»Und?« fragte Skar. »Was hast du entdeckt?«
»Nichts«, sagte Titch. »Aber das ist es ja gerade, was mich beunruhigt. Wenn dies hier das Tal der Drachen ist, dann frage ich mich: wo sind die Drachen?« Er ging weiter, ehe Skar noch etwas sagen konnte, und er tat es ein bißchen zu schnell und energisch, um Skar weiter glauben zu machen, daß ihn dieser Gedanke völlig unbeeindruckt ließ.
Es waren drei, wie Titch vermutet hatte, aber es waren keine Drachen, sondern Tyrr, jene häßlichen, aufrecht auf den Hinterläufen gehenden Echsenwesen, die Anschi im Kampf gegen Titchs Männer eingesetzt und Skar später im Lager der Errish wiedergesehen hatte. Aber etwas war an diesen Tieren anders als an denen, die die Errish benutzten: sie waren aufgezäumt und sorgsam gepflegt, und auf ihren Rücken waren sonderbar asymmetrische Sättel festgeschnallt, die es einem Menschen erlauben mußten, in einer absurden Huckepack-Haltung auf den känguruhähnlichen Ungetümen zu reiten. Zwei der drei Reiter saßen an einem kleinen Feuer unweit der zusammengebundenen Laufechsen; von dem dritten war keine Spur zu sehen. Wahrscheinlich stand er irgendwo Wache. Skar hoffte, daß er nicht seinerseits in einem Versteck hockte und sie beobachtete, während sie überlegten, wie sie seine Kameraden überwältigen sollten.
Titch gab ihm ein Zeichen, sich ein Stück weit in den Wald zurückzuziehen, damit sie reden konnten. Skar nickte, robbte rückwärts durch den staubfeinen Sand und richtete sich vorsichtig auf, als er den Wald erreichte, ging aber noch ein gutes Stück in den Busch hinein, ehe er stehenblieb und auf den Quorrl wartete, der etwas langsamer und weniger elegant nachkam, aber genauso lautlos wie er.
»Sind sie das?« flüsterte Titch.
»Die Zauberpriester?« Skar war sich nicht sicher. Die beiden Gestalten, die sie beobachtet hatten, trugen die gleichen, klobigen Anzüge mit den übergroßen Helmen wie die, die vor zwei Tagen mit Anschi geredet hatten. Aber etwas an ihnen war... anders. Skar konnte das Gefühl nicht in Worte kleiden, aber es war zu deutlich, um es zu ignorieren.
»Vielleicht«, sagte er ausweichend.
»Wir werden es herausfinden«, knurrte Titch. »Spätestens, wenn wir sie überwältigt haben.«
»Du willst sie angreifen?«
»Du nicht?« Titch lachte leise. »Wo ist dein Mut geblieben, Satai? Es sind nur drei.«
»Drei Zauberer«, gab Skar zu bedenken.
Titch machte eine wegwerfende Handbewegung. »Zauberer? Aus deinem Mund mutet dieses Wort seltsam an, findest du nicht? Ich erinnere mich an lange Gespräche, in denen du mir immer wieder erklärt hast, daß du nicht an Zauberei glaubst.«
»Das tue ich auch jetzt noch nicht«, widersprach Skar gereizt. »Nenne es, wie du willst, aber diese Männer verfügen über Kräfte, denen wir nicht gewachsen sind.«
Titch fegte seine Worte mit einer zornigen Bewegung davon. »Was glaubst du, wozu sie hier sind?« schnappte er. »Bestimmt nicht, um spazieren zu reiten, weil ihnen die Landschaft so gefällt. Sie suchen dich. Und sie sind schuld am Tod meiner Männer. Sie werden dafür bezahlen. Außerdem brauchen wir ihre Reittiere. Ich tue es auch allein, wenn du Angst hast.«
Skar sah den Quorrl einen Herzschlag lang durchdringend an und begriff, daß jedes weitere Wort sinnlos war. Natürlich hatte er keine Angst. Was ihn vor dem Gedanken an einen Überfall auf die drei Zauberpriester zurückschrecken ließ, das war die Furcht vor sich selbst, die Angst, das Ding in sich nicht mehr bezwingen zu können, wenn er die Waffe zog und kämpfte. Aber Titch hatte recht. Das Tal der Drachen maß an die zweihundert Meilen, und wenn der flüsternde Turm sich auch nur annähernd in seinem Zentrum befand, dann bedeutete das einen Marsch von fünf, möglicherweise sieben Tagen. Selbst wenn er noch so lange zu leben hatte, würden seine Kräfte einfach nicht ausreichen.
