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Er hatte nicht einmal Angst, denn er spürte, daß der Daij-Djan nicht gekommen war, um ihn zu töten. Vielleicht war er niemals sein Feind gewesen. Sekundenlang blickte er das flache Nicht-Gesicht der Sternenbestie an, dann schlug er seine Decke zurück, stand unsicher auf und folgte dem Daij-Djan. Lautlos durchquerten sie das Lager, in dem im Traum alle Bewegungen erstarrt waren, als wäre die Zeit stehengeblieben.

Es war dunkel, und es regnete noch immer, aber die Wolken waren aufgerissen, so daß er die Ebene trotzdem auf Meilen hin deutlich überblicken konnte. Und er sah, was sein höllischer Bruder ihm hatte zeigen wollen: Über das geborstene Land krochen Schatten heran. Sie waren zu weit entfernt, um sie genau zu erkennen, und fast körperlos; beinahe nur eine Woge sich bewegender Schwärze, die sich den Bergen und damit ihrem Lager näherte. Aber etwas an ihren Bewegungen war falsch, und die Dunkelheit, die ihnen wie ein beschützender Mantel folgte, war nicht nur die Abwesenheit von Licht, sondern etwas anderes, unsagbar Fremdes, das aus den Abgründen des Wahnsinns heraufgekrochen war.

Sie kommen, Bruder, flüsterte die Stimme des Daij-Djan in seinen Gedanken. Sieh. Die, die mich und dich schufen, sind nicht dumm. Sie wissen, was geschehen ist, und sie kommen, um dich zu holen.

Skar blickte die kriechenden Schatten an, und plötzlich hatte er Angst, Angst wie nie zuvor in seinem Leben.

Ich kann sie vernichten, fuhr der Daij-Djan fort, und plötzlich war seine Stimme wieder ein körperloses, böses Kichern, die Verlockung des Bösen, die sich mit der Angst in Skars Seele vereinte und an seinem Willen nagte wie eine kleine, gierige Ratte. Gib mir den Befehl dazu, und ich vernichte sie für dich. Es ist ganz leicht. Du mußt es nur wollen.

Skar zitterte. Er wollte die Hände heben und gegen die Ohren pressen, aber er konnte sich nicht bewegen. Und es hätte auch nichts genutzt; denn die Bestie stand nicht wirklich vor ihm. Was er sah, war nur ihr Körper, ein Werkzeug, das sie nach Belieben erschaffen und verändern konnte. Das wirkliche Ungeheuer war in ihm. Der Daij-Djan war ein Teil von ihm. Er war es immer gewesen, schon lange, bevor er einen Körper bekommen hatte. Tu es, fuhr das böse Flüstern fort. Entfessele mich, wie du es schon so oft getan hast. Ich bin nicht dein Feind, Bruder. Das war ich nie. Komm zu mir. Gemeinsam schlagen wir sie. Es gibt nichts, was uns aufhalten kann. NICHTS!

Skar stöhnte. »Nein«, wimmerte er. »Nie wieder. Nie wieder, hörst du? Nie wieder!«

Aber der Daij-Djan lachte nur; ein böses, hämisches Kichern, das vom Grund seiner Seele heraufwehte und den menschlichen Teil von Skars Sein erzittern ließ. Und das Schlimmste war er wußte, daß das Ungeheuer recht hatte. Gemeinsam wären sie unbesiegbar. Der Alptraum hatte ein Ende.

»Nein!« stöhnte er. »Geh! Geh fort! Laß mich endlich in Ruhe, du Bastard!«

Wieder lachte das Ungeheuer. Seine schwarze Klaue hob sich, tastete nach Skars Gesicht und berührte es; er spürte einen kurzen, brennenden Schmerz, als die Klaue seine Haut ritzte, prallte zurück, stöhnte gellend auf - und erwachte.

Und schrie ein zweites Mal, als ein harter Schlag seine Wange traf und seinen Kopf zurückfliegen ließ. Instinktiv riß er die Hände schützend vor das Gesicht, fühlte hartes Metall und feuchten Stoff unter den Fingern und öffnete erst dann die Augen. Titchs Hand schwebte drohend zum Schlag erhoben über seinem Gesicht, aber in den Augen des Quorrl war nur Schrecken; und eine Sorge, die Skar trotz seiner Benommenheit registrierte und die ihn überraschte.

