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»Sie ist sehr aufbrausend«, sagte sie, »aber auch sehr klug. Was für eine Errish wäre sie geworden.« Sie seufzte, schüttelte noch einmal den Kopf und stützte sich wieder schwer auf ihren Stock. »Komm, Satai«, sagte sie mit einer Kopfbewegung auf eine der Hütten am Rande des Lagerplatzes. »Wir haben viel zu besprechen. Und jetzt darfst du mir die Hand reichen. Ich bin müde.« Kiina schlief, als er die Hütte betrat. Sie war etwas geräumiger als die, in der er sich nach seinem Erwachen gefunden hatte, aber ebenso spartanisch eingerichtet; selbst für die Begriffe einer Errish. Skar führte Yul zu einem Stuhl, half ihr, sich auf das unbequeme Möbelstück zu setzen und trat dann an Kiinas Bett. Er erschrak ein wenig, als er ihr Gesicht sah: Es war so bleich, daß es schon fast grau wirkte, und unter ihren Augen waren dunkle Ringe. Er hätte nicht einmal die Hand auf ihre Stirn zu legen brauchen, um zu erkennen, daß sie Fieber hatte, aber er tat es trotzdem; vielleicht nur, um sie zu berühren. Obwohl sie den allergrößten Teil ihrer gemeinsamen Zeit damit verbrachten, sich zu streiten, fühlte er eine tiefe, fast väterliche Verbundenheit mit dem Mädchen. Sie war nicht seine Tochter - Skar hatte den Gedanken eine Weile ernsthaft erwogen, ihn dann aber als das erkannt, was er war: ein Wunsch, mehr nicht -, aber sie hätte es sein können, und sie war Gowennas Tochter. Etwas wie ein Andenken an eine Zeit, die unwiderruflich vorüber war. Und er war es Gowenna einfach schuldig, sie zu beschützen.

»Du liebst das Mädchen«, sagte Yul, als er sich nach ein paar Augenblicken aufrichtete.

»Ja«, sagte Skar, zu seiner eigenen Überraschung fast sofort und ohne irgendeine Scheu oder gar Verlegenheit. »Aber nicht so, wie du glaubst. Wie geht es ihr?« Erst, als er die Hütte betreten und Kiinas bleiches Gesicht gesehen hatte, hatte er sich wieder daran erinnert, daß auch sie das Lager der Errish mehr bewußtlos als wach erreicht hatte.

»Sie ist sehr schwach«, antwortete Yul nach einem Zögern und in einer Art, die Skar besorgt aufhorchen ließ. Fragend sah er die greise Errish an. Yul wich seinem Blick aus, und wieder hatte er das Gefühl, daß es da etwas gab, was sie ihm verschwieg.

»Aber das ist nicht alles«, vermutete er.

Yul zögerte erneut, und Skar erinnerte sich an die sonderbare Bemerkung, die sie nach seinem eigenen Erwachen gemacht hatte: Es war nicht der Ritt.

»Nein«, gestand sie nach einer Weile. »Das ist nicht alles. Sie ist... krank. Ihr beide seid krank. Glaube ich.«

»Du glaubst?« Skar sah Yul scharf an. »Was soll das heißen - du glaubst? Du bist eine Errish, oder nicht?«

»Ich kann nicht zaubern«, antwortete Yul beinahe aggressiv. »Ich kann Schmerzen lindern und Krankheiten heilen - manchmal. Ich weiß nicht, was ihr fehlt. Vielleicht ist sie einfach nur erschöpft.«

»Du lügst«, behauptete Skar. Er trat einen Schritt auf Yul zu und ballte die Fäuste, ehe ihm klar wurde, wie lächerlich diese Geste einer Frau wie Yul gegenüber war. Etwas leiser, aber noch immer erregt und mit nur mühsam beherrschter Stimme fuhr er fort: »Du weißt ganz genau, was ihr fehlt. Es ist... dasselbe, was die Errish in Elay getötet hat. Der Staub.«

Yul nickte. Ihr Blick ging an Skar vorbei ins Leere. »Der Staub, ja. Vielleicht. Ich... weiß es einfach nicht.« Sie zwang sich, Skar anzusehen, aber mit einem Male wirkte sie hilflos, als wäre sie es, die ihn um eine Erklärung bat. »Als es... geschah, Skar, da sandte ich eines der Mädchen in die Stadt. Es kam zurück, aber es starb binnen weniger Stunden. Ich weiß nicht, woran. Ich habe alles in meiner Macht Stehende versucht, aber ich habe versagt. Es war, als... als fräße sie etwas von innen heraus auf.«

Vor Skars innerem Auge entstand das Bild des zerfallenen Gesichtes der Margoi, ein ausgezehrter Totenschädel, in dem das Leben ganz allmählich erlosch. Er schauderte. Der Gedanke, Kiina auf die gleiche Weise sterben zu sehen, machte ihn fast wahnsinnig.

»Und du kannst nichts für sie tun?« fragte er.

