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Wie in der Nacht zuvor wurde der Traum plötzlich irreal; aus den Schreckensbildern wurden kaum weniger entsetzliche, aber formlose Lichtblitze voller gestaltloser Furcht, aber wie in der Nacht zuvor dauerte es auch jetzt nur Augenblicke, bis er spüren konnte, wie er in einen tiefen, traumlosen, normalen Schlaf hinüberglitt - und erwachte.

Nicht von selbst erwachte, das spürte er genau. Jemand (ein Geräusch?) hatte ihn geweckt. Aber es war still; so leise, daß er das Schlagen seines eigenen Herzens hören konnte, als er den Atem anhielt, um zu lauschen. Schon fast zu still, dachte Skar. Es war spät in der Nacht, aber er befand sich in einem Lager mit siebzig oder achtzig Menschen und Hunderten von Tieren - es mußte einfach Geräusche geben.

Aber es gab keine.

Für einen Moment erwog er ganz ernsthaft die Möglichkeit, noch zu träumen, verwarf diesen Gedanken aber sehr schnell wieder. Lautlos stand er auf, schlüpfte in Hose, Hemd und Stiefel und schlich zur Tür. Sie war geschlossen, aber das Mondlicht ließ sie zu einem Muster aus rechteckigen schmalen Lichtstreifen werden, die sich schräg auf dem Boden fortsetzten und denen er aus einem absurden Impuls heraus sorgsam auswich, als er das Gesicht gegen die dünne Tür aus Bast und Holz drückte und hinausspähte. Der Anblick war absurd: völlig unmöglich und einfach... verrückt. Aber es war so: Trotz der vollkommenen Stille hier drinnen war der Platz zwischen den Hütten voller Menschen. Wenn Yuls Angaben richtig waren, was die Größe ihrer Gruppe anging, so mußten sie alle auf dem Platz zwischen den Hütten versammelt sein. Ein Feuer brannte, dessen Schein aber so abgeschirmt war, daß er Skars Hütte nicht erreichen konnte, und die Errish trugen ihre schwarzen Prachtgewänder; knöchellange Roben, auf denen verschlungene Drachensymbole gestickt waren. Sie standen in kleinen Gruppen da, trotzdem in fast militärischer Präzision ausgerichtet. Manche von ihnen unterhielten sich, lachten, gestikulierten mit den Händen - aber er hörte keinen Laut! Es war, als hätte jemand eine unsichtbare Barriere zwischen ihm und jener Gruppe von Errish errichtet, die jedes noch so kleine Geräusch aufsaugte wie ein trockener Schwamm das Wasser. Skar war plötzlich sicher, daß es kein Geräusch gewesen war, was ihn geweckt hatte, sondern ganz im Gegenteil diese völlige, unnatürliche Stille. Einen Moment lang überlegte er, einfach aus der Hütte zu treten und zu ihnen hinüberzugehen. Aber etwas warnte ihn, es nicht zu tun. Wenn Yul oder eines ihrer Mädchen für diesen schweigenden Zauber verantwortlich waren, so hatten sie ihn gewoben, damit er nicht sah, was sie taten. Aber warum?

Eine Bewegung am Rand seines Gesichtsfeldes erweckte seine Aufmerksamkeit. Er versuchte, durch die schmalen Ritzen in der Tür mehr zu erkennen, aber es ging nicht; er sah nur ein schattenhaftes Huschen, das aber mit dem fast sicheren Wissen von Größe verbunden war. Ein Drache? Aber hatte Yul nicht gesagt, daß sie die Drachen verloren hatten ? Nicht zum ersten Mal hegte Skar den Verdacht, daß die greise Errish ihm nicht in allem die Wahrheit gesagt hatte.

Skar sah sich nachdenklich in der kleinen Hütte um. Es gab keinen zweiten Ausgang, nicht einmal ein Fenster, aber die Wände bestanden nur aus wenigen, stabilen Baumstämmen, zwischen denen Bast und dünne Äste geflochten waren; mit ein wenig Vorsicht mußte es möglich sein, ein Loch in die Rückwand zu brechen, ohne daß die Errish draußen es bemerkten.

