Выбрать главу

Und wenn du endlich fertig damit bist, dir alle möglichen Schrecken auszumalen, du Narr, wisperte eine Stimme hinter seiner Stirn, dann solltest du dir Gedanken darüber machen, wie du von hier wegkommst, ohne daß sie dich bemerken.

Der Satai in ihm hatte recht, dachte Skar alarmiert. Er befand sich in einer prekären Situation: Vor ihm lagen nichts als fünfhundert Fuß Leere und darunter der Dronte, von dessen Deck aus mißtrauische Augen jeden Quadratzentimeter der Küste absuchen mochten, und hinter ihnen die Errish und ihre dämonischen Herren, die sicherlich nicht zusammengekommen waren, um ein Schwätzchen zu halten. Er mußte weg hier. Solange er noch konnte. Vorsichtig und ohne die Errish und den monströsen Insektenschatten auch nur eine Sekunde aus dem Auge zu lassen, begann er sich abermals an der Palisade entlangzuschieben.

Er hatte selbst kaum damit zu rechnen gewagt, aber er erreichte den rückwärtigen Teil des Lagers und die Hütten unbehelligt. Auf dem Platz hinter ihm geschah etwas, daß er nicht erkennen konnte: Die Errish bewegten sich auf eine Art, die fast wie ein Tanz anmutete; regelmäßig, schnell und auf komplizierten, nur scheinbar zufälligen Bahnen, wobei manche von ihnen einen düsteren, arhythmischen Gesang anstimmten, andere auch mit leiser Stimme miteinander redeten. Und auch die Ultha - von denen es tatsächlich mehrere gab, Skar sah mindestens drei - waren irgendwie in dieses unheimliche Muster von Bewegung und Körpern einbezogen.

Aber was immer sie taten, es beanspruchte ihre gesamte Konzentration, und Skar erreichte Yuls Behausung unbehelligt. Und diesmal ging er wesentlich weniger rücksichtsvoll vor: Das Haus selbst als Schutz gegen eine zufällige Entdeckung nutzend, näherte er sich der träumenden Errish neben der Tür, packte sie und betäubte sie mit einem blitzschnellen Hieb in den Nacken. Dann war er mit einem Sprung in der Hütte und zog sein Schwert. Die Spitze seiner Klinge beschrieb einen blitzschnellen, drohenden Halbkreis vor seinem Körper und senkte sich wieder, als er begriff, daß der Raum leer war.

Hastig schloß er die Tür hinter sich wieder, eilte zu Kiinas Lager und kniete neben ihr nieder. Sie schlief, aber ihr Schlaf mußte ebenso unruhig wie der sein, aus dem er selbst aufgewacht war. Ihre Hände führten kleine, nervöse Bewegungen aus, an ihrem Hals pochte eine Ader, und ihre Lippen bewegten sich, ohne daß ein Laut zu hören war. Skar streckte die Hand nach ihr aus und berührte Kiina an der Schulter. Ihre Haut war kalt und feucht, und er konnte durch den Stoff der Decke hindurch ihren rasenden, unregelmäßigen Puls spüren. Es war zu dunkel hier drinnen, als daß er ihr Gesicht wirklich erkennen konnte, aber das wenige, was er sah, erschreckte ihn zutiefst: Kiinas Haut glänzte wie Wachs, und das bißchen Sternenlicht, das sich durch die Ritzen der Tür mogelte, ließ sie nun wirklich grau aussehen. Aus den dunklen Ringen unter ihren Augen waren schwarze Halbmonde geworden, ihre Wangen waren eingefallen, und das blonde, ehemals seidig glänzende Haar sah aus wie Stroh.

Sie reagierte auch nicht auf seine Berührung, sondern begann sich nur stärker im Schlaf zu bewegen. Skar warf einen besorgten Blick zur Tür, beugte sich über das Bett und flüsterte Kiinas Name; einmal, zweimal, dreimal, jedesmal ein wenig lauter, bis sie schließlich stöhnend die Augen aufschlug und ihn verwirrt anblinzelte.

»Was -?«

Skar legte ihr rasch die Hand auf den Mund und schüttelte den Kopf. »Still!« flüsterte er. »Sag kein Wort. Hast du verstanden?« Kiina nickte, aber in ihren Augen war nichts als Schrecken und Verwirrung. Vorsichtig zog Skar die Hand zurück, stützte gleichzeitig mit der anderen ihren Rücken und half ihr, sich aufzusetzen. Kiina zitterte am ganzen Leib.

»Kannst du laufen?« fragte er besorgt.

