinen eigenen Sohn zu töten. Er berichtete von dem Seelentausch, den Bradburn vorgenommen hatte, dem Sai-Tan, der ihm das böse Erbe seines Sohnes zurückgab, und von ihrem Angriff auf Drasks Burg und davon, daß auch sie sich am Ende nur als eine weitere, teuflische Falle herausstellte, die um ein Haar zum Grab für sechzigtausend Menschen und Quorrl geworden wäre. Yul hörte die ganze Zeit über schweigend und mit ausdruckslosem Gesicht zu, aber als er vom Angriff des Netzes erzählte, huschte ein rascher, schmerzhafter Ausdruck über ihre Züge, denn die Bilder, die er nur mit Worten heraufbeschwören konnte, hatte sie selbst erlebt, in Elay. Aber sie unterbrach ihn auch jetzt nicht, sondern starrte aus blicklosen Augen an ihm vorbei und wartete, bis er mit seinem Bericht zu Ende gekommen war; dem gestrigen Abend, an dem er mit letzter Kraft dieses Lager erreicht und bewußtlos zusammengebrochen war. »Den Rest kennst du«, schloß er. »Ich nehme an, du hast die ganze Nacht an meinem Bett verbracht.«

Yul nickte. Sie sah ihn an, aber ihr Blick war leer. Sie wirkte wie ein Mensch, der aus einem langen, von bösen Träumen geplagten Schlaf erwachte und sich nicht sofort in der Wirklichkeit zurecht fand; vielleicht, weil auch die Wirklichkeit zum Alptraum geworden war.

»Dann warst du es, der den Wächter getötet hat«, sagte sie. Skar widersprach nicht. Es wäre sinnlos gewesen, nach allem, was er Yul erzählt hatte, und zumindest geahnt hatte er es schon, während er mit der sterbenden Margoi in der Höhle der Drachen sprach. Das Wesen in Elay und das, das Drasks Burg angegriffen hatte, waren zur gleichen Zeit gestorben. Was er getötet hatte, das war nicht die Sternenbestie in Drasks Turmkammer gewesen. Sie wie ihre gräßliche Schwester in Elay waren nichts als Ungeheuer gewesen, Trugbilder, Trugbilder aus Fleisch und Blut zwar, aber doch nichts als Bauern auf einem gigantischen Schachbrett, in genau dem Moment erschaffen, in dem sie gebraucht wurden, und im Grunde unwichtig. Was er vernichtet hatte, das war die Macht gewesen, die hinter ihnen stand. Skar begriff plötzlich - und erst jetzt! -, daß er dem unsichtbaren Feind, gegen den sie kämpften, ohne ihn überhaupt zu kennen, vielleicht den ersten wirklich schmerzenden Schlag in diesem Krieg beigebracht hatte, aber er dachte auch diesen Gedanken ohne jeden Triumph.

»Wie?« fragte Yul.

Skar tat so, als verstünde er nicht. »Was... meinst du?«

»Wie hast du es getan? Du hast einen Geist besiegt, der mächtig genug war, Elay und ein Dutzend anderer Städte zu unterwerfen und euer gesamtes Heer zu bedrohen. Wie?«

»Ich... weiß es nicht«, log Skar. Er zuckte mit den Achseln und wich Yuls Blick aus. »Ich habe es einfach getan. Etwas in mir. Vielleicht die Kraft, vor der sich Drask und die Sternengeborenen so sehr fürchten. Ich weiß nicht, wie«, beteuerte er noch einmal. Yul starrte ihn an, und Skar spürte ganz genau, daß sie ihm nicht glaubte. Er wußte es. Oh, ja, dachte er bitter, er wußte es. Nicht das wie, aber das wieso. Den Grund, aus dem es ihm möglich gewesen war, eine Kreatur von der Macht eines finsteren Gottes zu vernichten, nur mit der puren Kraft seines Willens. Er wußte es, und er hatte dieses Wissen sogar ausgesprochen, als es aus der Welt des Wahnsinns zurückgekehrt und wieder zum Menschen geworden war. Hinterher hatte er sich darauf hinausgeredet, daß er verwirrt gewesen war und nicht wußte, was er sagte, und Del und die anderen hatten ihm nur zu gerne geglaubt. Aber er wußte, daß es nicht so war.