Als Skar neben ihn trat, spürte er, was Titch gemeint hatte. Selbst der sanfte Wind, der ihnen entgegenschlug, war warm und roch, als wäre er über eine Ebene aus glühendem Eisen gestrichen. Kaum hundert Meter vor ihnen schlängelte sich das blausilberne Band eines Flusses dahin, aber seine Ufer waren kahl, als wäre der Boden unfähig, Leben hervorzubringen. Der Wald dahinter lag vielleicht zwei oder drei Meilen entfernt, ganz wie Titch gesagt hatte, aber er war hinter einer Mauer aus hitzeflirrender Luft verborgen, in der Sand wie feiner grauer Staub tanzte.
»Du wartest dort auf mich«, sagte Titch. »Siehst du den riesigen Baum mit der gespaltenen Spitze?«
Skar sah nicht einmal einen Baum, aber er wußte, daß er sich auf Titchs scharfe Augen verlassen konnte. Er würde ihn sehen, wenn er näher kam. Er nickte.
»Du wartest dort auf mich. Ich bin da, sobald es dunkel wird. Nachts können wir marschieren, ohne aus der Luft entdeckt zu werden.«
Etwas an diesem Vorschlag gefiel Skar nicht, aber er war viel zu erschöpft, um zu widersprechen. Außerdem erschienen ihm Titchs Worte nur logisch. Von den Rücken ihrer Daktylen aus würden die Errish vielleicht ihre Spuren entdecken, aber niemals erkennen, daß sie sich um die Spuren zweier Männer handelte. Titch löste die Flasche von seinem Gürtel und hielt sie Skar hin. »Trink«, sagte er. »Der Weg ist weit.«
Skar trank einen winzigen Schluck, aber Titch schüttelte den Kopf, als er ihm die Flasche zurückgeben wollte. »Trink sie leer«, befahl er. »Ich fülle sie wieder auf. Im Fluß ist genug Wasser.« Er achtete mißtrauisch darauf, daß Skar auch den letzten Rest aus der Feldflasche trank, hängte sie an seinen Gürtel zurück und machte eine auffordernde, ungeduldige Handbewegung. »Worauf wartest du?«
Das Tal der Drachen war die Hölle. Die Luft waberte vor Hitze, und der Boden bestand aus pulverfeinem Staub, nicht aus Sand, in den er bei jedem Schritt bis weit über die Knöchel einsank, was das Gehen zu einer Qual machte. Die Wüste war so trocken, als hätte es nie einen zweiwöchigen Dauerregen gegeben, der auf das Land heruntergeprasselt war, und jeder Schritt kostete Skar ein wenig mehr Kraft als der vorherige. Er brauchte zwanzig Minuten, um den Fluß zu erreichen, obwohl er nur wenige hundert Meter von der Felswand entfernt war, und den Rest des Tages bis zum Wald, denn die Luft, die vor Hitze flimmerte, machte es unmöglich, Entfernungen zu schätzen, und die Strecke dorthin betrug nicht zwei, sondern mindestens fünf Meilen. Obwohl er auch am Fluß noch einmal anhielt und so viel trank, bis sein Magen zu platzen schien, bekam er bereits nach einer halben Stunde wieder Durst, der im Laufe des Nachmittages quälend und schließlich fast unerträglich wurde.
Einmal - es war vielleicht eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang - meinte er, einen dreieckigen schwarzen Schatten am Himmel wahrzunehmen, warf sich flach auf den Boden und grub sich ein, so gut er konnte. Als er wieder aufstand und weiterwankte, war der Sand unter seine Kleider gekrochen und scheuerte unerträglich auf seiner Haut. Er wußte nicht mehr, wie er das Kunststück fertig brachte, den Waldrand zu erreichen. Als Titch eine Stunde später ankam, fand er ihn halb bewußtlos am Stamm des Baumes lehnen, den sie als Treffpunkt ausgemacht hatten. Skar erinnerte sich nicht einmal, ihn überhaupt gesehen zu haben.
Titch gab ihm zu trinken. Wasser, das so kalt und frisch war, daß es aus einer Quelle unmittelbar in ihrer Nähe stammen mußte, aber Skar hatte nicht einmal die Kraft, ihn danach zu fragen. Er wollte nur schlafen. Aber Titch war unerbittlich. Er gab ihm eine Viertelstunde, neue Kräfte zu schöpfen, dann marschierten sie weiter.
Sie sahen noch zweimal Daktylen in dieser Nacht - einmal als verschwommenen Schatten, der in rasender Geschwindigkeit über den Himmel jagte, das zweite Mal so dicht über dem Wald, daß Skar meinte, den Luftzug ihrer Schwingen zu spüren.