Er tat es, und es ging leichter, als er geglaubt hatte. Der unheimliche, lautevernichtende Zauber war hier drinnen nicht wirksam, aber die dünnen Wände setzten seinem Griff kaum Widerstand entgegen und zerbrachen fast lautlos. Stille strömte wie eine unsichtbare erstickende Woge in die Hütte. Sein Herz schlug schneller.

Skar spähte vorsichtig hinaus, sah niemanden und ging noch einmal zu seinem Bett zurück, um Mantel und Schwert zu holen; den einen, weil ihn die schwarze Farbe des Kleidungsstückes vorzüglich tarnen würde, das andere, weil er das bestimmte Gefühl hatte, die Waffe zu brauchen, sollte man sein Verschwinden bemerken. Sein Blick verharrte kurz am silbernen Funkeln des Scanners, den er nachlässig zu seinen Sachen gelegt hatte, aber er verwarf den Gedanken, ihn mitzunehmen, fast augenblicklich. Sooft er oder irgend jemand in seiner Nähe eine dieser Waffen benutzt hatten, war etwas Schreckliches geschehen. Skar war nicht abergläubisch, aber etwas in ihm war fest davon überzeugt, daß diese Waffen Unglück brachten.

Gebückt kroch er durch die Öffnung, die er in die Rückseite der Hütte gebrochen hatte, sah sich sichernd nach allen Seiten um und richtete sich behutsam auf. Das unheimliche Schweigen war hier draußen doppelt deutlich und erfüllte ihn mit Unbehagen, fast Furcht. Gebannt sah er sich ein zweites Mal und noch aufmerksamer um, dann begann er, sich an der Hütte entlangzuschieben.

Seine Vorsicht war nur zu berechtigt. Als er die Ecke erreichte, sah er sich einer Errish gegenüber. Skars Herz machte einen erschrockenen Sprung, und seine Hände zuckten hoch, ehe er begriff, daß sie ihn nicht sah: Sie saß mit untergeschlagenen Beinen, aber hoch aufgerichtet und wie gelähmt da, mit weit geöffneten, aber starren Augen, die an ihm vorbei ins Leere blickten.

Skar hob die Hand und bewegte die Finger vor dem Gesicht der Errish. Sie reagierte nicht, und Skar wußte auch, warum: die Errish befand sich in Trance. Aus seinem Verdacht wurde Gewißheit: Der Ring unheimlichen Schweigens, der seine Hütte umgab, war Yuls Werk.

Obwohl er fast davon überzeugt war, unbehelligt an der Errish vorübergehen zu können, entschied er sich für den sichereren Weg: Er streckte die Hand nach dem Nacken des Mädchens aus, tastete nach einem bestimmten Punkt und drückte kurz und heftig zu. Die Errish zitterte, gab ein halblautes, schmerzerfülltes Seufzen von sich und brach in seinen Armen zusammen. Skar fing sie auf, lehnte sie gegen die Hütte und drapierte ihren Mantel so, daß es zumindest von weitem den Anschein haben mußte, sie saß noch immer in Trance da. Er verbaute sich damit selbst jede Möglichkeit, unbemerkt in die Hütte zurückzukehren und so zu tun, als hätte er gar nichts gemerkt, aber darauf kam es ihm auch nicht an. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Was hier vorging, war gefährlich für Kiina und ihn, und dann würde er ganz bestimmt nicht in die Hütte zurückkehren. Oder es war keine Bedrohung - aber dann würde ihm Yul einige sehr unangenehme Fragen beantworten müssen.

Gebückt schlich er weiter, sorgsam darauf bedacht, immer im Schatten der Hütte zu bleiben. Ihm fiel ein, daß es vielleicht klüger gewesen wäre, sich des Mantels der Errish zu bemächtigen, damit sie ihn in der Dunkelheit für eine der ihren hielten - aber das würde bedeuten, zurückzugehen. Er tat es nicht.

Statt dessen huschte er geduckt zwischen den niedrigen Hütten entlang, wobei er geschickt jeden Schatten als Deckung ausnutzte. Er umrundete den Lagerplatz fast zur Hälfte, bis er sich dem Tyrr-Gehege näherte. Die meisten Tiere schienen zu schlafen, aber es waren weit über hundert; und selbst Hunderte schlafender Ungeheuer machten genug Lärm, jedes verräterische Geräusch zu übertönen, das er verursachen mochte.