»Es ist... gut«, sagte er mühsam. »Du brauchst mich nicht mehr zu schlagen.«

Titchs Hand sank herab, aber nur für eine Sekunde. Dann griff er ein zweites Mal zu und half Skar, sich aufzusetzen.

»Habe ich geschrien?« fragte Skar.

Titch nickte. »Ununterbrochen. Ich wollte dich nicht schlagen, aber es war der einzige Weg, dich wach zu bekommen. Es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe.«

Skar hob die Hand an den Mund und fühlte warmes Blut an den Fingern, aber keinen Schmerz. Sein Kiefer war wie betäubt, aber er war ziemlich sicher, daß das nicht von Titchs Schlag kam. Der Quorrl kannte seine Körperkräfte und wußte sehr wohl, sie zu dosieren.

Mit einem Ruck setzte er sich ganz auf. Er fühlte sich matt, trotzdem aber sonderbar wohl. Das Fieber war fort, und auch Übelkeit und Schwindelgefühl waren wie weggeblasen. Alles, was geblieben war, war ein dumpfer Druck hinter seiner Stirn und das taube Gefühl in seinem Mund.

Skar schlug die Decke vollends zurück. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er Angst, den Kopf zu drehen und nach Kiina zu sehen; Angst, nicht sie, sondern eine kindergroße schwarze Spottgeburt aus schwarzem Horn und Haß zu sehen, die ihn höhnisch angrinste.

Aber das Lager neben ihm war leer.

»Wo ist sie?« fragte er.

Titch machte eine unbestimmte Geste in die Nacht hinaus. »Bei den anderen. Sie bat mich, sie gehen zu lassen.«

»Und du hast es getan?«

Titch knurrte. »Wenn der Sinn deiner Frage ist, zu ergründen, ob ich euch noch immer umbringen will, dann lautet die Antwort nein, kleiner Mann«, sagte er sarkastisch. »Außerdem hat sie versprochen, zurückzukommen, und ich glaube ihr. Sie wollte Medizin für dich holen.«

Skar erhob sich taumelnd. Er war verwirrt. Verwirrt und alarmiert. Etwas... stimmte nicht. Sein Traum war nicht sinnlos gewesen, das spürte er. Er war... eine Warnung?

»Ich habe dich doch verletzt«, sagte Titch plötzlich. »Warte hier. Ich hole etwas, um das Blut zu stillen.«

Skar starrte den Quorrl eine Sekunde verständnislos an, bis ihm auffiel, daß Titch nicht auf seinen Mund blickte. Erschrocken hob er die Hand, um den Quorrl zurückzuhalten, und tastete mit der anderen nach seiner Stirn.

Zwischen seinen Augenbrauen, genau dort, wo ihn im Traum die Klaue des Daij-Djan berührt hatte!! - befand sich eine kleine, aber tiefe Wunde, die höllisch zu schmerzen begann, kaum daß seine Finger sie ertasteten, Skar erstarrte. Aber das war doch... unmöglich! Aus entsetzt geweiteten Augen starrte er Titch an - und fuhr plötzlich herum, um mit weit ausgreifenden Schritten durch das Lager zu laufen. Neben dem Felsen am Taleingang erhob sich ein massiger Schatten, als er näher kam, aber Skar tauchte einfach unter den Armen des Quorrl hindurch und stürmte noch zwei, drei Schritte weiter, ehe er schweratmend stehenblieb und auf die Ebene hinausstarrte.

Es war genau wie in seinem Traum. Der Regen strömte noch immer vom Himmel, aber die Wolken waren aufgerissen, und er konnte die zerrissene Ebene fast bis zur Küste hin überblicken. Nur die kriechenden Schatten waren nicht da. Es gab Schatten, aber es waren die Schatten von Felsen und Büschen und Bäumen, nicht der körperlose Terror aus seiner Vision, und trotzdem: etwas... kam.

Skar sah auf, als der Boden unter seinen Füßen zu zittern begann und der Quorrl in seiner blitzenden Goldrüstung neben ihm erschien.

»Was hast du?« fragte Titch alarmiert.

Skar zuckte wortlos mit den Schultern und fuhr fort, auf die Ebene hinabzustarren. Das Sternenlicht vermittelte ihm nur die Illusion, gut sehen zu können, das wußte er. In Wirklichkeit war alles, was weiter als fünfzig oder sechzig Schritte entfernt war, nur schemenhaft zu erkennen. Und trotzdem - er konnte die Gefahr beinahe körperlich spüren.