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Vielleicht werde ich verrückt, dachte er. Vielleicht hatte der Daij-Djan endlich erreicht, was er wollte, und er vermochte schon nicht mehr zwischen Realität und Traum zu unterscheiden. Gleichzeitig spürte er, daß das nicht stimmte. Etwas war da. Er konnte es fühlen, so deutlich, wie er die Anwesenheit des Netzes in Drasks Burg gefühlt hatte.

»Ich weiß es nicht«, sagte er hilflos. »Aber wir... wir sollten hier verschwinden, Titch.« Der Quorrl sah ihn fragend an, und Skar fügte hinzu: »Weck deine Männer. Wir brauchen ein anderes Lager. Höher in den Bergen. Vielleicht bei Anschi und den anderen. Wir -«

Er sah die Bewegung aus den Augenwinkeln, aber seine Reaktion wäre zu spät gekommen, so schnell sie auch war.

Skar warf sich herum und gleichzeitig zurück, aber das Zuschnappen der gewaltigen Fänge war schneller. Grünschimmerndes Panzerhorn grabschte in einer mörderischen, zupackenden Bewegung nach ihm, einer Bewegung, die stark und schnell genug war, ihn in zwei Stücke zu reißen, so mühelos, wie er Papier zerfetzte.

Es war Titch, der ihm das Leben rettete.

Seine gepanzerte Faust zuckte in einer unglaublich schnellen Bewegung vor und fing den Hieb ab, der Skar den Kopf von den Schultern reißen sollte. Gleichzeitig warf sich der Quorrl vor, rammte die Angreiferin mit seinem gesamten Körpergewicht und brachte sie aus dem Tritt. Seine linke, verletzte Hand sauste herab und traf die gepanzerten Schultern der Beterin mit der Wucht eines Hammerschlages. Skar konnte das daumendicke Chitin ihres Körperpanzers brechen hören wie sprödes Glas. Das Rieseninsekt war tot, noch ehe Skar mit einem ungeschickten Schritt nach hinten taumelte und zu Boden stürzte, aber Titch packte es trotzdem noch einmal mit seinen gewaltigen Pranken, schmetterte es mit aller Kraft zu Boden und zermalmte mit einem Fußtritt seinen Schädel; ein blinder Reflex, den Skar nur zu gut verstehen konnte. Beterinnen gehörten zu den wenigen bekannten Tieren Enwors, die selbst einem Quorrl gefährlich werden konnten, wenn sie in die Enge getrieben oder verletzt waren.

Er stand auf, ging zu Titch zurück und blieb in respektvollen zwei Schritten Abstand stehen, während Titch die tote Beterin mißtrauisch musterte, wobei er die verletzte Hand fest gegen den Brustpanzer drückte. Selbst im Tod bot die Beterin noch einen bedrohlichen Anblick: fast sieben Fuß lang von den mächtigen, eingeknickten Fangscheren bis zur Schwanzspitze, dabei so dürr, daß sie fast schon wieder lächerlich wirkte. Ihre Beine waren nicht dicker als Skars kleiner Finger. Aber er wußte, welch entsetzliche Kraft in diesen so zerbrechlich aussehenden Gliedmaßen steckte. Er hatte Pferde gesehen, die von diesen gigantischen Insekten zerfetzt worden waren.

»Eine Beterin«, murmelte Titch fassungslos. Sein Blick suchte den Skars, aber sein Gesicht spiegelte nichts als Verwirrung. »Aber das... das ist unmöglich! Sie greifen niemals Menschen an!«

»Es sei denn, sie sind verrückt vor Hunger«, antwortete Skar. Sein Blick ging wieder auf die trügerisch still daliegende Ebene vor den Bergen hinaus. »Oder vor Angst«, fügte er hinzu.

Titch lachte. »Was bist du, Skar?« fragte er spöttisch. »Ein altes Weib, das Unheil aus Regenwolken liest?« Aber es klang unsicher; er spürte, daß in Skars Worten mehr Wahrheit war, als sie beide in diesem Augenblick schon ahnen mochten. Und Skar machte sich nicht einmal die Mühe, zu antworten. Langsam und ganz instinktiv noch immer zwei Schritte Abstand von der toten Beterin haltend, trat er an Titch vorbei und blickte konzentriert auf die Ebene hinab.

Und dann sahen sie es beide: Nicht einmal sehr weit von ihrem Standort entfernt bewegten sich Schatten. Der Regen machte es unmöglich, Einzelheiten zu erkennen, und sein monotones Rauschen verschluckte jeden Laut, aber auch Titch mußte die grotesken, fast menschlich wirkenden Umrisse der Tyrr erkennen, die sich der steinernen Vorhut der Berge näherten; zwei, drei, vier...

