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Dieser Traum war nicht so sonderbar zweigeteilt wie seine Vorgänger, denn Skars Bewußtsein war einfach zu ausgelaugt, um noch irgendwelche Eindrücke aufnehmen zu können, aber dafür erschien er ihm - obgleich bizarr und irreal - auf unheimliche Weise wirklicher als alles, was er vorher erlebt hatte, als gäbe es eine Wahrheit, die nichts mit der Realität zu tun hatte. Der Kampf zwischen Titch und ihm wogte mit verbissener Wut hin und her, und Skar wußte auch, daß er niemals enden würde, denn im Traum waren sie beide unverletzlich; ihre Wunden schlossen sich so schnell wieder, wie sie sie schlugen, es war nicht der Kampf zwischen ihnen selbst, den sie kämpften, sondern die uralte Auseinandersetzung zwischen der Welt der Quorrl und der Welt der Menschen, das Ringen zweier Völker, die sich nur gegenseitig vernichten konnten, nicht aber einander besiegen.

Plötzlich waren sie nicht mehr allein. Der Daij-Djan war da, sein dunkler, mörderischer Bruder, der die letzte Hälfte seines Lebens zu einer Spur aus Blut und Tod gemacht hatte, und er winkte ihm zu und trat mit einer fragenden, fordernden Geste hinter Titch, der weiterkämpfte, ohne die Chimäre auch nur zu bemerken. Was willst du? fragte Skar, und der Daij-Djan antwortete mit seiner lautlosen, böse flüsternden Stimme: Dir helfen, Bruder. Laß ihn mich für dich töten, wenn du es schon nicht für mich tust. Es ist gleich, wer es macht. Wir sind eins. Ich bin du, und du bist ich.

Und wieder war die Verlockung da, stärker denn je, der verzweifelte Wunsch, daß alles endlich ein Ende haben möge, ganz egal, um welchen Preis. Die Klaue des Daij-Djan hob sich, und Titchs Bewegungen erstarrten.

Nein, sagte Skar.

Überlege es dir gut, Bruder. Es ist das letzte Mal. Wenn du meine Hilfe das nächste Mal brauchst, mußt du mich rufen. Und dann werde ich nicht mehr gehen.

Ich will deine Hilfe nicht, stöhnte Skar. Du bringst den Tod. Ich bin der Tod, antwortete der Daij-Djan spöttisch. Du bist der Tod, Bruder, denn ich bin du, so wie du ich bist. Aber auch der Tod ist nicht unsterblich. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit. Weniger, als du glaubst. Komm.

Die Bestie wandte sich um und winkte, und als Skar ihr folgte, war die stählerne Ebene plötzlich verschwunden, und sie standen am Rande einer gewaltigen, Meilen um Meilen tiefen Klippe, die direkt in die Hölle hinabführte.

Sieh! Die Hand des Daij-Djan deutete nach Norden, und Skars Blick folgte der Geste über die Leere hinweg bis zu dem Schatten, auf den sie deutete.

Es mußten Hunderte Meilen bis dorthin sein, aber die Vision folgte ihren eigenen Gesetzen, und Skar konnte deutlich sehen, was es war, das sein dunkler Bruder ihm zeigen wollte: Ein Turm. Ein finsterer, steinerner Block von einer Farbe, die dunkler als Schwarz war und das Licht aufsaugte, und die Haß ausstrahlte wie eine unsichtbare rote Woge. Skar spürte ein Pulsieren wie das Schlagen eines finsteren, gigantischen Herzens, und in seinen Gedanken wurde jeder Schlag dieses unsichtbaren Herzens zu einem drängenden Flüstern: Töte! Töte! Töte! Skar wollte die Augen schließen, aber er konnte es nicht. Der Anblick des schwarzen Kolosses im Herzen des Drachenlandes lähmte seinen Willen.

Das Mädchen ist dort, sagte der Daij-Djan. Und die, die du suchst, auch. Aber du kannst sie nicht besiegen ohne mich. Allein bist du nur ein Mensch. So wie ich nur ein Schatten bin. Sie aber sind Götter.

Nein! stöhnte Skar. Geh! Geh endlich!

Der Daij-Djan machte eine Geste, die fast bedauernd wirkte. Wie du willst, Bruder. Du bist es, der befiehlt. Ich bin nur das Werkzeug. Aber ich werde da sein, wenn du mich rufst. Und damit verschwand er, und Skar - wachte auf.