»Für euch, Skar«, verbesserte ihn Yul. »Auch du warst in der Stadt.«

Und er hatte eine ganze Menge mehr von dem Zeug eingeatmet als Kiina, dachte er. Aber dieser Gedanke schreckte ihn überhaupt nicht. Wie immer war die Vorstellung des eigenen Todes für ihn so abstrakt, daß sie ihn kaum Furcht einzujagen vermochte.

»Es ist lange her«, fuhr Yul fast hastig fort. »Was immer es ist, das diesen Staub so gefährlich macht, es scheint mit der Zeit seine Wirkung zu verlieren. Die Bewohner Elays starben binnen Sekunden. Das Mädchen, das am nächsten Tag in die Stadt ging, überlebte eine Stunde.«

»Und die Margoi acht Tage«, sagte Skar bitter. »Danke, Yul - ich habe gesehen, wie sie starb. Ich lege keinen besonderen Wert darauf, so zu leben.«

»Niemand spricht vom Sterben, Satai«, sagte Yul zornig. »Ich sagte, daß Kiina krank ist, nicht, daß sie stirbt.« Sie deutete auf das Bett hinter Skar. »Vielleicht sind ein paar Tage Ruhe alles, was sie braucht. Ihr Zustand bessert sich bereits. Und du«, fügte sie spöttisch hinzu, »bist augenscheinlich schon kräftig genug, dich mit mir zu streiten, statt über Dinge zu reden, die wichtiger wären.«

»Zum Beispiel?«

»Deine Zukunft«, antwortete Yul. »Unsere Zukunft.« Sie machte eine Handbewegung in die Richtung, in der Elay lag. »Du bist hierhergekommen, um Fragen zu stellen. Tu es.«

Skar war irritiert und alarmiert zugleich. Der plötzliche Themenwechsel war nicht allein Yuls sprunghafter Art zuzuschreiben. Sie verschwieg ihm noch immer etwas. »Kannst du sie beantworten?« fragte er.

»Das sage ich dir, wenn du sie gestellt hast«, versetzte Yul spöttisch.

Skar funkelte sie an, aber er beherrschte seinen Zorn auch diesmal noch. Yul war ein geschwätziges altes Weib, das war alles. Er würde mehr - und vor allem schneller - von ihr erfahren, wenn er sie reden ließ, so schwer es ihm auch fiel. Er begann Fragen zu stellen. Und Yul beantwortete sie, so gut sie konnte.

Er träumte auch in dieser Nacht wieder, und es war wie eine getreuliche Wiederholung seines ersten Alptraumes; nicht was seinen Inhalt, wohl aber, was die Art seines Verlaufes anging: Wieder war sein Denken sonderbar zweigeteilt, als rängen hinter seiner Stirn zwei völlig unterschiedliche Wesen um die Vorherrschaft über seine Gedanken. Der eine logische - und schwächere - Teil versuchte zu verarbeiten, was er erlebt und von Yul erfahren hatte, aber das eine war unerfreulich und das andere wenig mehr als nichts, denn die Errish hatte keine seiner Fragen beantworten können. Sie war Elay fern geblieben, solange es sich unter dem Einfluß des Wächters befand, und von den Legenden der Quorrl wußte sie entweder nichts, oder sie wollte nicht darüber reden. Und die Hilfe, die er sich von den Ehrwürdigen Frauen versprochen hatte, konnte sie ihm nicht mehr geben.

Der andere, unlogische - und stärkere - Teil seines Denkens war wieder im klebrigen Gespinst eines Alptraumes gefangen. Er sah sich selbst durch einen schwarzen Sumpf voller klebriger dünner Fäden rennen, die sich wie Schlangen oder lebendig gewordene Spinnweben um seine Füße zu ringeln versuchten, Kiina dabei wie ein hilfloses Kind mit sich zerrend und auf der Flucht vor einer körperlosen, entsetzlichen Gefahr. Aber dann drehte er sich im Laufen herum und sah, daß es gar nicht Gowennas Tochter war, die er mit sich zerrte, sondern eine ausgemergelte Greisin, kahlköpfig und mit einem Gesicht voller Geschwüre und eiternder Wunden, und als er aufschrie und sie loszulassen versuchte, konnte er es nicht, denn seine Hand war an ihrem Arm festgewachsen. Wo seine Finger ihre Haut berührten, begannen auch sie zu verfaulen, und er spürte, wie sich etwas in seine Seele einnistete und damit begann, seine Lebenskraft aufzusaugen wie ein Vampir das Blut seiner Opfer. Aber er nahm nicht nur, er gab auch: Die Leere in Skars Innerem füllte sich mit Zorn, mit mörderischem, - noch - ziellosem Haß, der ihn im Schlaf aufstöhnen und so heftig die Fäuste ballen ließ, daß es weh tat. Töten! wisperte eine Stimme in seinen Gedanken. Vernichten. Zerreißen. Zerstören. Töten. Gleich was und wen.