»Was... habt ihr mit Titch gemacht?« fragte Skar stockend. »Der Quorrl, den Anschi zu uns bringen sollte?« Ian schüttelte bedauernd den Kopf. »Es tut mir leid. Sie hat ihn getötet, nachdem sie gesehen hat, was du mit ihren Schwestern getan hast. Er war dein Freund, nicht wahr?«
Skar mußte sich beherrschen, um nicht erleichtert aufzuatmen, Ians Worte bedeuteten nichts weniger, als daß die Zauberpriester nichts von Titch wußten. Sie hielten ihn für tot, und ihn, Skar, für allein.
»Das war er«, sagte er leise. »Anschi...«
»Wird bestraft werden«, unterbrach ihn Ian. »Du kannst es selbst tun, wenn du willst. Aber auch dazu mußt du am Leben bleiben.« Er machte eine fragende Handbewegung.
Skar zögerte noch zwei, drei Herzschläge. Dann senkte er ganz langsam das Schwert, ließ Brol los und taumelte mit einem nicht einmal mehr geschauspielerten, erschöpften Keuchen gegen einen Baum.
Brol wankte ein paar Schritte von ihm fort, preßte die Hand gegen die Seite und trat neben seinen Kameraden. Die bizarren Rüstungen machten sie gleich; Skar vermochte die beiden nicht mehr zu unterscheiden.
»Ich... kann nicht mehr«, flüsterte er. »Ich gebe auf. Bringt mich um, wenn ihr wollt.« Er ließ das Schwert fallen, schloß die Augen und wartete mit angehaltenem Atem, daß irgend etwas geschah. Aber die beiden schweigenden Riesen rührten sich nicht. Skar fragte sich, ob sie vielleicht die Wahrheit sagten. Vielleicht war alles ganz anders; vielleicht hatte Yul ihn doch nicht belogen, und vielleicht war er es, der einem fürchterlichen Irrtum unterlag. Er wußte nicht mehr, wer sein Freund und wer sein Feind war, wer recht hatte und wer log.
Ich kann es dir sagen, wisperte eine Stimme in seinen Gedanken. Folge mir, und ich zeige dir die Wahrheit, Bruder. Aber sie wird dir nicht gefallen. Ein Schatten begann sich hinter den beiden Zauberpriestern zu bilden, wo vorher nichts gewesen war. Dürre, insektenhafte Klauen blitzten wie tödliche Schneiden im Mondlicht.
»Nein«, flüsterte er. »Geh! Verschwinde... endlich!«
Die beiden Zauberpriester tauschten einen verwunderten Blick, und Skar fügte etwas lauter hinzu: »Ich komme mit euch. Ihr... habt gewonnen.«
Der Daij-Djan verschwand, und Ian trat auf Skar zu und half ihm fast behutsam, sich aufzurichten. Dann bückte er sich nach Skars Schwert und hielt ihm die Waffe hin. »Nimm es«, sagte er, als Skar zögerte, nach der Waffe zu greifen. »Du wirst es noch brauchen.«
Mit perfekt gespielter Verwirrung nahm Skar die Klinge an sich, schob sie in den Gürtel zurück und folgte Ian. Seine Schritte waren schleppend, er hielt den Kopf gesenkt und die Schultern weit nach vorne gebeugt, wie ein Mann, der sich nur noch mit letzter Kraft auf den Beinen hielt.
Der graue Streifen am Horizont war breiter geworden, als sie den Wald verließen; die Nacht ging endgültig zu Ende. Aber wie oft in der Dämmerung war die Sicht jetzt beinahe schlechter als in der Nacht. Skar erblickte nur verschwommene Schemen, wo er wenige Minuten zuvor das Lager der Zauberpriester gesehen hatte. Aber immerhin erkannte er, daß auch der dritte Reiter zurückgekommen war. Sein Schatten hob sich deutlich vor dem verglimmenden Feuer ab. Er stand ganz ruhig da und blickte ihnen entgegen.
Einer seiner beiden gespenstischen Begleiter hob die Hand, als sie sich dem Lager näherten, und rief dem dritten Zauberpriester ein paar Worte in jener sonderbaren, gutturalen Sprache zu, die Skar vorhin schon gehört hatte. Der andere antwortete nicht, aber er entspannte sich sichtlich. Skars Hand glitt wie zufällig in die Nähe des Schwertes, berührte es aber noch nicht.
Mit klopfendem Herzen betrachtete er die drei gewaltigen Echsenwesen, während sie sich dem Lagerplatz näherten. Die Tiere starrten ihm aus ihren kleinen, böse funkelnden Augen tückisch entgegen, und vielleicht war es gerade der Umstand, daß diese Tyrr gesattelt und aufgezäumt waren, der sie in Skars Augen noch wilder und furchteinflößender aussehen ließ als vor drei Tagen in Yuls Lager. In ihrem Blick flammte ein Haß, der nicht auf das Flüstern in ihren Gedanken zurückzuführen, sondern Teil ihrer Natur war. Allein die Vorstellung, eines dieser Geschöpfe reiten zu sollen, ließ Skar schaudern.