»Ein altes Weib, so?«

»Vielleicht haben alte Weiber manchmal recht, wenn sie Unheil prophezeien«, murmelte Titch. »Aber es kann genausogut ein Zufall sein.«

»Dann bleib meinetwegen hier«, antwortete Skar, »und laß dich ganz zufällig niedertrampeln.«

Titch musterte ihn einen Herzschlag lang mit undeutbarem Ausdruck, dann versetzte er der toten Beterin einen Tritt, der den Kadaver meterweit den Hang hinabkollern ließ, und stampfte zornig zu den Felsen zurück. Skar folgte ihm.

Sie mußten die Quorrl nicht wecken. Der Krieger, der den Ausgang ihres Felsenverstecks beobachtete, hatte den kurzen Kampf beobachtet und die anderen alarmiert. Sie waren nur noch fünf. Einer der beiden Schwerverletzten hatte sich am Abend zum Schlafen niedergelegt und war nicht mehr aufgewacht, während sich der Zustand des anderen zu Skars Erleichterung verbessert zu haben schien. Gesicht, Brust und Schultern des Quorrl waren eine einzige schreckliche Wunde, aber er stand schon wieder aus eigener Kraft, und Skar wußte, wie zäh diese schuppigen Kolosse waren. Und ganz davon abgesehen, daß sie wahrscheinlich jede Hand und jedes Schwert brauchen würden, erschien ihm auch das Leben eines Quorrl mit einem Male unendlich kostbar. Nicht nur Titchs Welt hatte sich verändert.

Der Quorrl informierte seine Männer mit wenigen, von knappen Gesten begleiteten Worten, was geschehen war. Er wechselte dabei von der Hochsprache Enwors in einen barbarischen, sehr schnellen Dialekt, von dem Skar nur Brocken verstand. Skar blieb dabei nicht verborgen, daß es Titch nicht leicht fiel, seinen Kriegern begreiflich zu machen, daß sie zu den Errish stoßen würden. Die Quorrl widersetzten sich seinem Befehl nicht, das war undenkbar. Aber Skar spürte sehr wohl, daß sie Angst hatten. Trotzdem brachen sie nach kaum fünf Minuten auf.

8.

»Nein!« Anschi ballte die Hand zur Faust und schüttelte so heftig den Kopf, daß ihr naß gewordenes Haar wie ein strähniger schwarzer Schleier flog. Der Blick, mit dem sie abwechselnd Titch und Skar maß, sprühte vor Haß. »Yuls letzter Befehl war, dafür zu sorgen, daß du sicher nach Norden kommst. Du - nicht diese Tiere!«

Skar sah aus den Augenwinkeln, wie Titch beim Klang des letzten Wortes zusammenfuhr. In Gedanken verfluchte er Anschi für ihre Ungeschicklichkeit. Er konnte den Zorn der Errish sogar fast verstehen, aber nach dem, was Titch am Morgen erfahren hatte, war es einfach dumm, so mit ihm zu reden. Er versuchte, Anschi mit Blicken zu signalisieren, vorsichtig zu sein, aber sie bemerkte es entweder nicht, oder sie wollte es nicht bemerken. Wahrscheinlich letzteres.

»Sie gehen!«

»Das Lager dort unten ist nicht mehr sicher«, antwortete Skar besänftigend. »Irgend etwas... geschieht. Ich weiß nicht was, aber...«

Die junge Errish unterbrach ihn mit einem abfälligen, bösen Lachen. »Yul hat mich gewarnt«, sagte sie, »daß du den größten Teil deiner Zeit damit verbringst, Unheil zu prophezeien. Mir scheint, sie hat recht gehabt.« Sie machte eine entschiedene Handbewegung und funkelte Titch an. »Eher lasse ich mir die Hand abhacken, bevor ich zusammen mit diesen Ungeheuern lagere.«

»Verdammt, Anschi, du bist es ihnen schuldig!« protestierte Skar.

»Warum? Weil ich zugelassen habe, daß sie Yul und die meisten meiner Schwestern umbringen?«

»Nein«, mischte sich Kiina ein. »Aber vielleicht, weil es zum Teil deine Schuld war.«

Anschi fuhr mit einem Ruck auf und funkelte sie an, aber Kiina fuhr unbeeindruckt fort: »Sie hätten euer Lager niemals angegriffen, wenn du nicht versucht hättest, sie zu vertreiben. Titch ist Skars Freund. Was hättest du an seiner Stelle getan, hättest du gesehen, wie er von diesen Bestien überwältigt wird?«