Выбрать главу

Einen Moment lang hielt die Errish seinem Blick stand, dann drehte sie mit einem Ruck den Kopf und machte eine zornige Handbewegung. »Kommt!«

Sie wurden zurück ins Lager gebracht. Der Ultha, der Skar gepackt hielt, gab sich sogar Mühe, nicht zu grob mit ihm zu sein, aber seine Chitinklauen waren nicht zum sanften Zugreifen gemacht, sondern Werkzeuge zum Zerreißen und Töten, und Skars Handgelenke waren schon nach Augenblicken blutig. Hinter sich hörte er Kiina stöhnen. Er versuchte, im Gehen den Kopf zu wenden, um nach ihr zu sehen, handelte sich damit aber nur einen weiteren Ellbogenstoß des Monstrums ein und unternahm keinen zweiten Versuch.

Auf dem Platz hatte der bizarre Tanz seinen Höhepunkt erreicht, als sie zwischen den Hütten hinaustraten. Das Feuer brannte sehr viel höher als vorhin, und aus den gleitenden, fast eleganten Bewegungen der Errish war ein hektisches Hin und Her geworden, in dem Skar immer deutlicher einen beunruhigenden, irgendwie vertrauten Rhythmus zu erkennen glaubte, ohne ihn wirklich identifizieren zu können. Zwischen den Errish bewegte sich fast ein Dutzend Ultha, und Skar sah jetzt, daß es immer eine Gruppe von sieben oder acht Ehrwürdigen Frauen war, die eines der Insektenwesen umkreisten, es manchmal berührten, manchmal mit weit gespreizten Fingern die Konturen seines Schädels nachzeichneten. Es war verwirrend. Erschreckend und beunruhigend, fremd und vertraut zugleich. Er hatte das Gefühl, wissen zu müssen, was hier geschah; gleichzeitig war es etwas, was er nie zuvor im Leben beobachtet hatte. Und es machte ihm Angst. Irgend etwas war falsch.

Die ineinandergedrehten Kreise der tanzenden Errish teilten sich, als er zwischen Anschi und ihren Begleiterinnen auf den Platz hinaustrat. Skar blinzelte, als er direkt in das hoch auflodernde Feuer in der Mitte des Platzes sah. Eine schattenhafte Gestalt stand direkt vor dem Feuer, flankiert von zwei großen, lächerlich dürren Schemen, in deren Schädeln dunkelrote Feuer zu glühen schienen: Ultha, deren faustgroße Insektenaugen den Widerschein des Feuers brachen und etwas Fremdes, Böses hineinbrachten.

Der Ultha stieß ihn rücksichtslos vorwärts. Sie näherten sich Yul und dem Feuer. Der Kreis aus Errish und Bewegung schloß sich wieder hinter ihnen, und für einen Augenblick hatte Skar das unangenehme Gefühl, nun selbst Teil dieser unnatürlichen Beschwörung zu sein. Und irgendwie war er es auch, das spürte er. Was immer hier geschah, er hatte damit zu tun.

Yul hob die Hand, als er vor ihr stehenblieb, und der Griff des Ultha lockerte sich noch weiter. Skar schwankte. Einer der beiden Ultha hinter der Errish stieß ein hohes, zirpendes Geräusch aus, das gleichzeitig hilflos wie drohend klang. Yul brachte ihn mit einer knappen Geste zum Verstummen und wiederholte ihre Handbewegung. Die Insektenklauen lösten sich von Skars Haut, und plötzlich war er ohne Halt. Er wankte, wäre um ein Haar auf die Knie gefallen und fand im letzten Moment sein Gleichgewicht wieder.

»Ich hoffe, du bist nicht verletzt«, sagte Yul.

Skar starrte sie an. Seine Schulter pochte wie ausgekugelt, und sein linker Arm war so nutzlos, als wäre sie es, und Zorn und Schmerz gebaren einen verlockenden Gedanken: Sie hatten ihn nicht einmal entwaffnet. An seiner Seite hing noch immer das Tschekal, und er stand kaum drei Schritte von der alten Errish entfernt. Eine blitzschnelle Bewegung, und - Aber dann fielen ihm Anschis Worte wieder ein: Sie sind ungefähr siebzigmal so stark wie ein Mensch. Es war gleich, ob er ihr glaubte oder nicht. Es reichte, wenn sie doppelt so stark waren. Sie waren auch mindestens doppelt so schnell wie er. Das Ungeheuer hinter ihm hätte ihm den Arm abgerissen, ehe er das Schwert auch nur halb aus der Scheide gezogen hätte.

»Das stimmt, Skar«, sagte Yul.