Es waren seine Reflexe, die ihn retteten, nicht sein Bewußtsein, das sich nur allmählich aus dem klebrigen Gespinst des Traumes löste, der kein Traum gewesen war. Er öffnete die Augen, spürte die Gefahr mehr, als er sie erkannte, und warf sich blitzschnell zur Seite und gleichzeitig zurück. Er schlug schmerzhaft mit der Schulter auf, tastete blindlings mit Händen und Füßen nach Halt und fühlte nichts als Leere unter dem rechten Arm und dem rechten Bein. Verzweifelt spannte er die Muskeln an, mobilisierte seine letzten Kraftreserven und versuchte sich herumzuwerfen, aber die hastige Bewegung ließ ihn nur noch weiter auf den Abgrund zurollen.

Schuppige Finger packten seine Hand und zerrten ihn mit einem Ruck herum und auf die Füße, der ihm den Arm aus dem Gelenk zu reißen schien. Skar schrie auf, riß seine Hand los und taumelte einen Schritt an dem Quorrl vorbei, fort von dem Abgrund, in den er um ein Haar gestürzt wäre.

Keuchend drehte er sich um, preßte die Hand auf die schmerzende Schulter und warf Titch einen gleichzeitig wütenden wie verwirrten Blick zu. Er hatte noch immer Mühe, sich zurechtzufinden. Im allerersten Moment glaubte er, noch immer zu träumen. Aber dann begriff er, daß es nicht der Titch aus seinem Traum war, dem er gegenüberstand, nicht der Erzfeind, sondern nur ein Quorrl, der kein Quorrl mehr war und der ihm jetzt nur noch ein Leben schuldete, und der Abgrund zwei Schritte vor seinen Füßen war nicht der Höllenschlund aus seiner Vision, sondern eine ganz normale Felswand, wenn auch eine von erschreckender Tiefe. Mit einem Gefühl heftiger Betroffenheit gestand er sich ein, daß er im Schlaf aufgestanden und hierhergegangen sein mußte. Skar trat verwirrt an dem Quorrl vorbei, ließ sich auf ein Knie herabsinken und spähte vorsichtig nach unten. Die enorme Höhe der Klippe ließ ihn schwindeln. Unter ihnen breitete sich das Tal der Drachen aus, eine sonderbare, erschreckende Landschaft, die zum Teil aus Felsen, zum Teil aus Wüste und großen, schmutziggrünen Flecken wuchernden Dschungels bestand. Sein Blick ging nach Norden und suchte den Turm, und für einen kurzen Moment glaubte er ihn sogar zu sehen. Dann verschwamm der Schatten vor seinen Augen, und Skar begriff, daß sie viel zu weit von ihm entfernt waren, als daß er ihn erkennen konnte. Aber er wußte, daß er da war. Er konnte ihn spüren. Er hörte sein böses, pulsierendes Flüstern, das nun nicht mehr nur nach seinen Träumen griff, sondern auch nach seinen Gedanken.

Er stand mit einer abrupten Bewegung auf, drehte sich herum und ging an Titch vorbei. Ihr Lagerplatz war nur wenige Schritte entfernt, aber am Morgen, als sie hergekommen waren, war Skar einfach zu müde gewesen, um den Abgrund zu bemerken, auf den sie sich zubewegten. Er fragte sich, ob Titch ihn gewarnt hätte, wäre er weitergegangen.

Wortlos ließ er sich auf einen Felsen sinken, stützte die Ellbogen auf den Knien auf und verbarg das Gesicht in den Händen. Er war noch immer müde. Die Sonne hatte längst die zweite Hälfte ihrer Tagesreise in Angriff genommen, aber die Stunden, die er geschlafen hatte, hatten ihn nicht erfrischt; im Gegenteil. Auf einer geistigen Ebene fühlte er sich erschöpfter und ausgelaugter als zuvor. Das Geräusch schwerer Schritte ließ ihn aufsehen. Titch kam langsam auf ihn zu, betrachtete ihn einen Herzschlag lang prüfend und fast mißtrauisch und hob dann in einer linkischen Geste die Hand.

»Ich war einen Moment eingeschlafen«, sagte er. Es klang wie eine Entschuldigung. »Als ich gemerkt habe, daß du fort warst, war es fast zu spät.«

Skar antwortete nicht, aber er sah den Quorrl mit neuem Interesse an. Titchs Stimme klang schleppend. Der Quorrl mußte so müde sein wie er, wenn nicht erschöpfter, denn er hatte wahrscheinlich den ganzen Tag neben Skar gesessen und gewacht, aber es war nichts von der Bitterkeit und Resignation darin, die Skar erwartet hätte. Etwas war mit Titch geschehen, während er geschlafen hatte.