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»Skar!« stöhnte Yul. »Halte sie auf! Sie zerstören alles!«

Skar war irritiert. Er fühlte sich... hilflos. Rings um ihn herum sanken die Errish zu Boden, von Pfeilschüssen getroffen oder durch die pure Wucht des mentalen Schocks betäubt, der die jähe Unterbrechung ihrer Trance auslöste. In wenigen Sekunden würden Titchs Krieger die Ultha überrannt haben, und sei es einfach nur durch ihre zahlenmäßige Überlegenheit, und nicht eine dieser achtzig Frauen würde sich auch nur wehren. Außer Yul, Anschi und den beiden Errish, die die Ultha begleitet hatten, begriff vielleicht nicht einmal eine von ihnen, was überhaupt geschah. Titchs Quorrl hatten bereits gewonnen, noch bevor der Kampf richtig begann. Er sollte Zufriedenheit empfinden, zumindest Erleichterung, denn noch vor Augenblicken hatte er den sicheren Tod vor Augen gehabt, aber statt dessen spürte er nichts als Furcht, als er in Yuls Augen blickte.

Das Gesicht der alten Errish war zu einer Maske des Entsetzens geworden. Und plötzlich begann Skar zu ahnen, daß alles anders war, ganz anders, als er geglaubt hatte. Es war nicht die Furcht um das Leben ihrer Mädchen, die Yul fast um den Verstand brachte. Es war - »Um Gottes Willen!« flüsterte er. »Der Dronte!«

Yul schlug zitternd die Hände vor das Gesicht, und selbst Anschi wurde blaß, als sie begriff, was Skars Worte bedeuteten. Skar fuhr herum, rannte den Quorrl entgegen und schrie aus Leibeskräften Titchs Namen. »Hört auf!« brüllte er. »Zurück! Titch, zieh deine Männer zurück, oder du bringst uns alle um!« Aber es war zu spät. Selbst wenn Titch ihn verstanden hätte, und selbst wenn er den Sinn von Skars Warnung begriffen hätte - die Dinge hatten schon lange ihren eigenen Willen entwickelt und scherten sich nicht mehr um den derer, die sie ins Rollen gebracht hatten. Die überlebenden Quorrl stürmten brüllend auf den Lagerplatz hinaus, Schwerter und Keulen blitzten auf und trafen die hilflos daliegenden Errish, und dann geschah, was Skar voller panischem Entsetzen erwartet hatte: Einer der Quorrl-Krieger erreichte die Steilküste und rannte daran entlang. Selbst vom fünfhundert Fuß tiefer liegenden Meer her mußte sich seine Silhouette deutlich gegen den roten Schein des Feuers abheben.

Für eine einzelne, endlos scheinende Sekunde schien die Zeit stehenzubleiben. Skar sah alles mit jener phantastischen Klarheit, mit der Momente absoluten Schreckens manchmal ablaufen, und er selbst fühlte sich wie von unsichtbaren klebrigen Fäden eingesponnen, unfähig, sich zu bewegen oder irgend etwas zu tun, um das Entsetzliche noch aufzuhalten: Der Quorrl rannte weiter an der Steilküste entlang, Titchs Krieger fuhren fort, die wehrlosen Errish zu erschlagen, und neben ihm öffnete Yul den Mund zu einem absurden, lautlosen Schrei, und für einen noch winzigeren Teil dieser kurzen Sekunde machte sich die verzweifelte Hoffnung in Skar breit, daß sie sich getäuscht hatten, daß das Chaos ausbleiben würde und - Und auf der anderen Seite der schwarzen Schattenlinie, die die Steilküste markierte, begann ein düsterrotes Höllenfeuer aufzuglühen. Ein prasselndes, ungeheuer lautes Zischen erklang, und den Bruchteil einer Sekunde später verschwanden der Quorrl und ein Drittel der Steilküste, auf deren Grat er entlanglief, in weißer Glut. Skar sah, wie sein Körper zu einem flachen schwarzen Schatten wurde, der sich unglaublicherweise immer noch bewegte und dann einfach nicht mehr da war, nicht verbrannt, sondern zu glühender Asche geworden, im Bruchteil eines Herzschlages. Wo er gestanden hatte, schmolz der Fels. Eine ungeheure Hitzewelle fauchte auf das Plateau hinaus, gefolgt von weißen und orangeroten Flammen, die wie gierige leuchtende Finger nach Nahrung tasteten.