»Du mußt müde sein«, sagte Ian. Jedenfalls vermutete Skar, daß es Ian war, denn die beiden vermummten Riesen waren in ihrer schwarzen Rüstung absolut ununterscheidbar. Er deutete einladend auf das heruntergebrannte Feuer. »Ruh dich aus, wenn du willst. Wir haben noch eine Stunde Zeit, bis es richtig hell wird. Vorher können wir sowieso nicht weiter. Es ist zu gefährlich, nachts zu reiten.«
Skar nickte müde und setzte sich. Das Feuer, obgleich schon fast nur noch aus einem Gluthaufen bestehend, strahlte eine behagliche Wärme aus, und als er sich vorbeugte und die Hände über die Glut hielt, wurde seine Müdigkeit fast übermächtig. Er wankte, drohte für einen kurzen Augenblick einzuschlafen und schrak abrupt wieder hoch, als er das Gleichgewicht zu verlieren begann. »Willst du reden?« fragte Ian.
Skar sah müde aus, schüttelte den Kopf und versuchte gleichzeitig zu nicken. »Später«, sagte er matt. Sein Blick glitt über die schwarze Larve, die da war, wo Ians Gesicht sein sollte, tastete weiter und schien sich ziellos in der Wüste zu verlieren. In Wahrheit suchte er nach irgendeinem Zeichen von Titch, irgendeinem Hinweis, daß er da war oder sich näherte.
Er fand es nach Sekunden. Nicht weit hinter dem dritten Zauberpriester bewegte sich der Sand. Kleine, zitternde Wellen huschten über seine Oberfläche, wie über Wasser, unter dem sich ein Schwimmer näherte, nur langsamer und sehr viel machtvoller. Er wußte nicht, ob der dunkle Umriß, den er darunter wahrzunehmen glaubte, wirklich da war, oder nur eingebildet. Aber Titch war da. Seine Hand glitt ein weiteres Stück auf das Schwert zu, berührte seinen Griff.
»Wer seid ihr?« fragte er. »Wer seid ihr wirklich?«
»Nicht deine Feinde«, antwortete Ian ausweichend. »Und nicht die, für die du uns hältst. Du wirst alles erfahren, sobald wir in der Festung sind. Und alles verstehen. Es wäre zu viel, jetzt, und zu verwirrend. Aber du...«
Hinter dem dritten Zauberpriester explodierte der Sand. Eine gewaltige, lautlose Fontäne schoß in die Höhe, als wäre dicht unter dem Boden plötzlich ein Geysir aufgebrochen, als sich Titch mit einem Ruck aufrichtete und auf seinen Gegner warf. Ian fuhr erschrocken herum und erstarrte für eine Sekunde, während Brol mit fast übermenschlicher Schnelligkeit reagierte: er wirbelte auf der Stelle herum, trat nach Skar und zog gleichzeitig die Waffe aus dem Gürtel.
Skar ließ sich einfach nach hinten kippen; gleichzeitig rammte er beide Füße ins Feuer. Ein Funkenregen und kleine, weißglühende Glutbrocken überschütteten Brol. Zwar vermochten sie seine Rüstung nicht zu durchdringen, aber sie lenkten den Zauberpriester für den Bruchteil eines Atemzuges ab, und diese winzige Zeitspanne genügte.
Skars Schwert fuhr mit einem reißenden Laut aus der Scheide, beschrieb einen blitzschnellen, engen Dreiviertelkreis und traf Brols Waffenarm. Die Klinge aus Sternenstahl glitt fast ohne spürbaren Widerstand durch das schwarze Metall und trennte Brols Arm dicht unterhalb des Ellbogengelenks ab.
Brol kreischte. Blauweiße Funken und Rauch und ein Schwall von Blut schossen aus dem Stumpf seiner bizarren Rüstung. Er taumelte, umklammerte seinen verstümmelten Arm und kippte mit einer grotesken Bewegung zur Seite. Ein zweiter Funkenschauer stob auf, als er direkt ins Feuer fiel und sich schreiend auf dem Boden zu wälzen begann.
Und endlich erwachte auch Ian aus seiner Erstarrung. Mit einem entsetzten Keuchen fuhr er herum, starrte auf seinen sterbenden Kameraden herab und hob die Hand zum Gürtel, aber in einer Bewegung, die auch lächerlich langsam gewesen wäre, wäre Skar nicht Skar gewesen. Skars Schwert traf seine Hand mit der flachen Seite, aber aller Gewalt, deren er fähig war, und brach sie. Ian keuchte, krümmte sich vor Schmerz und fiel auf die Knie, als Skar ihm die Breitseite des Tschekal mit aller Kraft in den Nacken schlug. Wimmernd fiel er nach vorne, versuchte wieder in die Höhe zu kommen und stürzte ein zweites Mal, als Skar sich auf ihn warf und ihm die Knie in den Rücken rammte.