»Ich... glaube schon«, antwortete Kiina zögernd. Sie sah zur Tür, blickte sich plötzlich erschrocken um und starrte dann aus weit aufgerissenen Augen in die Schatten hinter Skar, mit einem Blick, als fürchte sie, die Schreckensvisionen ihrer Alpträume wären ihr gefolgt. »Was ist passiert?«

»Später«, antwortete Skar hastig. »Wir müssen weg hier. So schnell wie möglich und ohne daß es jemand merkt.« Er zögerte einen Moment. »Ich werde zwei Pferde für uns stehlen müssen«, sagte er. »Glaubst du, daß du reiten kannst?«

»Stehlen? Aber wieso... ich... ich verstehe nicht«, murmelte Kiina hilflos. Sie versuchte aufzustehen, aber dieser Versuch endete so kläglich wie der Skars am vergangenen Morgen. Er fing sie auf, ehe sie neben dem Bett zusammenbrechen konnte.

Kiina blieb einen Moment zitternd an ihn gepreßt stehen, dann machte sie sich mühsam frei und bückte sich nach ihren Kleidern. Skar unterdrückte den Impuls, ihr beim Anziehen behilflich zu sein. Er wollte sehen, wie kräftig sie wirklich war, und das Ergebnis dieser Beobachtung stimmte ihn nicht gerade optimistisch. Ihre Bewegungen waren schwach und fast ziellos; als sie den Gürtel aufzuheben versuchte, griff sie dreimal daneben, ehe es ihr schließlich gelang, das dünne Lederband zu fassen und ungeschickt um die Taille zu binden.

»Was ist passiert?« fragte sie noch einmal.

»Genau weiß ich es auch nicht«, gestand Skar. »Aber wir sind verraten worden. Yul und die anderen Errish sind...« Er zögerte. Kiina sah ihn gleichermaßen verwirrt wie erschrocken an, und Skar fügte fast widerwillig hinzu: »Ich weiß nicht, was sie sind, jedenfalls nicht das, was sie zu sein vorgeben.« Er machte eine abgehackte Bewegung zur Tür: »Dort draußen sind alte Freunde von dir.«

Vielleicht war es ein Fehler - aber er erhob keinen Einspruch, als Kiina mit schwankenden Schritten an ihm vorbeiging und durch die Ritzen der Basttür auf den Platz hinausspähte. Besser, sie sah es jetzt, als in einem Moment, in dem ihnen ein erschrockener Laut oder ein entsetztes Zögern zum Verhängnis werden konnte. Er trat hinter sie und spannte sich, um sie im Notfall blitzschnell zum Schweigen zu bringen.

Aber Kiina schrie nicht auf. Sie fuhr nicht einmal zusammen, sondern stand einfach da und starrte auf den Platz hinaus, auf dem der furchtbare lautlose Tanz noch immer anhielt. Das Feuer brannte mittlerweile höher, und irgendwo an der Küste hinter den Errish tat sich etwas; Skar konnte nicht genau erkennen, was, aber wieder hatte er das Gefühl, einen gigantischen huschenden Schatten zu sehen, etwas, das sich immer dicht am Rande seines Gesichtsfeldes bewegte und stets verschwand, wenn er versuchte, es genauer auszumachen. Er dachte an den Dronte, und ein eisiger Schauer raste auf Spinnenfüßen über seinen Rücken.

»Überzeugt?« fragte er. Seine Stimme klang belegt, als hätte es erst dieses Anblicks bedurft, um den Schrecken neu zu erwecken. »Ja«, flüsterte Kiina. »Komm.« Sie wollte die Tür öffnen, aber Skar hielt sie mit einer raschen Bewegung zurück und schüttelte den Kopf.

»Wir nehmen den Hinterausgang«, sagte er mit einer Geste auf die Rückwand der Hütte. Kiina blickte fragend, verstand dann aber und folgte ihm ohne ein weiteres Wort.

Die Wand zu durchbrechen gestaltete sich wesentlich schwieriger als in Skars Behausung. Yuls Hütte war weitaus massiver erbaut als die übrigen Gebäude, und es erforderte Skars ganze Kraft, die dünnen, aber zähen Ranken zu zerreißen, die zwischen die Stützbalken geflochten waren. Schließlich nahm er sein Tschekal zu Hilfe, um ein halbrundes Loch in die Hüttenwand zu schneiden, gerade hoch genug, daß sie hintereinander ins Freie kriechen konnten. Skar bedeutete Kiina mit Gesten, still zu sein und aufzupassen, ließ sich ein zweites Mal auf die Knie sinken und setzte das herausgeschnittene Teil der Bastwand wieder an seinen Platz, so daß ihr Fluchtweg wenigstens auf den ersten Blick nicht sofort entdeckt werden würde. Er gestand sich ein, daß es ein Fehler gewesen war, die beiden Errish zu betäuben, denn in spätestens zwei Stunden würde eine von ihnen erwachen; was ihren Vorsprung automatisch auf diese Zeitspanne beschränkte. Ganz kurz erwog er die Möglichkeit, noch einmal zurückzugehen und die beiden Errish zu töten; aber wirklich nicht sehr lange, und auch nicht ernsthaft. Er war kein Mörder. Und etwas sagte ihm, daß sie so oder so sehr viel weniger Zeit als zwei Stunden hatten.