Skar warf sich mit weit ausgebreiteten Armen nach vorne und riß Anschi und Yul gleichzeitig von den Füßen, eine halbe Sekunde ehe die Hitzewelle sie erreichte und seinen Rücken wie eine glühende Hand berührte. Plötzlich war das Lager voller Schmerz- und Schreckensschreie, voller Hitze und kochender Luft und hastender Körper in schwelenden Gewändern. Etwas Heißes, Spitzes fuhr wie ein glühender Dolch über Skars Rücken.

Stöhnend wälzte er sich zur Seite, sah sich nach Kiina um und erkannte, daß sie unverletzt geblieben war. Neben ihm stemmte sich Anschi auf Hände und Knie hoch, während Yul reglos und mit geschlossenen Augen dalag, bewußtlos oder tot.

Skar kam taumelnd auf die Füße, sah sich aus tränenden Augen nach Titch um und entdeckte das goldene Blitzen seiner Rüstung, nur wenige Schritte neben sich. Der Quorrl stand wie versteinert da, und selbst auf seinem normalerweise völlig starrem Reptiliengesicht hatte sich ein Ausdruck ungläubigen Entsetzens breitgemacht.

»Weg hier!« brüllte Skar über das Prasseln der Flammen und die Schreie der verwundeten Errish hinweg. »Titch, nimm deine Männer und verschwinde! Er ist auf euch konditioniert, verstehst du?!« Nein, Titch verstand nicht - und wie konnte er auch? Der Blick seiner pupillenlosen Eidechsenaugen richtete sich auf Skar, aber Skar war nicht einmal sicher, daß er ihn überhaupt erkannte, in diesem Moment. Auf den Zügen des Quorrl lag nur Angst. Dann schlug der Dronte ein zweites Mal zu - und diesmal schoß er all seine Feuerkatapulte ab!

Die zwölffache, berstende Explosion riß Skar von den Füßen. Licht, ein ungeheuer grelles, mörderisches Licht von sengender weißer Farbe überflutete das Plateau, als die Steilküste auf voller Länge hinter einem Flammenvorhang verschwand. Die Hitze versengte Skars Haar und machte ihn für Sekunden blind, und jedes Metallteil an seiner Kleidung schien plötzlich aufzuglühen und brannte kleine schmerzhafte Wunden in seine Haut. Die Luft, die er atmen wollte, kochte. Die flüchtenden Errish verwandelten sich in Schatten, deren Umrisse sich wie in leuchtender weißer Säure aufzulösen schienen. Alle, die der Küste näher als zwanzig oder dreißig Schritte waren, brachen zusammen oder taumelten mit brennenden Kleidern weiter. Die Dächer der kleinen Basthütten fingen mit einem einzigen, berstenden Schlag Feuer.

Skar taumelte auf die Füße, riß schützend die Arme vor das Gesicht und tastete sich blind zu der Stelle zurück, an der er Kiina wußte. Das Lager schien nur noch aus Licht und Hitze und unerträglichem Lärm zu bestehen. Er atmete Glassplitter, und der Boden war so heiß, daß er bei jedem Schritt am liebsten aufgeschrien hätte. Vielleicht tat er es.

Die nächste Salve. Diesmal hatte der Dronte höher gezielt: Skar sah einen Schwarm täuschend kleiner, lodernder Meteore hinter der Küste in die Höhe steigen, funkensprühend den Scheitelpunkt ihrer Bahn erreichen und sich wieder herabsenken, im gleichen Augenblick, in dem er Kiina erreichte und in die Höhe riß.

Zwei der lodernden Feuerkugeln stürzten harmlos wieder ins Meer hinab und erloschen. Der Rest traf das Lager, die Hütten, die umliegenden Felsen und das Tyrr-Gehege. Die Welt versank in einem Chaos aus Feuer, Hitze und Licht.

Sie waren noch neun, als der Morgen graute und sie sich den ersten Ausläufern des Drachengebirges näherten: Skar, Kiina, sechs von Titchs Quorrl und Titch selbst. Zwei der Krieger würden sterben, ehe der Abend kam, möglicherweise auch drei. Vielleicht auch Kiina. Und vielleicht auch Skar selbst.