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Schließlich hatten sie den gesamten Palast durchsucht, und es blieb nur noch der Thronsaal selbst, eine gewaltige, halbrunde Halle unmittelbar unter der Spitze des Turmes. Skars Herz begann ein wenig schneller zu schlagen, als er die zweiflügelige Tür aufstieß und vor Kiina in den Saal trat. Ganz instinktiv legte er die Hand auf das Schwert in seinem Gürtel.

Seine Vorsicht war auch diesmal überflüssig. Der Thronsaal der Margoi war so leer und tot wie die gesamte Festung; wie die gesamte Stadt. Skar hob die Hand vor die Augen und blinzelte in das grelle Licht, das durch die großen gebogenen Fenster hereinfiel, und der plötzliche Luftsog ließ graue Staubwolken aufwirbeln. Er hustete, wich unwillkürlich einen Schritt zurück und wartete, bis sich die grauen Schwaden wenigstens einigermaßen gelegt hatten. Dann betrat er zum zweiten Mal den Thronsaal, mit vorsichtigen, sehr langsamen Schritten, um den Staub nicht ein zweites Mal aufzuwirbeln. Sein Blick glitt rasch und mißtrauisch durch die gewaltige Halle, und abermals kam ihm zu Bewußtsein, wie bedrückend und unheimlich dieses riesige, leere Gebäude war. Es gab auch hier oben kein Leben; nicht einmal mehr die Spuren davon. Grauer Staub lag in einer fast knöcheltiefen Schicht auf dem Boden, aber sie war unversehrt und vom Wind zu einem regelmäßigen Wellenmuster geformt worden, wie eine winzige Wüste, zweihundert Manneslängen über der Stadt.

»Nichts?« Kiina wartete sein Kopfschütteln ab, ehe sie hinter ihm in die Thronhalle trat. Auch sie bewegte sich sehr langsam, aber Skar war sicher, daß sie es nicht tat, nur um den Staub nicht aufzuwirbeln. Ihr Gesicht war bleich und die Lippen eng zusammengepreßt und fast blutleer. Draußen, in der Dämmerung der Korridore und Treppen, war ihm das nicht aufgefallen, aber er sah jetzt, daß die Ruhe ihrer Bewegungen von der Art eines Menschen war, der sich mit aller Macht zusammenriß, um nicht schlichtweg die Beherrschung zu verlieren. Ihre Augen waren fast schwarz vor Entsetzen, und Skar gestand sich ein, daß er Kiina überschätzt hatte. Er machte sich schwere Vorwürfe deswegen. Sie war noch ein halbes Kind - er hätte wissen müssen, wie der Anblick der zerstörten Stadt und ihrer toten Brüder und Schwestern auf sie wirken mußte.

»Wo sind sie alle hin?« flüsterte Kiina. Auch ihr Blick irrte durch den Raum, aber anders als der von Skar tat er es unstet und immer schneller, als suche sie verzweifelt nach irgendeinem Halt, an dem sie sich festklammern konnte, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. »Aber sie... sie müssen doch irgendwo sein!« Skar antwortete auch darauf nicht. Was hatte sie erwartet? Die Margoi und sämtliche überlebenden Bewohner Elays zusammengepfercht hier im Thronsaal zu finden, in dem sie sich vor einem nicht existierenden Gegner verbarrikadiert hatten ? Aber er konnte schwerlich Logik von Kiina erwarten. Nicht in diesem Augenblick.

»Vielleicht... vielleicht konnten sie fliehen«, stammelte Kiina. Skar wich ihrem Blick aus, aber sie fuhr, jetzt lauter und fast hysterisch fort: »Sie müssen geflohen sein, Skar. Das... das ist die einzige Erklärung.«

Skar schüttelte den Kopf. Er streckte die Hand aus, aber Kiina wich vor ihm zurück. »Sie sind tot, Kind«, sagte er. »Wie alle anderen.«

»Das ist nicht wahr!« schrie Kiina. »Dann hätten wir ihre Leichen gefunden! Sie sind geflohen.«

»Und die Wachen, unten in der Halle?« widersprach Skar. Kiina verstand nicht. »Sie sind gefallen, als sie den Palast verteidigten«, sagte sie. »Und?«

»Und welchen Sinn sollte es haben, einen leeren Palast zu verteidigen?«

Kiinas Lippen begannen zu zittern. Sie machte einen Schritt an ihm vorbei, blieb wieder stehen und hob hilflos die Arme. Skar sah, daß sie noch immer den Scanner in der rechten Hand trug. Im Griff des bizarren kleinen Instruments blinkte ein winziges grünes Licht. Die Waffe war schußbereit. Mit einem traurigen Lächeln trat Skar zu ihr, nahm ihr den Scanner aus der Hand und sah sie fragend an. Kiina berührte eine Taste auf der silbern schimmernden Oberfläche des Geräts, und das Licht erlosch. Skar schob den Scanner unter seinen Gürtel.