»Was?«

Die Errish lächelte milde, auf eine verzeihende, fast mütterliche Art und Weise, die ihn schon wieder fast an den Rand der Raserei trieb. »Oh, ich kann manchmal Gedanken lesen, weißt du? Oder zumindest Blicke deuten. Du hättest keine Chance. Sie sind die besten Leibwächter, die du dir denken kannst.«

Skar starrte sie an, schluckte die wütende Antwort hinunter, die ihm auf der Zunge lag, und drehte sich mit einem Ruck zu Kiina herum.

Das Mädchen war auf die Knie gesunken, nachdem der Ultha sie losgelassen hatte. Skar schauderte, als er das Ungeheuer zum ersten Mal von nahem und deutlich sah: Es war weit größer, als er bisher angenommen hatte, und schien nur aus Horn und Stacheln und natürlichen Waffen zu bestehen. Seine faustgroßen Facettenaugen musterten Skar kalt, aber voller Mißtrauen und Tücke, und seine dreifingrigen Klauen blieben leicht geöffnet, zum Zupacken bereit, als Skar sich über Kiina beugte und ihr ins Gesicht sah. »Bist du verletzt?« fragte Skar.

»Nein, das ist sie nicht«, antwortete Yul an Kiinas Stelle. »Aber sie hätte sterben können, du Narr! Ich habe dir gesagt, daß sie krank ist.«

Skar ignorierte sie. Behutsam legte er die Hand unter Kiinas Kinn und hob ihren Kopf an. Das Gesicht des Mädchens war vor Furcht und Erschöpfung verzerrt, und ihr Blick flackerte wie der einer Wahnsinnigen. Als sie seine Berührung spürte, versuchte sie den Kopf zu schütteln. Ihre Haut war kalt und feucht. Sie zitterte. Skar fuhr wütend zu Yul herum. »Wenn sie stirbt -«

»Das wird sie nicht«, unterbrach ihn Yul. Etwas leiser und fast traurig fügte sie hinzu: »Jedenfalls hoffe ich es.«

»Das solltest du auch«, sagte Skar gepreßt. »Denn sonst töte ich dich.«

Er sah Anschis Schlag kommen, aber er machte keinen Versuch, ihn abzuwehren. Seine Lippe, die gerade zu bluten aufgehört hatte, platzte abermals. Trotzdem lächelte er.

»Anschi! Skar!« sagte Yul streng. »Das reicht!«

»Ja«, sagte Skar wütend. »Das finde ich auch.« Mit einem geringschätzigen Lächeln wandte er sich an Yul. »Also - worauf wartest du? Töte mich.«

»Das habe ich nicht vor«, antwortete Yul ruhig.

»So? Was -«

»Es ist alles ganz anders, als du glaubst«, unterbrach ihn Yul, leise, aber in einem Ton, der ihn auf der Stelle verstummen ließ. »Ich weiß, daß dich das, was du siehst, erschrecken muß.«

»Oh, wie kommst du darauf?« fragte Skar höhnisch. »Ich bin ein wenig irritiert, das gestehe ich. Du hättest mir deine... Freunde etwas eher vorstellen können. Aber in Zeiten wie diesen leiden manchmal die guten Manieren, nicht wahr?«

Yul wirkte eher verletzt als zornig. Skar sah aus den Augenwinkeln, daß Anschi abermals auffahren wollte, aber Yul bremste sie mit einem mahnenden Blick.

»Wir sind nicht deine Feinde, Skar«, sagte sie. »Wir mußten vorsichtig sein. Vielleicht... habe ich einen Fehler gemacht, aber ich... mußte sichergehen.«

»Uns wirklich in der Falle zu haben?«

Yul ignorierte seine Antwort. »Es sind deine Träume, Skar«, sagte sie. »Etwas schleicht sich in unsere Träume. Und ich mußte sichergehen. Niemand weiß mehr, wer der andere ist, nicht einmal ich. Diese Wesen hier -«

Es begann mit einem kaum hörbaren, peitschenden Laut, dem ein hohes, boshaftes Sirren folgte, hell und tödlich und rasend schnell näher kommend; ein Laut, den Skar nur zu gut kannte und der ihn den Rest von Yuls Antwort gar nicht mehr hören ließ. Alles geschah gleichzeitig: Skar ließ sich fallen. Yul verstummte mitten im Wort, und der Ultha hinter Skar machte eine rasend schnelle, zupackende Bewegung, die seinen Hals nur um Millimeter verfehlte und einen handlangen Streifen blutiger Haut aus seiner Schulter riß. In der gleichen Sekunde traf der Pfeil das Auge des Ultha rechts hinter Yul und tötete ihn auf der Stelle.