»Sei vorsichtig«, sagte er. »Denk an die grünen Feuer.«
Titch lachte humorlos. »Ich denke an nichts anderes«, sagte er grimmig. »Wie gehen wir vor?«
Skar überlegte einen Moment. Das Lager der Zauberpriester befand sich gute dreißig, vierzig Schritte weit in der Wüste; selbst in der Nacht zu weit, als daß sie eine realistische Chance gehabt hätten, sich anzuschleichen. Wenn schon nicht die Reiter, würden die Tyrr ihre Annäherung bemerken und sie verraten, sollten ihre Sinne auch nur halb so scharf sein wie die ihrer großen Verwandten. Aber vielleicht war es auch gar nicht nötig, sich anzuschleichen.
Er erklärte Titch kurz seinen Plan. Der Quorrl schwieg dazu, aber als Skar fertig war, wandte er sich wortlos um und verschwand im Unterholz.
Skar schlich zurück zum Waldrand. Sein Blick suchte das kleine Feuer, vor dem sich die Gestalten der beiden Zauberpriester als schwarze Schatten abhoben. Wenn er genau hinhörte, konnte er ihre Stimmen hören, die sich in einer Sprache unterhielten, die er nicht verstand. Er war nicht einmal sicher, ob es die Summen von Menschen waren.
Er sah nach oben. Der Himmel war wolkenlos und erstaunlich klar, begann sich aber im Osten bereits grau zu färben. Ihnen blieb nicht mehr sehr viel Zeit. Und wo war der dritte Reiter? Wenn es ihnen nicht gelang, sie alle drei zur gleichen Zeit zu überwältigen, waren sie verloren. Gegen das unheimliche grüne Feuer halfen weder Titchs ungeheuerliche Körperkräfte noch seine Schnelligkeit oder die Schärfe seiner Klinge.
Skar zählte in Gedanken langsam bis hundert, dann zog er sein Schwert, trat mit einem bewußt schleppenden Schritt aus dem Wald hervor und zerbrach einen Zweig in der Hand. Das helle Knacken drang wie ein Peitschenhieb durch die Stille der Nacht.
Die riesigen Köpfe der beiden Männer am Feuer ruckten herum. Skar hörte einen halb erschrockenen, halb überraschten Ausruf, zögerte eine Winzigkeit länger, als nötig gewesen wäre, und warf sich mit einem mächtigen Satz ins Unterholz. Hinter ihm gellten Schreie auf, das zornige Fauchen eines Tyrr, das dumpfe Geräusch schwerer hastiger Schritte auf dem weichen Wüstenboden, und plötzlich erstrahlte der Wald hinter ihm in einem unheimlichen, kalten grünen Licht, das Blätter und Buschwerk wie unter innerem Feuer aufglühen ließ.
Skar warf sich mit einer verzweifelten Bewegung zur Seite, rollte hinter einen umgestürzten Baumstamm und blieb mit angehaltenem Atem liegen. Das grüne Licht flammte ein zweites Mal auf, keine Lichtnadel wie die Scannerschüsse der Errish, sondern ein breitgefächerter, flirrender Strahl, der durch den Wald schnitt, seine Deckung um kaum eine Handbreit verfehlte und über die Baumkrone über ihm glitt. Sekunden später hörte Skar ein leises Prasseln und Wispern, und dann ging ein wahrer Regen betäubter Kleintiere und Insekten auf ihn nieder.
Die Schritte kamen näher. Skar sah einen Schatten, preßte sich tiefer gegen den Boden und kroch rücklings in die Deckung eines Busches, der so dicht und voller Dornen war, daß er sich Schultern und Rücken zerkratzte, trotz des Mantels. Die Schritte brachen ab, erklangen wieder und brachen erneut ab, als der Fremde mit einem weit ausgreifenden Schritt über den gestürzten Baum hinwegtrat, hinter dem Skar gelegen hatte.
Skar hob vorsichtig den Kopf und blinzelte zu der Gestalt hinauf. Mit ihrem riesigen Helm wirkte sie mißgestaltet, wie ein verkrüppelter Schatten. In ihrer rechten Hand lag ein sonderbar geformtes Etwas, eine Waffe, ähnlich den Scanner der Errish, aber größer, plumper und mit einem grünleuchtenden Kristall an ihrem vorderen Ende. Der riesige Schädel der Gestalt drehte sich langsam hin und her - und dann verharrte ihr Blick direkt auf Skar.
Er begriff fast zu spät, daß es kein Zufall war. Er lag völlig sicher im Schatten des Busches, der schwarz wie die Nacht war, aber das nutzte nichts, denn der Fremde konnte im Dunkeln sehen! Skar reagierte, ohne zu denken. Mit aller Gewalt stieß er sich ab, rollte rücksichtslos durch das dornige Geäst und sprang auf die Füße, und im gleichen Augenblick stieß die Waffe des Zauberpriesters eine Lohe giftgrünen Lichts aus, die den Busch einhüllte und alles Leben darin betäubte. Skar sprang zur Seite und herum, aber der grüne Leuchtfinger folgte ihm unbarmherzig, folgte ihm wie eine Sense aus Licht, die alles Leben niedermähte und ein winziges bißchen schneller war als er.