»Laß uns gehen«, sagte er.

Kiina reagierte nicht. Ihr Blick ging an Skar vorbei ins Leere, und erst jetzt, erst in diesem Moment, begriff er wirklich, was der Anblick der leeren Thronkammer für sie bedeuten mußte. Natürlich hatte auch Kiina gewußt, daß sie hier oben so wenig finden würden wie in irgendeinem anderen Teil des Palastes, aber der Thronsaal war ihre letzte Hoffnung gewesen, die letzte, verzweifelte Lüge, die noch zwischen ihr und dem Moment stand, in dem sie sich eingestehen mußte, daß Elay vernichtet war. Und mit ihr die Errish. Kiina begann leise zu weinen und schmiegte sich an seine Brust, und während Skar einfach dastand und darauf wartete, daß der ärgste Schmerz vorüber war und sie sich wieder weit genug in der Gewalt hatte, um mit ihm diesen schrecklichen Ort zu verlassen, begriff er ganz allmählich, daß sie nicht nur eine zerstörte Stadt gefunden hatten. Diese Thronkammer war nicht irgendeine Thronkammer, so wenig wie dieser Palast irgendein Palast war oder Elay irgendeine Stadt. Es war das Herz der Errish, die Heimat der Ehrwürdigen Frauen, die unantastbar waren, seit Enwor bestand. Nicht einmal die Quorrl, die alles Menschliche haßten und Enwor und seine Bewohner mit zahllosen Kriegen überzogen hatten, hatten es jemals gewagt, die Hand gegen eine Errish zu erheben. Ihre Heimatstadt zu zerstören, bedeutete an den Grundfesten der Welt zu rütteln.

Aber waren sie nicht längst zerbrochen ? flüsterte eine Stimme in seinen Gedanken. Die Geister, die Vela heraufbeschworen hatte, hatten doch längst angefangen, Enwor zu verändern, schleichend und fast unbemerkt von den meisten seiner Bewohner, aber auf eine Art, die nie wieder gutzumachen war. Selbst, wenn es ihnen gelang, Drasks Brüder und ihre Verbündeten (oder Herren?) zu besiegen - wovon Skar ganz und gar nicht überzeugt war -, würde Enwor nie wieder die Welt sein, als die er sie kannte. Sie war es jetzt schon nicht mehr.

»Gehen wir«, sagte er noch einmal. »Ich habe zu Titch gesagt, daß wir in einer Stunde zurück sind. Sie ist längst vorbei.« Kiina löste sich aus seiner Umarmung und zog geräuschvoll die Nase hoch. Ihre Augen waren rot und das Gesicht verquollen. »Entschuldige«, murmelte sie. »Der... der Staub. Er brennt in den Augen.« Skar spürte, wie peinlich es ihr war, daß er sie wie ein Kind weinen sah. Dabei beneidete er sie fast darum, noch weinen zu können. Er schwieg.

»Du hast recht«, fuhr Kiina nach einer Sekunde fort. »Gehen wir. So schnell wie möglich. Ich -« Sie brach mitten im Wort ab und sog hörbar die Luft ein. Ihre Augen wurden groß.

»Was hast du?«

»Vielleicht... vielleicht gibt es doch noch ein paar Überlebende«, flüsterte Kiina. »Die Katakomben, Skar! Die Drachenhöhlen unter der Stadt! Sie halten jedem Angriff stand! Nicht einmal eine Armee von Errish könnte sie erobern!«

Skar starrte sie an. War er denn blind gewesen? Er kannte die Höhlen so gut wie Kiina. Was lag näher, als sich im Falle eines Angriffes an einen Ort zurückzuziehen, der erstens leicht zu verteidigen und dessen Existenz nur einigen wenigen Eingeweihten bekannt war? Er verstand nicht, warum er nicht von selbst auf diesen Gedanken gekommen war!