Gegen Morgen versagten Skars Kräfte endgültig. Er stolperte über eine Würze! und fiel, wie zahllose Male zuvor, aber diesmal blieb er liegen, und auch Titch schien einzusehen, daß es keinen Sinn mehr hatte, weiterzugehen: er hob Skar kurzerhand auf, trug ihn noch eine kurze Strecke durch den Wald und legte ihn im Schutz eines gewaltigen, abgestorbenen Baumes nieder. Skar schlief ein, ehe sich Titchs Hände von ihm lösten - und träumte.
Wieder war etwas in diesem Traum anders. Der Daij-Djan ließ ihn in Ruhe, und er sah sich auch nicht mit Titch kämpfen, aber das Flüstern war wieder da, nur, daß es jetzt kein Flüstern mehr war, sondern eine machtvolle, befehlende Stimme von fast unwiderstehlicher Kraft, die nicht in ihm war, sondern aus allen Richtungen zugleich auf ihn einzustürmen schien, bis er glaubte, den Verstand verlieren zu müssen. Und diesmal wußte er, wo sie herkam: aus dem schwarzen Turm im Herzen des Tales.
Mit dieser Erkenntnis wachte er auf, schweißgebadet und zitternd vor Haß, der ziellos war, und deshalb vielleicht um so schlimmer. Er fuhr mit einem Ruck in die Höhe und öffnete die Hände, um etwas zu packen, ganz gleich was, etwas zu zerreißen, zu... zu töten. Es war noch dunkel, und er war umgeben von Schatten und der angenehmen Kühle der Nacht. Das Lager neben ihm war leer, aber in dem feuchten Moos erkannte er deutlich die Umrisse einer massigen, mehr als mannshohen Gestalt, und das kreischende Ding in ihm erschuf den passenden Körper dazu: groß, muskulös und von graugrünen Schuppen bedeckt, ein Quorrl.
Der alte Feind, flüsterten seine Gedanken. Vernichte ihn. Töte ihn! Jetzt!
Skar stöhnte. Verzweifelt versuchte er den Wahnsinn niederzuringen, der seine Gedanken zu verschlingen drohte, aber es gelang ihm nicht. Er stand auf. Taumelnd, nicht vor Schwäche oder Müdigkeit, sondern vor Zorn, der kein Ventil fand.
Er hörte ein Geräusch in den Büschen hinter sich: das Knacken von Zweigen, die vor einem schweren Körper zurückwichen, fuhr herum und wich einen halben Schritt zurück, zitternd, keuchend vor Anstrengung und Zorn, er... roch den Quorrl, sah seine Silhouette zwischen den Büschen auftauchen - und griff an.
Etwas in ihm schrie verzweifelt auf, aber er war unfähig, den Zorn zu besiegen, und vielleicht war es gut so, denn wäre er nur ein ganz kleines bißchen mehr bei klarem Verstand gewesen, dann hätte er vielleicht seine Waffe gezogen und Titch warnungslos getötet. So griff er den Quorrl mit bloßen Händen an, wie ein Tier, das in die Enge getrieben ist und blindlings um sich schlägt. Titch wurde vollkommen überrascht. Er versuchte, Skars Arme beiseite zu schlagen, aber er war viel zu langsam. Mit der absoluten Kraft, die nur Zorn oder Todesangst verleihen, packte Skar den Quorrl, riß ihn in die Höhe und schleuderte ihn gegen einen Baum. Titch brüllte vor Überraschung und Schmerz, ging zu Boden und schrie ein zweites Mal auf, als Skars Faust mit fürchterlicher Wucht seine Brust traf. Er versuchte sich zu wehren, aber Skar fiel wie ein Tobsüchtiger über ihn her, deckte ihn mit Schlägen und Tritten ein, die nur aus dem einen Grund nicht tödlich waren, weil er viel zu sehr raste, um gezielt zuzuschlagen. Aber er spürte, daß er den Quorrl verletzte. Sein eigenes Blut lief von seinen Händen, aber auch das Titchs.
Dann bekam der Quorrl seinen Arm zu fassen. Skar bäumte sich auf, versuchte sich loszureißen und schlug mit der freien Hand wie besessen auf Titchs Gesicht ein, aber der Quorrl ließ nicht los. Skars Hiebe ließen seine Lippen und die dünnen Schuppen unter seinen Augen aufplatzen, aber Titch reagierte gar nicht darauf, sondern stemmte sich mit einer kraftvollen Bewegung in die Höhe und versuchte, auch Skars anderen Arm zu packen.
Skar wich seiner Hand aus, trat nach Titchs Knie und verlor das Gleichgewicht, als der Quorrl eine blitzschnelle halbe Drehung vollführte. Dann war Titch hinter ihm, verdrehte ihm den Arm und legte die freie Hand von hinten um Skars Hals. Skar bäumte sich auf, trat und wand sich im Griff des riesigen Quorrl und tastete nach seinem Gesicht und seinen Augen, aber Titch stand wie ein Fels. Sein Griff war wie Stahl. Langsam, aber unbarmherzig, schnürte er ihm den Atem ab.